Gas- und Wasserstoffwirtschaft
„Bewegen uns auf dünnem Eis“ – Deutschland sitzt noch in der Gas-Falle
- VonMark Simon Wolfschließen
Deutschland ist laut des Verbands für Gas- und Wasserstoffwirtschaft nicht ausreichend für eine klimaneutrale Zukunft gerüstet – die Kritik: Zu starker Fokus an Norwegen und fehlende Technologieoffenheit.
Bonn – Rund eineinhalb Monate vor der Bundestagswahl fordert der Verband Gas- und Wasserstoffwirtschaft eine Kursänderung in der Energiepolitik. In seinem am Donnerstag (9. Januar) veröffentlichten Zehn-Punkte-Plan „Zukunftsagenda Energie“ plädiert der Branchenverband dafür, den Klimaschutz zumindest kurzfristig nicht zu Lasten der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstands durchzubringen – vielmehr sollten die Bereiche in der Übergangsphase noch sinnvoll in Einklang gebracht werden. Dabei habe sich die Bundesregierung zwar bis 2045 der Klimaneutralität verpflichtet, allerdings keine verlässlichen Alternativkapazitäten aufgebaut. So mangele es an günstigem Strom, an Wasserstoff sowie an einer effizienten Methode, CO₂ zu transportieren und zu speichern.
Verband übt Kritik an Bundesregierung: „Erdgas ist die Gegenwart, Wasserstoff die Zukunft“
Der Verband selbst tritt seit dem 9. Januar 2025 offiziell unter dem neuen Namen Gas und Wasserstoffwirtschaft auf. Dadurch wolle man den klaren Fokus auf die Transformation der Energiebranche unterstreichen: „Unser neuer Name verdeutlicht die Veränderung der Branche: Erdgas ist unsere Gegenwart, Wasserstoff und andere neue Gase sind unsere Zukunft“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung.
Von der neuen Bundesregierung erwartet der Verband, dass diese sich für einen diversifizierten Energiemarkt einsetze. Etwa über eine Grüngasquote für die Beimischung von Gasen, die nicht über einen hohen CO₂-Gehalt verfügen. Aktuell liege der Fokus zu sehr auf Ökostrom, wodurch der Gassektor in Schwierigkeiten gerät, klimafreundlicher zu werden. „Für einen zügigen Hochlauf von Wasserstoff und Biomethan benötigen wir einen verbindlichen und klaren Marktrahmen und eine Grüngasquote“, erklärte Kehler in einer Verbandsmitteilung.
Bisher sei allerdings eher diskutiert worden, Gasnetze stillzulegen, obwohl Erdgas noch immer einen Großteil der Versorgungssicherheit für Deutschlands Industrie und Wirtschaft gewährleiste. Dadurch gehe ein Großteil der Zulieferer-Industrie sowie der Mittelstand in Deutschland verloren, „denn günstige Energie war immer ein Ausgangspunkt für wirtschaftliches Wachstum“, sagte Timm Kehler, Geschäftsführer des Branchenverbands Gas- und Wasserstoffwirtschaft, Anfang des Jahrs noch gegenüber der Berliner Zeitung. Diesen Trend sieht er mittlerweile bestätigt, weswegen es jetzt eine Neuausrichtung der Industriestrategie brauche. So garantiere „günstiges Gas günstigen Strom“, bestätigte Kehler im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Kritik an Habecks Heizungsgesetz – und einseitige Gasimporte: „Bewegen uns auf sehr dünnem Eis“
Generell fordert der Verband in seiner Agenda mehr Technologieoffenheit und realistische Einschätzungen zu den Bedürfnissen des Marktes. So solle sich etwa das Heizungsgesetz, das die Ampel unter Federführung von Wirtschaftsminister Robert Habeck durchgesetzt hatte, künftig am CO₂-Fußabdruck von Gebäuden orientieren.
Auch kritisierte der Verbandschef die Entwicklungen der Gasimporte: „Bisher ist der deutsche Gasimport teuer, kurzfristig und auf wenige Anbieter ausgerichtet, damit bewegen wir uns auf sehr dünnem Eis.“ Dadurch drohe Deutschland langfristig eine Abhängigkeit am Rohstoffmarkt.
Laut aktuellen Zahlen der Bundesnetzagentur importierte Deutschland 2024 rund 865 TWh (2023: 968 TWh) Gas aus anderen Staaten. Die größten Lieferanten waren Norwegen mit 48 Prozent, die Niederlande mit 25 Prozent und Belgien mit 18 Prozent. Der Gas- und Wasserstoffwirtschafts-Verband sieht Deutschland auf dieser Grundlage in eine neue Abhängigkeit schlittern. „Norwegen ist ein sehr verlässlicher Partner, aber auch die Achillesferse unserer Energieversorgung“, erklärte Kehler weiter. Gerade im Szenario eines Ausfalls der Europipelines, über die Deutschland das Gas aus Skandinavien bezieht, sei keine ausreichende Resilienz gewährleistet. Kritische Infrastruktur könne sabotiert werden, das habe man bei der Sprengung von Nordstream gesehen.
Mehr LNG-Terminals und wasserstofffähige Gaskraftwerke: Erneuerbare allein reichen nicht
Als eine Lösung fordert der Verband eine Ausweitung der Energie-Partnerschaften weltweit. Mit Qatar oder der USA stünden weitere Länder bereit, aus denen Deutschland Gas beziehungsweise Flüssiggas LNG importieren könne. Dafür fordert der Verband allerdings eine Kehrtwende des Kurses der künftigen Bundesregierung: Gas nehme mit blauem Wasserstoff und als notwendige Backup-Lösung für potenzielle Dunkelflauten bei Erneuerbaren Energien einen unverzichtbaren Platz in der Energieversorgung der deutschen Industrie und Haushalte ein.
Dafür müsse sich allerdings das Tempo beim Bau von zusätzlichen LNG-Terminals sowie wasserstofffähiger Gaskraftwerke verändern. Die hohen Gebühren, wie etwa für Tanker an deutschen Häfen, und schleppende Infrastrukturausbau falle oftmals der ausufernden Bürokratie zum Opfer.
Gas-Verbandschef sieht „Deutschland-Lethargie“ – und die Klimaziele in Gefahr
Kehler sei skeptisch, dass 2025 bereits neue Gaskraftwerke auf Wasserstoffbasis in Betrieb gehen könnten – diese „Deutschland-Lethargie“ mache einen vorgezogenen Kohleausstieg im Jahr 2030 und somit auch das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden, nahezu unmöglich. Gegenüber der Berliner Zeitung erklärte Kehler: „Denn Gas ist die Lösung, um die Kohle abzulösen. Ein Gaskraftwerk stößt im Vergleich zu einem Kohlekraftwerk deutlich weniger CO₂ aus.“
In der Vergangenheit hatte dem Verband das teilweise Festhalten an fossilen Gasen viel Kritik eingebracht. Als Konsequenz verließen einzelne Stadtwerke und Vereine zwischenzeitlich den Verband. Auch deshalb soll der neue Markenname nochmals die Bedeutung von klimaneutralen Gasen sowie auch Wasserstoff herausstellen. Insgesamt zählen mehr als 100 Mitgliedsunternehmen zum Verband, darunter auch 60 kommunale Unternehmen.
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