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Israels Kampf gegen die Hamas aussichtslos? Nahostexperte erklärt komplexe Struktur des Terrors
VonStephanie Munk
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Israel rückt weiter in Gaza vor. Naht das Ende der Hamas? Ein Nahostexperte erklärt, was das Zerschlagen der Terror-Miliz fast unmöglich macht.
Tel Aviv/Gaza – Israels Streitkräfte rücken nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober im Gazastreifen immer weiter vor: Offenbar sind wichtige Machtzentren der Terrorgruppe nun unter israelischer Kontrolle, wie das israelische Militär am Dienstag (15. März) bekannt gab. Dazu gehörten das Hamas-Parlament und das Gebäude der Polizei in Gaza sowie ein Institut zur Produktion und Entwicklung von Waffen.
Naht im Krieg in Israel also das Zerschlagen der Hamas in Gaza? Und was passiert dann? Die Lage ist laut dem Nahostexperten Dr. Andreas Böhm von der Universität St. Gallen komplex – und Israels Ziele sind derzeit nicht eindeutig, wie er im Interview mit Fr.de von IPPEN.MEDIA erläutert.
Herr Dr. Böhm, am Dienstag gab die israelische Armee die Einnahme von Regierungsgebäuden der Hamas bekannt. Geht Israels Ziel, die Hamas zu zerstören, langsam auf?
Es wird zumindest teilweise möglich sein, die Hamas-Führung zu eliminieren und die Infrastruktur der Hamas im Gazastreifen zu neutralisieren. Israel versucht, das Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen zu zerstören – dort befinden sich zum Beispiel Kommandozentralen für Raketenabschüsse. Ein konkreter Angriff wie am 7. Oktober soll so unmöglich oder zumindest sehr unwahrscheinlich werden.
Nahostexperte zum Krieg in Israel: „Wird kaum möglich sein, Hamas komplett zu eliminieren“
Sie sagen, man wird nur einen Teil der Hamas eliminieren können.
Ja, denn wenn man sich anschaut, wie die Hamas aufgebaut ist, wird es kaum möglich sein, ihre Führungsriege komplett zu eliminieren. Die Hamas ist ein komplexes Konstrukt aus mehreren Armen. In Gaza sitzt der militärische Arm, der auch den Terror am 7. Oktober in Israel ausgeführt hat. Daneben gibt es den politischen Arm der Hamas. Die und die Spitzen des Politbüros sitzen gar nicht in Gaza, sondern in Luxushotels in Doha in Katar, teilweise auch in Beirut. Und dann ist da auch noch die soziale Bewegung der Hamas, eine islamistische Wohlfahrtsorganisation wie die Muslimbrüder. Sie verteilt Leistungen an ihre Anhänger und Klientel. Selbst wenn Israel versucht, den militärischen Arm der Hamas zu eliminieren, sind die sozialen und politischen Bewegungen immer noch da.
Wie weit wird Israel Ihrer Meinung nach gehen, um weiteren Terror der Hamas zu unterbinden?
Das ist derzeit offen. Denn es gibt tausende Leute, die in der Verwaltung der Hamas in Gaza sitzen. Das sind nicht nur ideologische Anhänger, sondern auch Opportunisten, Mitläufer und Menschen, die einfach nur ihre Familie ernähren wollen. Durch die Abriegelung des Gazastreifens ist die Wirtschaft weitgehend zerstört worden. Wer ein Auskommen gesucht hat, musste entweder im von der Hamas kontrollierten öffentlichen Sektor arbeiten oder bei den internationalen Hilfswerken der UN oder anderen NGOs. Die offene Frage lautet deshalb im Moment: Wird Israel sich darauf beschränken, nur die Miliz der Hamas, die Qassam-Brigaden auszuschalten und militärische Infrastruktur zu zerstören oder wie weit will man gehen? Und welche Opfer nimmt man noch in Kauf?
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
Krieg in Israel und Gaza: Nahostexperte sieht keine Strategie für den „Day after“
Selbst wenn Israel ihre Ziele im Gaza erreicht und die Hamas komplett zerschlägt – was folgt dann in Gaza?
Derzeit gibt es keine Strategie für den „Day after“. Sicher ist nur, es handelt sich um ein Desaster, eine humanitäre Katastrophe. Bis jetzt wurden mehr als 11.000 Menschen getötet, rund 28.000 verletzt. Niemand weiß, wie viele noch dazukommen. Weite Teile Gazas sind unbewohnbare Trümmerfelder – Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen zerstört. Die Bevölkerung ist traumatisiert, wohl auch radikalisiert. Nicht nur Gebäude und Infrastruktur, sondern eine Zivilgesellschaft aufzubauen sind wahre Herkulesaufgaben. Die momentanen Spekulationen, wer möglicherweise einmal in Gaza regieren soll, sind angesichts dessen nachgerade zynisch.
Das Interview führte Stephanie Munk.
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