Taktischer Vorteil
Tödliches Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen: Israel kann es für die eigenen Zwecke nutzen
VonStephanie Munkschließen
Israels Bodenoffensive im Gazastreifen steht vor einer gewaltigen Herausforderung: den unterirdischen Tunneln der Hamas. Doch Israel kann diese auch für sich nutzen.
Gaza Stadt/Tel Aviv – Israel bereitet eine Bodenoffensive im Gazastreifen vor und steht dabei laut Experten vor einer unfassbar schwierigen Aufgabe: Das fast 500 Kilometer lange, unterirdische Tunnelsystem der Hamas unter dem Gazastreifen.
Die Untergrund-Stadt ist eines der gefährlichsten Vorteile der Hamas im Krieg in Israel, heißt es in einem Bericht der New York Post: Die Hamas-Kämpfer kennen das Tunnelsystem in- und auswendig, während die Israelis es mit einem extrem komplexen, mehrstöckigem Gängesystem zu tun haben, die mit Sprengfallen und Guerillakämpfern gespickt sind. „Diese Orte werden voller Fallen sein“, warnte der US-Außenpolitik-Experte Bruce Hoffman. „Das ist eine Herausforderung noch nie dagewesenen Ausmaßes.“
Auch der US-Terrorismusspezialist Colin Clarke sagte: „Die Vorbereitung auf den Kampf in einem solchen Gelände ist unglaublich schwierig und würde umfassende Informationen darüber erfordern, wie das Tunnelnetz aussieht – worüber die Israelis möglicherweise nicht verfügen.“ Die Kämpfe im Untergrund würden den Hamas-Verteidigern und ihrer Führung einen großen taktischen Vorteil verschaffen.
Angriff der Hamas auf Israel: Tunnel unter Gaza spielten entscheidende Rolle
Das Tunnelsystem der Hamas im Gaza-Streifen spielte auch schon beim fatalen Überraschungsangriff der Hamas auf Israel eine entscheidende Rolle: Hamas-Kämpfer gelangten unter anderem über die unterirdischen Tunnel auf israelischen Boden.
Die Tunnel ziehen sich wie ein gewaltiges unterirdisches Netz unter dem Gaza-Streifen. Sie erstrecken sich über mehrere hunderte Kilometer, sind miteinander verbunden und ermöglichen es den Terroristen der Hamas, sich unsichtbar unter der Erde zu bewegen. Teils liegen sie 40 Meter tief unter der Erde. Durch manche kann ein Mensch nur gebückt laufen, durch andere können sogar Lastwagen fahren, heißt es in verschiedenen Berichten.
Tunnel der Hamas führen von Gaza nach Israel: „Als würde der Teufel selbst auftauchen“
„Es ist, als würde der Teufel selbst auftauchen aus der Hölle, um auf der Erde Qual zu verbreiten“ – so beschrieb der Geschichtsprofessor Prof. Gerad-René de Groot in der Washington Post das gewaltige Tunnelsystem im Gaza-Streifen. Die Zugangspunkte lägen oft versteckt zwischen Schulen, Moscheen oder Krankenhäusern.
Bilder zeigen, wie der Krieg in Israel das Land verändert




Einige führten direkt in israelische Gemeinden nahe der Gaza-Grenze. „Die Bewohner leben in ständige Angst und wissen, dass jederzeit ein Terrorist aus einem Tunnel in der Nähe ihres Hauses auftauchen und ihre Nachbarn oder Kinder entführen oder ermorden könnte“, schreibt das indische Nachrichtenportal Firstpost. Es wird davon ausgegangen, dass auch die von der Hamas als Geisel genommenen Israelis in den unterirdischen Tunneln festgehalten werden.
Doch so fatal die Tunnel der Hamas für Israels Bodenoffensive auch sein mögen: Alexander Grinberg vom Jerusalemer Institut für Strategie und Sicherheit sagte gegenüber France24, dass die israelischen Streitkräfte die Tunnel auch gegen die Hamas nutzen können: „Wenn Tunnel gefunden werden, können sie verschlossen werden, um die Menschen darin einzusperren. Und dann wird der Befehl wahrscheinlich lauten, keine Gnade zu erteilen.“
Laut dem Terrorismus-Experten Clarke könnte Israel außerdem Drohnen oder unbemannte Fahrzeuge in das unterirdische System schicken, um es zum Einsturz zu bringen. Wie wirksam dies sei, sei allerdings schwer abzuschätzen.
Israel versucht Tunnel in Gaza zu zerstören: Hamas baut es immer wieder weiter aus
Israel hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, das Tunnelsystem zu zerstören, teilweise ist es auch gelungen. Vor zwei Jahren zerbombte die israelische Armee laut New York Post rund 100 Kilometer der Tunnelanlagen. Doch die Hamas baute viele davon offenbar wieder auf – und soll dabei Millionen Dollar an Hilfsgeldern abgezogen haben, die eigentlich für das verarmte palästinensische Volk bestimmt waren.
Zu unterscheiden sind dabei drei Arten von Tunneln der Hamas im Gazastreifen:
- Offensivtunnel: Sie werden von der Hamas für Angriffe auf Israel genutzt, so wie es auch beim Angriff, der am Sonntag (8. Oktober) startete, geschah.
- Schmuggeltunnel: Sie verlaufen zwischen Gaza und Ägypten, über sie soll die Hamas Waffen, Kriegsgerät, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs schmuggeln.
- Verteidigungstunnel: Die Hamas verwendet sie als Waffenlager und Kommandozentralen.
Tunnel entstanden wegen Israels Blockade von Gaza – Hamas übernahm Kontrolle
Ursprünglich mit dem Bau der Tunnel begonnen wurde im Jahr 2007. Zu Beginn war ihr Zweck nicht militärischer Art: Sie wurden zur Umgehung der israelischen Blockade des Gazastreifens genutzt. Für die zwei Millionen Palästinenser in dem extrem dicht besiedelten Gebiet wurden über die Gänge unter der Erde Lebensmittel und andere Gebrauchsgüter geschmuggelt.
Doch schon bald kontrollierte die Hamas das Untergrund-System und nutzte es für ihre terroristischen und militärischen Zwecke. Die Terrororganisation bauten das Tunnelsystem über die Jahre immer weiter aus. Heute ist es so riesig, dass die israelische Armee es „Gaza-Metro“ nennt.
Stillgelegte Tunnel der Hamas: „Ich spüre den Hass, wie er aus den Wänden kriecht“
In stillgelegte, eroberte Tunnel nahm die israelische Armee auch immer wieder Journalisten mit, so auch im Jahr 2014 eine Reporterin der Bild, die ihre Eindrücke so beschrieb: „Ich spüre den Hass der Hamas, wie er aus den Wänden kriecht. Den absoluten Willen, Israel und seine Bewohner zu vernichten, auch wenn das heißt, über Monate und Jahre einen Tunnel in 15 Metern Tiefe bis zu sechs Kilometer weit zu graben. Beton, der für Häuser, Schulen, Krankenhäuser gedacht war, für todbringende Tunnel zu nutzen.“ (smu)
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