Vor der IAA
Vollständig erneuerbare Energie im Verkehr: Nur noch 187.000 Windturbinen oder 61 Kernkraftwerke benötigt
VonAmy Walkerschließen
Die Umstellung auf grüne Energie im Verkehrsbereich macht nur langsame Fortschritte. Dies ist insbesondere im Schwerlastverkehr der Fall. Regierungsentscheidungen tragen dazu bei.
Frankfurt – Die Verkehrswende kommt in Deutschland und Europa nur stockend voran. Während bei privaten Pkw die Elektromobilität eingebrochen ist, kommen strombasierte Fahrzeuge auch in anderen Bereichen nur schwer voran. Im Juli waren in Deutschland gerade mal 528 Elektro-Lkw im Einsatz. Insgesamt waren es 800.000 Lastwagen.
Elektro-Lkw auf der IAA in Hannover: Hauptsächlich „Schaufensterprojekte“
„Wir haben einige große Unternehmen, die besorgen sich mal ein, zwei E-Lkw, das sind aber hauptsächlich Schaufensterprojekte“, sagte Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Samstag (14. September) veröffentlichen Interview. „Der Mittelstand, der über 80 Prozent der Transporte ausmacht, investiert im Moment nicht.“
Trotz des wachsenden Angebots an emissionsfreien Lkw kommt die Verkehrswende im Transportsektor kaum vom Fleck: „Die Transformation im schweren Nutzfahrzeugbereich ist mehr als stockend“, sagte er weiter.
Auf der Nutzfahrzeugmesse IAA Transportation in der kommenden Woche in Hannover stellen Hersteller wie Daimler, MAN oder Volvo die klimafreundlichen Neuheiten in den Mittelpunkt. Einen Umschwung mit großen Stückzahlen im Segment der Schwerlaster lässt nach Engelhardts Einschätzung aber noch länger auf sich warten. „Wir wollen die E-Mobilität, aber es wird erst was zum Ende des Jahrzehnts.“ Bei Transportern und kleineren Lastern für den Verteiler- und Regionalverkehr gehe es schneller. Für die Langstrecke werde sich neben der Batterie die Brennstoffzelle oder synthetischer Kraftstoff etablieren. „Wir werden mit Sicherheit über das Jahr 2030 hinaus benötigen, um das dauerhaft umzustellen.“
Elektro-Lkw sind teuer: Auch weil die Ampel die Förderung abgeschafft hat
Hohe Anschaffungskosten, fehlende Ladeinfrastruktur und ein Mangel an günstigem Grünstrom hielten die Spediteure bisher davon ab, sich vom klimaschädlichen konventionellen Diesel-Antrieb zu verabschieden, erklärte Engelhardt. „Der Bund hat nach dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe die Fördermittel auf Null heruntergefahren.“ Damit seien die Fahrzeuge für die meisten Firmen schlicht zu teuer. Denn ein batterieelektrischer Lkw ist in der Anschaffung zwei bis drei Mal so teuer wie ein Diesel, der rund 100.000 Euro kostet. Ein Lkw mit Wasserstoffantrieb koste sogar fünf bis sechs Mal soviel.
Die Frachtkunden seien aber, abgesehen von wenigen Leuchtturmprojekten, nicht bereit, höhere Frachtpreise zu bezahlen. „Für das Gros der Transporte bekommt noch immer der billige Jakob den Zuschlag - Anbieter aus Osteuropa, die mit Diesel fahren.“
Ein Manko bei E-Lkw sei das hohe Gewicht der Batterie, durch das die Nutzlast eines 40-Tonners von 25 um vier Tonnen verringert sei. „In der EU gibt es zwar schon eine Einigung, zwei Tonnen mehr Gewicht freizugeben – aber gerade Deutschland sperrt sich wegen maroder Brücken gegen einen kompletten Nutzlastausgleich“, erklärte Engelhardt.
Zu wenige Schnellladesäulen für E-Lastwagen im Einsatz
Bei der Ladeinfrastruktur fehlt es dem BGL-Chef zufolge noch völlig an Schnellladeinfrastruktur, damit die Fahrer unterwegs während ihrer vorgeschriebenen Pause von 45 Minuten Strom tanken können. Der Kauf von Ladestationen für den eigenen Betriebshof scheitere an sechsstelligen Kosten. Die Stromleitungen sind oft nicht für den hohen Bedarf ausgerichtet, und die Genehmigung neuer Hochspannungsleitungen dauert jahrelang.
Wirklich klimaschonend wären die E-Laster außerdem nur, wenn sie zu 100 Prozent mit Grünstrom geladen werden könnten. Der BGL hat berechnet, was es heißt, wenn dieser vollständig hierzulande gewonnen werden müsste. „Für genügend Grünstrom allein für den Verkehrssektor bräuchten wir in Deutschland 187.500 weitere Windkraftanlagen oder 61 Kernkraftwerke“, sagte Engelhardt. „Beim jetzigen Strommix mit 50 Prozent erneuerbarer Energie emittiert ein Diesel-Lkw bei ganzheitlicher Betrachtung nicht mehr CO₂ als ein E-Laster, nämlich 65 kg CO₂ pro 100 Kilometer.“ (Stand heute: 29.000 Windräder auf dem Festland)
CO₂-Maut kostet Milliarden – das Geld könnte für die Verkehrswende eingesetzt werden
Der Interessenvertreter der Transportbranche fordert als Hebel, den Investitionsstau aufzulösen, die Milliardeneinnahmen aus der Lkw-Maut der Branche zum Finanzieren der Klimawende zur Verfügung zu stellen. Es genüge nicht, dass die EU-Kommission der Branche die CO₂-Reduktionsziele für Neufahrzeuge von 45 Prozent bis 2030 gegenüber 2019 vorschreibt. Der Staat müsse Geld in den Aufbau der Ladeinfrastruktur stecken und den Firmen wieder Investitionszuschüsse geben.
„Was uns am meisten ärgert: Es ist genug Geld da“, sagte Engelhardt. „Wir zahlen jedes Jahr 15 Milliarden Euro Maut, davon seit diesem Jahr 7,6 Milliarden Euro CO₂-Maut.“ Aber die Milliarden gingen an die Deutsche Bahn und stopften Haushaltslöcher. „Die CO₂-Maut wird deshalb null Lenkungswirkung in Richtung Klimaschutz haben.“ (wal/reuters)