Hoher Krankenstand hat Folgen

Stopp der Lohnzahlung am ersten Krankheitstag: Die ungeahnten Folgen

  • VonOlivia Kowalak
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Die Leistungsfähigkeit in Deutschland nimmt ab, der Krankenstand erreicht Höchstwerte. Rufe nach Lohnkürzungen am ersten Krankheitstag werden lauter. Doch mehr Druck könnte zu weiteren Schwierigkeiten führen.

Köln – Die Beschwerden deutscher Unternehmen am Wirtschaftsstandort reichen von zu hohen Energiekosten bis hin zur ungedeckten Nachfrage nach qualifiziertem Personal. Haben Betriebe passende Fachkräfte gefunden, melden diese sich jedoch zu häufig krank. „Deutschland ist mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen“, teilte Allianz-Chef Oliver Bäte dem Handelsblatt mit. Er forderte deshalb die Wiedereinführung von Karenztagen – also den Lohn für den ersten Krankheitstag abzuschaffen.

Dennoch: Laut Daten der Techniker Krankenkasse erreichte der Krankstand 2024 ein Rekordhoch: Mit durchschnittlich 17,7 Fehltagen liegt der Wert in der Bundesrepublik über dem EU-Durchschnitt von acht Tagen.

Hoher Krankenstand hat Folgen für die Wirtschaft: Produktivität sinkt drastisch

Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Produktivität in Deutschland, besonders angesichts des Alterungsschubs, durch den sich das Arbeitsvolumen weiter verringern wird. Der hohe Krankenstand gibt Unternehmen vor diesem Hintergrund einen Grund zur Sorge. „Wenn unter gleichen Produktionsbedingungen der Krankenstand in Deutschland teils doppelt so hoch ist wie im europäischen Ausland, hat das wirtschaftliche Folgen“, teilte Mercedes-Boss Ola Källenius der Bild mit. Laut Angaben der OECD bilden die Deutschen mit lediglich 1.301 Pro-Kopf-Arbeitsstunden im Jahr 2023 Europas Schlusslicht. Weniger Arbeit bedeutet auch weniger Erwirtschaftung.

Gründe für die häufig auftretende Arbeitsunfähigkeit sehen Mediziner im Bewusstseinswandel durch die Corona-Pandemie. Man wolle lieber kein Risiko eingehen und zu Hause bleiben. „Hauptdiagnose für die Fehltage sind nach wie vor Erkältungskrankheiten wie zum Beispiel Grippe, Bronchitis und auch Coronainfektionen“, sagte Dr. Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender über die Krankmeldungen 2024. Die Masken der Pandemie hätten dazu geführt, dass wir außerdem anfälliger für Krankheiten geworden seien, sagte Mediziner Dr. Christoph Specht gegenüber der Bild.

Der Krankenstand in Deutschland hat laut TK-Daten 2024 einen Höchststand erreicht (Archivbild)

Doch zunehmend mehr Mitarbeiter klagen auch über psychische Belastungen am Arbeitsplatz. „An zweiter Stelle stehen psychische Diagnosen wie Depressionen oder Angststörungen, an dritter Stelle Krankschreibungen aufgrund von Muskelskeletterkrankungen“, fügte Dr. Baas hinzu. Überstunden, IT-Stress, problematische Arbeitswege, ein toxisches Arbeitsumfeld oder zu hohe Arbeitsbelastungen führen häufig zu Erscheinungen wie Schlafstörungen und Burn-Out-Symptomen. Experten kritisieren, dass Arbeitgeber den entsprechenden Auslösern viel zu wenig Beachtung schenkten. 

Stopp der Lohnzahlung am ersten Krankentag könnte psychische Belastung am Arbeitsplatz erhöhen

In Unternehmen wie Tesla hat der hohe Krankenstand stattdessen dazu geführt, dass Hausbesuche von Vorgesetzten abgestattet werden – und damit auch der Druck auf Angestellte weiter steigt. Dazu gehört die Forderung von Oliver Bäte, dem Chef der Allianz, nach der Wiedereinweihung von Karenztagen. Derartige Druckmethoden könnten sich jedoch oftmals gegenteilig auswirken und zu Kündigungswellen führen, so die Befürchtung.

Auch Arbeitgeber sind hier in der Verantwortung zu sehen. Denn diese kommen oftmals vorbeugenden Maßnahmen am Arbeitsplatz nicht genügend nach, wie beispielsweise der Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Diese führen laut Whatsnext-Studie im Jahr 2024 lediglich 51,5 Prozent der dort befragten Unternehmen durch. Stattdessen könnten Unternehmen vielmehr mit Anreizen arbeiten, z. B. mit Anwesenheitsprämien. Zahlreiche Studien zur Reduzierung der Arbeitszeit haben außerdem bereits gezeigt, dass die Produktivität und Arbeitsmotivation dadurch gesteigert werden kann.

Rubriklistenbild: © Philip Dulian/dpa