Krankschreibung

Statt Lohnkürzungen bei Krankheit: Diese Unternehmen zahlen schon jetzt eine Prämie für die Anwesenheit

  • VonNicola de Paoli
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Die Zahl der Krankschreibungen steigt. Allianz-Chef Bäte fordert, am ersten Tag keinen Lohn zu zahlen. Einige Unternehmen setzen jedoch auf Prämien für Anwesenheit.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krankgemeldet. Am Tiefstand 2007 waren es gerade einmal acht. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind enorm. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beziffert die Produktionsausfälle allein für das Jahr 2023 auf schätzungsweise 128 Milliarden Euro. Ökonomen und Verbände warnen vor volkswirtschaftlichen Folgen, darunter geringeres Wirtschaftswachstum und höhere Ausgaben der Sozialversicherungen. Allianz-Chef Oliver Bäte schlug laut Handelsblatt vor, dass Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag keine Lohnfortzahlung mehr bekommen sollen und löste damit eine Debatte aus.

Eine weitere Idee ist ein Belohnungsmodell in Form von Boni für jeden Monat ohne Krankmeldung aus, also quasi eine Anwesenheitsprämie für Arbeitnehmer. Für ein Bonus-Modell hat sich beispielsweise die FDP ausgesprochen. Einige Unternehmen haben das Modell in der Praxis bereits ausprobiert. Ihre Beispiele zeigen die Tücken der Idee.

Krankenquote dennoch gestiegen: Erfahrungen bei den Verkehrsbetrieben

Gerade viele Verkehrsunternehmen in Deutschland haben mit Personalmangel und einem hohen Krankenstand zu kämpfen. Die Hamburger Hochbahn zahlt ihren Mitarbeitern nach Angaben des Manager-Magazins eine Anwesenheitsprämie pro Halbjahr in Höhe von 615,62 Euro. Für Azubis liegt sie bei 566,67 Euro. Ein Abzug erfolgt erst ab dem 3. Krankenarbeitstag im Halbjahr, ab dem 17. Krankenarbeitstag wird keine Prämie mehr ausgeschüttet. Dazwischen erfolgt ein „gleitender“ Abzug. „Das hat sich seit Langem bei uns bewährt“, sagt ein Sprecher des Unternehmens dem Magazin. Die Krankenquote sei nach der Corona-Pandemie aber trotzdem gestiegen.

Ähnlich sieht es das Kieler Verkehrsunternehmen KVG. Bis zu 1000 Euro Anwesenheitsprämie im Jahr zahlt das Unternehmen. Und auch in Köln ist das Modell zumindest teilweise angekommen. Mitarbeiter der Kölner Verkehrsbetriebe KVB erhalten hier eine generelle jährliche Prämie, wenn es dem Unternehmen wirtschaftlich gut geht. Diese kann jedoch individuell angepasst werden, wenn ein Mitarbeiter häufiger als der Durchschnitt zur Arbeit erscheint, berichtet die Rheinische Post.

Ideen für die hohen Krankenstände in der Automobil-Industrie

Besonders betroffen von den hohen Krankenraten ist auch die Autobranche samt ihren Zulieferern – mit negativen Folgen, sagt Daimler-Chef Ola Källenius: „Wenn unter gleichen Produktionsbedingungen der Krankenstand in Deutschland teils doppelt so hoch ist wie im europäischen Ausland, hat das wirtschaftliche Folgen.“ Einen Anwesenheitsbonus hat das Unternehmen allerdings nicht mehr. Daimler hatte die Prämie Ende 2019 nach nur zwei Jahren wieder abgeschafft. Einen Grund dafür kommuniziert das Unternehmen nicht. Stattdessen setze man auf mehr Gesundheitsangebote wie kostenlose Grippeschutzimpfungen, Gesundheits-Checks, Rückenprogramme oder Coachings, sagt ein Daimler-Sprecher dem Manager-Magazin.

Anders sieht es beim Kunststoffhersteller und Autozulieferer BIA aus Solingen aus. Insbesondere in der Fertigung kämpfe das Unternehmen mit einer hohen Ausfallquote: Bei neun Prozent lag die Krankenquote hier zwischenzeitlich, wie die Wirtschaftswoche berichtet. Vor fünf Jahren habe die Quote noch bei sechs bis 6,5 Prozent gelegen. Seit Juli gibt es deshalb in der Fertigung die Anwesenheitsprämie. Mitarbeiter kommen so auf gut zehn Prozent mehr Lohn, das kostet die Firma bis zu 80.000 Euro im Monat. Für das Unternehmen rechne sich das: Die Krankenquote sei um drei Prozentpunkte zurückgegangen.

Und auch US-Autobauer Tesla setzt auf den Bonus. In seinem deutschen Werk in Grünheide können Mitarbeitende einen gewissen Status erreichen, an den am Ende eines Jahres ein Anwesenheitsbonus geknüpft ist – bis zu 1000 Euro sind dabei im sogenannten „Gold-Status“ möglich. Tesla greift aber auch gerne zu anderen Methoden, wenn das Anreizsystem nicht greift. Als die Krankenquote im August im Werk auf 17 Prozent kletterte, statteten Geschäftsführer André Thierig und Personalchef Erik Demmler einigen krankgeschriebenen Mitarbeitern einen Überraschungsbesuch zu Hause ab. Offiziell aus Sorge, hieß es damals von Unternehmensseite, nicht aus Kontrollgründen.

Gesundheitsbranche: Zu viele Fehltage in der Pflege

Die aktuellen Daten des BKK-Dachverbandes für das Jahr 2023 zum Krankenstand sind alarmierend: 22,4 Tage fehlte das Pflegepersonal im Schnitt. Die Hamburger Asklepios-Kliniken debattierten im Tarifstreit mit Verdi im März 2024 deshalb darüber, die Belohnungsprämie einzuführen. Verdi hat sich deutlich gegen den Bonus ausgesprochen. „Asklepios will Beschäftigte bestrafen, die krank werden. Dieses Arbeitgeberangebot ist völlig aus der Zeit gefallen“, hieß es im Frühjahr von der Gewerkschaft.

Abgesehen von der moralischen Debatte ist die Wirksamkeit der Prämien umstritten. Die Wissenschaftler Dirk Sliwka, Jakob Alfitian und Timo Vogelsang untersuchten in einer Studie, ob sie tatsächlich zu weniger Krankheitstagen führen könnten. Gemeinsam mit einer Supermarktkette werteten sie das Verhalten von Gruppen mit und ohne Anwesenheitsbonus aus. Das Ergebnis: Mitarbeiter meldeten sich sogar häufiger krank, da die Prämie ihnen signalisiert habe, dass es akzeptiert sei, nicht zur Arbeit zu kommen. Sie fühlten sich weniger schuldig, zu Hause zu bleiben, obwohl sie vielleicht gar nicht krank waren.

Hinzu kommt: Für den Anstieg der Fehlzeiten in den vergangenen Jahren sind zu einem großen Teil psychische Erkrankungen verantwortlich, die im Schnitt mit besonders langen Ausfallzeiten verbunden sind. Solche Erkrankungen würden einerseits heutzutage besser erkannt und schon deshalb häufiger diagnostiziert. Wenig hilfreich für die die Krankenstatistiken ist zudem eine hohe Zahl an Atemwegsinfekten, die bis 2022 durch die Corona-Schutzmaßnahmen eingedämmt worden waren und nun umso heftiger grassieren

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