Generationengerechtigkeit
Mütterrente und Rente mit 63: Merz-Pläne könnten schon jetzt gegen das Grundgesetz verstoßen
VonAmy Walkerschließen
Die Konservativen und Sozialdemokraten versprechen teure Leistungen an ihre größte Wählergruppe: Die Rentner von heute. Ein Jurist sieht darin jedoch einen Verstoß gegen die Verfassung.
Berlin – Gewählt wurde Friedrich Merz und seine CDU, um zu sparen, so könnte man es zumindest deuten. Denn die Ampel-Koalition ist am Haushalt gescheitert und an ihrer Unfähigkeit, Kompromisse zu finden. Das wollte Merz in der neuen Bundesregierung anders machen und kündigte eine große Reform des Staates an. Etwas holprig hat er nun begonnen, da er erstmal Milliardenschulden durch den alten Bundestag geboxt hat, die ihm mehr Spielraum im Etat geben. Trotzdem hat er nach der Abstimmung im Bundestag nochmal bekräftigt, dass die neue Koalition aus CDU, CSU und SPD nicht an Einsparungen herumkommen würde.
Mehr Ausgaben für die Rente im Sondierungspapier: Das lässt die Beiträge deutlich steigen
Und dennoch befinden sich im Sondierungspapier der baldigen Koalitionäre gleich mehrere Aspekte, die auf Mehrausgaben statt weniger Ausgaben hindeuten. So soll die Mütterrente für Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, ausgeweitet werden, die sogenannte Rente mit 63 erhalten werden und das Rentenniveau soll auch gesichert werden (wobei hier keine Zahl genannt wird). All das sind teure Pläne, die bei Ökonomen auf viel Kritik stoßen. Allein die Mütterrente würde pro Jahr fünf Milliarden Euro kosten, hatte die Präsidentin der Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach, in einem Interview mit dem Tagesspiegel gewarnt.
Sollte die Bundesregierung an diesem Plan festhalten, ist davon auszugehen, dass die Beiträge in die Rentenkasse deutlich steigen müssten. Roßbach geht von 19 Prozent schon ab 2027 aus. Durch den demografischen Wandel seinen Beitragserhöhungen zwar ohnehin vorprogrammiert; die Frage ist nur, wie mit dem Geld umgegangen wird und wem es zugutekommt.
Pläne für Rente, Pflege und Krankenkassen verfassungswidrig? Gutachten kommt zu klarem Ergebnis
Genau an dieser Stelle formt sich nun Widerstand gegen die schwarz-roten Pläne. Der Verein Die Familienunternehmer hat ein Verfassungsgutachten in Auftrag gegeben, das untersucht hat, ob der Staat verpflichtet ist, die Sozialsysteme generationengerecht aufzustellen und dafür zu sorgen, dass Beiträge allen Generationen zugutekommen. Das Ergebnis des Juristen Gregor Kirchhof: Die Menschenwürdengarantie und das Sozialstaatsprinzip verbieten es dem Staat, tatenlos dabei zuzusehen, wie die Sozialsysteme an Leistung verlieren.
Kirchhof bezieht sich dabei insbesondere auf Artikel 1.1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) und Artikel 20.1 („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“) im Grundgesetz. In Bezug auf die Sozialsysteme bedeute dies, dass der Staat zur Vor- und Fürsorge verpflichtet sei. „Ein Abschaffen der Sozialsysteme, einen Kollaps oder einen Kipppunkt darf es daher von Verfassungs wegen nicht geben. Die öffentliche Hand und insbesondere der Gesetzgeber müssen geeignete Maßnahmen treffen, um dies zu verhindern“, schreibt Kirchhof.
„Demografischer Kipppunkt“ bei der Rente erreicht: Staat muss Reformen anstoßen
Aus seiner Sicht steht nun aber ein „demografischer Kipppunkt“ bevor, der dazu führen könnte, dass die heutigen und künftigen Beitragszahler weniger bekommen als ältere Generationen. Sie zahlen also ein, der Staat kann aber nicht garantieren, dass ihnen dieselben Leistungen zustehen werden wie ihren Vorgängern. „Werden heute Weichen gestellt, die morgen die Rechte der Menschen sicher beeinträchtigen, ist das staatliche Handeln bereits jetzt am Maßstab der Grundrechte zu messen“. Also: Wenn der Staat heute Maßnahmen beschließt, die spätere Generationen beschränken werden, dann verstößt das gegen die Freiheitsrechte dieser späteren Generationen.
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Ganz ähnlich hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2021 geurteilt, als die Richter entschieden, dass die Politik heute dazu verpflichtet ist, Klimaschutz voranzutreiben, um die Freiheit und Sicherheit künftiger Generationen zu wahren. Auf diesen Klimabeschluss bezieht sich das Gutachten zu den sozialen Sicherungssystemen nun auch.
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Mütterrente also verfassungswidrig, Pflege muss auch reformiert werden
Damit werden die Weichen für eine mögliche Verfassungsbeschwerde gegen Pläne der Bundesregierung gestellt, sollte sie keine grundlegenden Reformen bei Rente, Pflege und Krankenkassen anstoßen, die diese Systeme auf sichere Beine aufstellt. Die Ausweitung der sogenannten Mütterrente – die im Übrigen auch für Väter gelten kann – würde zum Beispiel nur Rentnern und Rentnerinnen zugutekommen, die jetzt schon in Rente sind oder es bald sein werden. Bezahlen müssten es aber die Beitragszahler von heute und morgen – aus Sicht des Juristen Kirchhof ist das nicht zulässig.
Ganz ähnlich könnte man auch bei der Erhöhung der Pflegebeiträge argumentieren, die aktuell ohne jegliche Pflegereform durchgewunken wurde und somit das System an sich nicht verbessert. Oder – auch das argumentiert Kirchhof – auf die Aufnahme von Milliardenschulden, die spätere Generationen abbezahlen müssen.
Die Frage nach der Generationengerechtigkeit der von Union und SPD ausgemachten Pläne haben auch schon führende Stimmen innerhalb der CDU gestellt. Besonders prominent tritt hier Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union, auf. In der jungen Generation „brodelt es gerade“, sagte er der Welt. „Weil man das Gefühl hat, die Politik gibt für alles Mögliche Geld aus. Und zwar ganz erhebliche Summen. Aber was ist eigentlich das Projekt für die junge Generation?“ Merz wird diese Sorgen ernst nehmen müssen, wenn er keine Revolte in den eigenen Reihen erleben will.
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