Ringen um den Sozialstaat

In den GroKo-Verhandlungen geht es um das Ende eines SPD-Lieblings

  • VonMax Schäfer
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Union und SPD verhandeln über eine Große Koalition. Dabei wird es auch ums Bürgergeld gehen. Was sind dabei die größten Konfliktherde?

Berlin – Union und SPD sprechen derzeit über die Bildung einer Koalition, die man früher „Große Koalition“ genannt hätte. Neben der zentralen Frage der Finanzierung der sicherheitspolitischen „Zeitenwende“ könnte auch eine sozialpolitische Wende folgen: Das Bürgergeld – ursprünglich ein SPD-Vorhaben hin zu „Respekt und gerechter Teilhabe“ – könnte der „Neuen Grundsicherung“ weichen. Doch bei der Frage nach einer Reform zeichnen sich mehrere Streitpunkte zwischen den möglichen Regierungsparteien ab.

Bürgergeld oder neue Grundsicherung: CDU, CSU und SPD ringen um den Sozialstaat

Für die SPD sollte das Bürgergeld eine Abkehr vom innerparteilich umstrittenen Hartz IV bedeuten. Im Umgang mit Arbeitslosen sollten Qualifizierung und Weiterbildung im Vordergrund stehen, um sie wieder in Arbeit zu bringen – nicht mehr die Härte über Sanktionen.

Richtungsweisend für die Grundsicherung: Friedrich Merz und seine CDU-Parteifreunde verhandeln mit der SPD über eine Große Koalition – und damit über die Zukunft des Bürgergelds. (Montage)

Für die Union ist dagegen bereits der Name Bürgergeld ein Problem. Immer wieder betonen Parteispitzen, wie etwa zuletzt Kanzlerkandidat Friedrich Merz, dass er zu sehr an ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ erinnere. Ein Entgegenkommen der SPD beim Namen könnte Beobachtern zufolge ein Eingeständnis sein, dass die Sozialdemokraten kein Gespür dafür hatten, wie der Begriff wirken würde.

Sanktionen könnten Streitpunkt mit Union werden – doch auch die SPD will härtere Bürgergeld-Regeln

In den Sondierungen von Union und SPD dürften jedoch andere Aspekte der Grundsicherung eine bedeutendere Rolle spielen. Zentral ist dabei etwa die Frage der Sanktionen. Die Ampel-Koalition hatte sie unter Führung der SPD reduziert – auch als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Kürzungen über 30 Prozent unvereinbar mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimums sind.

2024 hatte die Ampel-Koalition jedoch härtere Sanktionen geplant – und teilweise auch umgesetzt. Seit Frühjahr besteht etwa die Option, das Bürgergeld für zwei Monate vollständig zu streichen, wenn die Betroffenen zwei Jobangebote innerhalb eines Jahres ablehnen. Bisher haben weder Arbeitsministerium noch Bundesagentur für Arbeit Zahlen zur Umsetzung. Im Rahmen der sogenannten Wachstumsinitiative sollten weitere Sanktionen folgen.

Friedrich Merz will „Totalverweigerern“ die Grundsicherung streichen

Friedrich Merz und die Union fordern härtere Sanktionen. Sogenannte „Totalverweigerer“ sollen kein Bürgergeld mehr erhalten. Wer mehrfach Termine im Jobcenter verpasst, soll ebenfalls nichts bekommen. Rechtliche Hürde könnte dabei das menschenwürdige Existenzminimum sein – und eben das Urteil des Verfassungsgerichts.

Innerhalb der SPD sind härtere Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger umstritten. „Wenn ich jemanden mit Sanktionen zwinge, einen Job zu machen, der nicht zu ihm passt oder zu ihr, dann stehen die da in drei Monaten wieder beim Jobcenter auf der Matte“, sagte etwa die bayerische SPD-Politikerin Seija Knorr-Köning dem BR. Andererseits gab es besagte Ampel-Pläne mit härteren Regeln für Bürgergeld-Empfänger.

Höhe des Bürgergelds soll nicht angetastet werden – doch Merz will Arbeitsfähige in die Pflicht nehmen

Zudem hat sich auch Olaf Scholz im Kanzlerduell mit Friedrich Merz für „harte Sanktionen“ für Menschen ausgesprochen, die Jobangebote ablehnen. Diesen „Totalverweigerern“ sollten laut Scholz „öffentlich geförderte Jobs“ angeboten werden. Wer sich weigert, muss dabei mit Sanktionen rechnen. Damit näherte sich der noch amtierende Kanzler sogar der Arbeitspflicht-Forderung einiger Unionsspitzen, wie etwa CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, an.

Die Höhe des Regelsatzes der Grundsicherung an sich soll laut beiden Wahlprogrammen unangetastet bleiben. Derzeit liegt sie bei 563 Euro im Monat für Alleinstehende. Auch hier greift die Grenze des Existenzminimums, das nicht unterschritten werden darf. Jedoch hatte Merz angekündigt, 1,8 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfängern die Leistung „deutlich zu senken“, die nicht arbeiten. Über die konkrete Umsetzung hielt sich der CDU-Chef bedeckt.

Union hofft auf Einsparungen bei der neuen Grundsicherung – doch es gibt Hürden

Die Union hat zudem die Hoffnung, durch ihre Reformen bei der Grundsicherung „zweistellige Milliardenbeträge“ einzusparen. Angesichts der geringen Zahl der „Totalverweigerer“, die kein Bürgergeld mehr erhalten sollen, sowie der Lage auf dem Arbeitsmarkt, ist das aber fraglich.

Nach der Bundestagswahl: Diese Politiker kommen als Wirtschaftsminister infrage

Carsten Linnemann ist aktuell Generalsekretär der CDU.
Als Top-Favorit gilt die „rechte Hand“ von Kanzlerkandidat Friedrich Merz: Carsten Linnemann ist der Generalsekretär der Union. Er ist Diplom-Volkswirt und hat vor seinem Aufstieg in der CDU bei der Deutschen Bank und bei der Deutschen Industriebank gearbeitet. 1977 in Paderborn geboren, gehört Carsten Linnemann zum rechten Flügel der Union. Er gilt als Initiator der „Aktivrente“, die es Senioren in Deutschland ermöglichen soll, auch über das Rentenalter von 67 Jahren hinaus zu arbeiten. Aus diesem Grund wird sein Name auch häufig im Zusammenhang mit dem Arbeits- und Sozialministerium genannt.  © IMAGO/Christian Ender
Jens Spahn profiliert sich seit Monaten als Wirtschaftsexperte der CDU.
Jens Spahn ist kein Unbekannter im politischen Berlin: Von 2018 bis 2021 war er der Gesundheitsminister im vierten Kabinett von Kanzlerin Merkel. Damit ist er in der Corona-Krise besonders in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt – und war erheblicher Kritik ausgesetzt. Der ausgebildete Bankkaufmann versucht seit dem Ende seiner Regierungszeit mehr in die Wirtschaftspolitik zu gehen und meldet sich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag häufig zu wirtschaftspolitischen Themen zu Wort, zum Beispiel zum Heizungsgesetz, für dessen Abschaffung er mehrmals plädiert hat. © IMAGO
Julia Klöckner war unter Merkel die Landwirtschaftsministerin.
Julia Klöckner dürfte den meisten noch als Landwirtschaftsministerin unter der Kanzlerin Angela Merkel in Erinnerung sein. In der Opposition war sie wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU und wird deshalb als mögliche Kandidatin für den Posten als Wirtschaftsministerin gehandelt. Sie ist außerdem die Schatzmeisterin der CDU.  © IMAGO
Thorsten Frei ist Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag.
Thorsten Frei ist der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag und hat sich in der Opposition zu einem wichtigen Mitstreiter von Friedrich Merz gemacht. In der Vergangenheit hat sich Frei auf Innenpolitik und Verbraucherschutz fokussiert, weshalb er eher als Außenseiter im Rennen um das Wirtschaftsministerium gilt. Es gilt aber als sicher, dass Frei einen wichtigen Posten im Merz-Kabinett einnehmen wird.  © IMAGO/Frederic Kern
Alexander Dobrindt ist der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Ein Name, der so gut wie sicher im nächsten Kabinett auftauchen wird, ist Alexander Dobrindt von der CSU. Aus Kreisen der Union hört man, dass sich Dobrindt aussuchen darf, welchen Posten ihm am besten gefällt: Wirtschafts-, Innen-, Verteidigung- oder Außenministerium. Natürlich kommt das ein bisschen auch auf den Koalitionspartner an – aber für den einstigen Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens dürfte das Wirtschaftsministerium durchaus seinen Reiz haben.  © IMAGO
Ina Scharrenbach ist die Bauministerin im Land NRW.
Und was, wenn sich Merz jemanden aussucht, den keiner auf dem Schirm hat? Das immer möglich und in der Union gibt es auf Landesebene zahlreiche erfahrene Politiker und Politikerinnen, die in Frage kämen. Ein Beispiel dafür ist die Bauministerin von NRW, Ina Scharrenbach. Noch dazu würde die Diplom-Betriebswirtin und einstige Wirtschaftsprüferin das Frauen-Problem der Union lösen.  © IMAGO/M. Popow
Danyal Bayaz ist Finanzminister in Baden-Württemberg
Zum Schluss noch zwei Politiker, die vom möglichen Koalitionspartner kommen könnten. Schließlich ist nicht mal sicher, ob die CDU überhaupt den Wirtschaftsminister stellt oder doch lieber Ministerien wie das Finanzministerium und das Arbeitsministerium haben möchte. Da Merz von den Grünen Robert Habeck als Wirtschaftsminister ausgeschlossen hat, könnte Danyal Bayaz aus Baden-Württemberg vorrücken. Er ist im Südwesten der Finanzminister und könnte nach der Landeswahl 2026 auf der Suche nach einem neuen Job sein.  © Bernd Weißbrod/dpa
Verena Hubertz ist Wirtschaftspolitikern der SPD
Wird es eine Große Koalition mit der SPD, dann könnte Verena Hubertz eine Rolle spielen. Sie ist selbst Unternehmensgründerin und hat eine Koch-Plattform mit einer Studienkollegin gegründet. Seit 2020 ist sie nicht mehr dort die Geschäftsführerin, damals hat sie erfolgreich um den Bundestag kandidiert. Sie sitzt im Wirtschaftsausschuss und im Ausschuss für Klimaschutz und Energie – wäre also eine perfekte Kandidatin für das Amt der Wirtschaftsministerin.  © Harald Tittel/dpa

Zudem gilt: Das Bürgergeld kann nicht einfach eingespart werden. Es ist eine Pflichtleistung, um das Existenzminimum der Hilfebedürftigen zu sichern. Wer die Kriterien erfüllt, um Anspruch zu haben, erhält auch das Geld. Wenn die Anzahl der Berechtigten zunimmt, etwa wegen Stellenstreichungen angesichts der schwachen Wirtschaft, muss der Bund den Betroffenen die Grundsicherung auszahlen. Das gilt auch für die Erstattung der Miete und Heizkosten.

Kürzungen rund um das Bürgergeld: Spart die Groko bei den Jobcentern?

Der Bund kann dagegen entscheiden, bei den Ausgaben für die Verwaltung der Jobcenter und den Eingliederungsleistungen in Arbeit zu sparen. Im Haushaltsentwurf für 2025 waren tatsächlich Kürzungen bei der Eingliederung in Arbeit vorgesehen. Dabei gibt es jedoch Warnungen, dass die Jobcenter dadurch zu „passiven Zahlstellen“ degradiert würden. Tatsächlich finden einige Instrumente, etwa die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, bereits weniger Anwendung.

Zuletzt hatten jedoch die SPD-Spitzen Kompromissbereitschaft bei der Grundsicherung signalisiert. „Wir haben bei manchen Themen vielleicht auch den Eindruck entstehen lassen, dass es uns zu sehr um das Bürgergeld geht und zu wenig darum geht, dass hart arbeitende Menschen gesehen werden“, sagte Parteichef Lars Klingbeil im NDR.

Rubriklistenbild: ©  Jan Woitas/Michael Kappeler/dpa

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