Bürgergeld-Debatte

Aktuelle Statistik zeigt, wie viele „Totalverweigerer“ es unter Bürgergeldempfängern tatsächlich gibt

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  • Amy Walker
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  • Bettina Menzel

Die CDU positioniert sich radikal beim Thema Bürgergeld. Doch die Zahl der sogenannten „Totalverweigerer“ sollte Anlass zum Nachdenken sein.

Berlin – Diskussionen um das Bürgergeld brodeln weiter. Die CDU ruft zu einer härteren Gangart gegen Bürgergeld-Empfänger:innen auf. Will sogenannte „Totalverweigerer“ – also Personen, die zumutbare Arbeit ablehnen – die finanzielle Unterstützung streichen. Das ist der Plan nach einem Sieg bei der Bundestagswahl 2025, wie der CDU-Bundesvorstand in einer medienwirksamen Sitzung am Montag beschloss.

Bürgergeld-Diskussion: Das sind die „Totalverweigerer“-Zahlen der Arbeitsagentur

Statistiken der Arbeitsagentur zeigen jedoch, dass diese Sanktionen nur wenige Menschen betrifft. Darüber hinaus ist eine solche Kürzung der Leistungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht schon 2019.

Arbeitsagentur für Arbeit liefert Statistiken zu den „Totalverweigerern“ beim Bürgergeld

Das Bürgergeld hatte nach einer Reform der Ampel-Koalition Anfang 2023 das System von Hartz IV (Arbeitslosengeld II) abgelöst. Zwischen Januar und November 2023 hatten 5,5 Millionen Menschen Anspruch auf diese Leistung, 1,6 Millionen davon waren arbeitsfähig. In diesem Zeitraum gab es laut den Daten der Arbeitsagentur für Arbeit in 201.465 Fällen eine Minderung der Leistungen. Stellt sich die Frage, wie viele sogenannte „Totalverweigerer“ sind darunter?

„Wir können statistisch nicht auswerten, wie oft eine Minderung festgestellt wurde, weil jemand eine Arbeit abgelehnt hat“, sagte der Sprecher der Agentur zur Tagesschau.

Bürgergeld-Diskussionen: Die CDU will Sanktionen für sogenannte „Totalverweigerer“. Doch davon gibt es sehr wenige (Symbolfoto).

Einen Hinweis gibt es dennoch: Nach Angaben der Arbeitsagentur haben in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres 13.838 Menschen weniger Bürgergeld erhalten, weil sie eine Arbeit, Ausbildung, Weiterbildung, Qualifikation oder eine Maßnahme der Agentur nicht aufnehmen oder fortsetzen wollten. Die Agentur teilte das auf Anfrage der Tagesschau mit. Im Vergleich zu den 1,6 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeld-Empfänger:innen sind somit nur 0,86 Prozent „Totalverweigerer“ von Arbeit oder Ausbildungen.

Bürgergeld-Bezieher im Jahr 20235,5 Millionen Menschen
Davon nicht erwerbsfähige Kinder unter 15 Jahren1,5 Millionen Menschen
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte4 Millionen Menschen
- Davon
- Erwerbstätig800.000 Menschen (Rund 20 Prozent)
- Stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung (Ausbildung, Studium, Kindererziehung etc.)1,6 Millionen Menschen (Rund 40 Prozent)
- Stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung1,6 Millionen Menschen (Rund 40 Prozent)

Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Arbeitsagentur: „Totalverweigerer“ sind Ausnahmefälle

„Totalverweigerer“ stellen der Arbeitsagentur zufolge eher eine Ausnahme dar. „Generell lässt sich feststellen, dass zuletzt mehr als 80 Prozent der Minderungen wegen Meldeversäumnissen festgestellt werden“, teilte die Arbeitsagentur weiter mit.

Bürgergeld-Empfänger:innen unterliegen nach Aufforderung durch das Jobcenter einer Meldepflicht. Erscheinen Leistungsberechtigte nicht bei ihrem Träger oder bei einem medizinischen oder psychologischen Untersuchungstermin, liegt ein Meldeversäumnis vor. Laut Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die IPPEN.MEDIA zur Verfügung standen, machen „Totalverweigerer“ maximal zwei Prozent aus.

Bürgergeld-Debatte: Lauterbach (SPD) kritisiert CDU Vorstoß scharf

Die Statistiken offenbaren: Seit der Einführung des Bürgergelds ist die Zahl der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, auf ein Rekordtief gesunken. Im Jahr 2023 fielen etwa 341.000 Menschen aus regulärer Beschäftigung in die Grundsicherung. Das sind 54.000 weniger als im Vorjahr, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, die der Nachrichtenagentur dpa vorlag.

 „Arbeit führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als Nichtstun“.

 ifo Instituts für Wirtschaftsforschung

Der Ökonom Enzo Weber betont, dass es statistisch gesehen keine Anzeichen dafür gibt, dass Menschen aus dem Niedriglohnsektor, wie beispielsweise der Reinigungsbranche, ins Bürgergeld abrutschen. „Eine Flucht aus Beschäftigung sieht anders aus“, sagt der Wissenschaftler. Dennoch hält sich in der öffentlichen Debatte der Vorwurf, dass Arbeit sich nicht mehr lohnt. Eine Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung widerspricht diesem Vorwurf: „Arbeit führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als Nichtstun“.

Lauterbach wettert gegen Bürgergeldpläne der CDU

Die CDU erntete bereits früher Kritik für ihren Bürgergeld-Vorschlag, den manche als AfD-Rhetorik interpretierten. Weil auch viele Menschen mit Migrationshintergrund die Grundsicherung bekommen würden, „will ⁦die CDU ⁩zurück zu Hartz 4“, schrieb Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dazu unlängst auf der Plattform X (vormals Twitter). Dies sei ein klares Beispiel, wie die Alternative für Deutschland die CDU vor sich hertreibe, so Lauterbach weiter.

Was hat das Leistungsprinzip mit der Bürgergeld-Debatte zu tun, fragt der Wissenschaftler

Warum wird das Bürgergeld erneut diskutiert, obwohl die Statistiken zeigen, dass das Problem der „Totalverweigerer“ eher gering ist?

Steffen Mau, Forscher an der Humboldt-Universität Berlin, stellt eine Verbindung zwischen dem Leistungsprinzip und der Diskussion um das Bürgergeld her. Er hinterfragt, warum das Bürgergeld wieder im Gespräch ist, obwohl Statistiken das Problem der „Totalverweigerer“ als marginal darstellen. Mau sieht die Antwort in einer Veränderung der gesellschaftlichen Wettbewerbsverhältnisse.

In den letzten Jahrzehnten hat die deutsche Gesellschaft das Leistungsprinzip stark verinnerlicht, erklärte Mau im Februar in einem Interview mit dem Podcast-Team von Lage der Nation. „Es geht nicht mehr so stark unten gegen oben, sondern es geht ganz stark auf einer Ebene.“

Die größten Bedenken gegen eine Erhöhung des Bürgergeldes äußern laut Mau Menschen, die in unmittelbarer sozialer Nähe leben. Das sind jene, „die ein bisschen mehr verdienen, die im Niedriglohnsektor sind.“ Der ehemalige vertikale Klassenkampf hat sich zu einem horizontalen Wettbewerb zwischen verschiedenen Gruppen gewandelt. „Dadurch bindet das die ganze Aufmerksamkeit“, so Mau.

Das Bürgergeld wird in der Öffentlichkeit überproportional diskutiert, aber „nicht über die Erbschafts- und Vermögenssteuer oder den Spitzensteuersatz“, betont der Wissenschaftler.

Die Redakteurin oder der Redakteur hat diesen Artikel verfasst und anschließend zur Optimierung nach eigenem Ermessen ein KI-Sprachmodell eingesetzt. Alle Informationen wurden sorgfältig überprüft. Hier erfahren Sie mehr über unsere KI-Prinzipien.

Rubriklistenbild: © Hanno Bode/imago

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