Bildungskrise in Deutschland

Schul-Politik in der Kritik: „Geht womöglich auf Kosten der Bildung“

  • Moritz Maier
    VonMoritz Maier
    schließen

Um Deutschlands Schulen steht es mäßig. Nun wird Kritik an der nächsten Regierung laut. Welche Probleme jetzt angegangen werden müssen.

Berlin – Deutschland steckt nach Ansicht vieler in einer Bildungskrise. Etliche Schulen sind in desaströsem Zustand, die soziale Herkunft bestimmt stark über den Abschluss und Millionen junge Menschen stehen ohne Berufsausbildung da. Auf die neue Bundesregierung kommt also viel Arbeit zu. Doch noch bevor sie überhaupt begonnen hat, hagelt es bereits Kritik, denn: Der Koalitionsvertrag zeige, dass Bildung keine Priorität ist, heißt es vonseiten der Grünen.

Schulen in Deutschland: Merz‘ neue Regierung schleift wohl das bisherige Bildungsministerium

Noch steht die Entscheidung aus, wer das neu geschaffene Ministerium für „Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ leiten wird. Auf den kursierenden Listen zu Merz‘ Kabinett werden die CDU-Politikerin Karin Prien sowie ihre Parteifreundin Silvia Breher gehandelt.

Klar ist aber schon jetzt, dass Friedrich Merz‘ neue Regierung den Bereich Bildung (bisher im eigenen Ministerium für Bildung und Forschung) am bestehenden Familienministerium andocken will – was bei der Grünen-Bundestagsabgeordneten und Bildungspolitikerin Anja Reinalter auf Kritik stößt. „Ein eigenes Ministerium mit Bildung und Jugend wäre toll gewesen. Stattdessen werden die Bereiche Bildung und Forschung nun getrennt –  und wenn ich mir den Koalitionsvertrag so durchlese, wirkt das wie eine sehr kurzfristige Hauruckaktion“, sagt die Hochschulprofessorin für soziale Arbeit unserer Redaktion.

Grünen-Politikerin und Hochschulprofessorin Anja Reinalter hält vieles am Schwarz-Roten Koalitionsvertrag in Sachen Bildung für zu kurz gedacht. Sie fordert ein Umdenken.

Tatsächlich zeigt der Koalitionsvertrag noch eine klare Unterteilung. So haben die Verhandler dort den Bereich „Bildung, Forschung und Innovation“ als ein Aufgabenfeld benannt. Der Bereich „Familien, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie“ folgt, wenn auch an viel späterer Stelle. Diese Aufteilung entspricht genau den bisherigen zwei separaten Ministerien – die Struktur des Koalitionsvertrags deutet meist auch auf die künftige Häuser-Verteilung hin. In diesem Fall aber wohl nicht.

Reinalter vermutet, dass Karriere-Interessen zum kurzfristigen Einstampfen des inhaltlich schon erarbeiteten eigenen Bildungsministeriums führten. „Das lässt zumindest den Verdacht aufkommen, dass die Koalitionsverhandler zum Ende hin mehr auf Postenverteilung als auf Inhalte geschaut haben. Das geht dann womöglich auf Kosten der Bildung.“

Grüne Professorin: Bildung betrifft nicht nur Kinder

Die Grüne Hochschulprofessorin unterstützt die schwarz-rote Idee, Bildung mit familiären Belangen zu verbinden. „Der Impuls, frühkindliche Bildung durch dieses Ministerium nun besser zu verzahnen, ist richtig. Das Thema wäre aber in einem Bildungsministerium richtig angelegt, nicht in einem Familienministerium“, sagt Reinalter, die besonders beim Übergang von Schule zu Beruf Luft nach oben sieht. „Wir haben fast drei Millionen junge Leute, die nicht arbeiten und nicht wissen, was sie überhaupt können. Man muss Bildung vom frühkindlichen bis ins Erwachsenenalter sehen. Schwarz-Rot legt keinen Schwerpunkt auf den ganzheitlichen Blick.“

Deutschlandweit fehlen etliche Azubis – gleichzeitig haben knapp drei Millionen junge Menschen keinen Berufsabschluss.

Merz‘ neue Regierung will das von der Ampel eingeführte Startchancen-Programm weiterführen, das sozial benachteiligte Schüler fördern soll. Außerdem soll etwa die „MINT“-Bildung (für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) in jungen Jahren ausgebaut und die digitale Infrastruktur verbessert werden.

Für Reinalter insgesamt zu wenig: „Wir befinden uns in einer Bildungskrise und haben massiven Fachkräftemangel. Nur auf das Startchancen-Programm zu setzen, reicht einfach nicht“, mahnt die Grüne. „Wenn ich bei mir im Wahlkreis gucke, profitiert davon nur eine einzige Schule. Und es ist nicht so, als würde es allen anderen blendend gehen. Wir könnten sofort fünf Schulen besuchen, wo das Klo nicht funktioniert, es durch die Decke regnet oder die Sporthalle geschlossen ist.”

Schule, Forschung, Berufsabschlüsse: CDU-Politiker verteidigt Koalitionsvertrag

Die Oppositionspolitikerin fordert von der nächsten Regierung mehr Geld für Bildung. „Deutschland ist ein Land ohne Bodenschätze, unsere Ressource sind unsere Köpfe. Wenn es nun schon ein Sondervermögen für Infrastruktur gibt, sollte davon mehr in die Bildung fließen.“ Auch die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse adressiere Schwarz-Rot nicht, so die Kritik.

CDU-Bildungspolitiker Thomas Jarzombek sieht im Koalitionsvertrag die richtige Richtung für mehr Bildungserfolge.

Ganz anders sieht das naturgemäß Thomas Jarzombek, CDU-Bundestagsabgeordneter und Bildungspolitiker, der bei den Koalitionsverhandlungen in der entsprechenden Arbeitsgruppe mitarbeitete. „Die Zusammenlegung der Bildungspolitik mit der frühkindlichen Bildung und der Familienpolitik ist eine wichtige Weichenstellung für das Aufstiegsversprechen in unserem Land“, sagt Jarzombek unserer Redaktion. Aus seiner Sicht werden so die Strukturen „für eine Bildungspolitik aus einem Guss“ geschaffen. Das Programm soll mehr Bildungsgerechtigkeit ermöglichen, Lese- und Rechenkompetenzen steigern und die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung oder ohne Beschäftigung senken.

Union und Grüne in Bildungszielen einig – eigentlich

Dass CDU, CSU und SPD „nur“ noch die frühkindliche Bildung in den Blick nehmen, lässt Jarzombek nicht gelten. „Gerade im Bereich der beruflichen Bildung sehe ich mit unseren Vorhaben großes Potenzial, die beruflichen Schulen zu stärken und die Ausbildung durch die Verrechtlichung des Deutschen Qualifikationsrahmen noch attraktiver zu machen“, erklärt der NRW-Bildungspolitiker. Weiterbildungen sollen passgenauer werden, um die Millionen jungen Menschen ohne Abschluss durch Teilqualifikationen „Schritt für Schritt“ in einen Berufsabschluss zu bringen. „Unser Koalitionsvertrag sendet das klare Signal, dass ein Aufstieg durch Bildung für jede und jeden zu jedem Zeitpunkt möglich sein soll“, so Jarzombek.

Ob und mit welcher Person an der Spitze dieses ambitionierte Ziel im Super-Ministerium Familie und Bildung gelingen kann, bleibt abzuwarten. Die Ziele der künftigen Regierung und der Opposition sind dieselben, die Weg dorthin andere. Für die grüne Professorin Reinalter ist das Problem in Sachen Bildung schon seit Jahren und Jahrzehnten gewachsen und kann auch nur auf langen Sicht wieder in den Griff bekommen werden: „Das Problem ist nicht PISA, sondern, dass wir aus PISA nichts lernen“, sagt Reinalter mit Blick auf beunruhigende Ergebnisse der Bildungsstudie in Deutschland.

Rubriklistenbild: © IMAGO/ LarsxFr