Spitzname „Doktor“
Moderat, fronterfahren – und machtlos? Das ist Irans neuer Präsident Peseschkian
VonNatascha Bergerschließen
In einer Stichwahl hat der Iran Massud Peseschkian zum neuen Präsidenten gewählt. Der „Doktor“ mit moderaten Reformen dürfte unter Religionsführer Chamenei jedoch keinen großen Wandel herbeiführen.
Teheran – Massud Peseschkian ist der neue Präsident im Iran. Mit mehr als 16 Millionen Stimmen und damit rund 54 Prozent hat der Reformpolitiker in der Stichwahl knapp gegen den ultrakonservativen Gegenkandidaten Said Dschalili gewonnen. Der 69 Jahre alte Peseschkian gilt als Befürworter von besseren Beziehungen zum Westen und möchte mit seinen Reformen den Iran „aus der Isolation“ holen. Ob der 69-Jährige die versprochenen Reformen jedoch wirklich umsetzen kann, wird angezweifelt.
Reformpolitiker und neuer Präsident Peseschkian will Irans Beziehungen zum Westen verbessern und Wirtschaft ankurbeln
Der neue iranische Präsident Peseschkian stammt aus dem Nordwesten des Iran. Im Wahlkampf schien der Kandidat zunächst unscheinbar, warb für ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung. Nach früheren gescheiterten Reformversuchen, politischer Repression und einer Wirtschaftskrise haben im Iran vor allem viele junge Menschen den Glauben an einen politischen Wandel verloren. Im Wahlkampf trat der 69-Jährige wohl auch deshalb nahbar auf, erschien auf seinen Wahlkampfterminen mit dem Slogan „Für Iran“ auch mit Tochter und Enkelkind.
Die Reformen des ehemaligen Gesundheitsministers Massud Peseschkian werden mehr moderat als radikal eingestuft. Wie auch andere Politiker der „Reformer“ sprach er sich für eine Wiederaufnahme der Gespräche mit der EU und den USA über das iranische Atomprogramm aus. Außerdem wolle er eine Lockerung der internationalen Sanktionen erreichen, um Iran aus der Wirtschaftskrise zu helfen. Zudem kritisierte er während seines Wahlkampfs die Internetzensur sowie die repressiven Maßnahmen gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit gegen die Kopftuchpflicht verstoßen.
Nahbarer Wahlkampf mit Hoffnungsdämpfern: Peseschkian betont geringen Einfluss als Präsident im Iran
Trotz der angekündigten, moderaten Reformen bekundete der neue iranische Präsident, der sich selbst als wertkonservativ bezeichnet, stets seine Loyalität gegenüber dem Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei. Anders wäre er vermutlich von dem mächtigen Wächterrat nicht als Kandidat zugelassen worden.
Im Gegensatz zu anderen Ländern ist im Iran nicht der Präsident das Staatsoberhaupt, sondern Chamenei. Der 85-Jährige ist seit 1989 „Obester Führer“ im Iran und somit politisch die höchste Instanz. Darauf wies auch Peseschkian während seines Wahlkampfes immer wieder hin, wie die FAZ berichtet. Sein Einfluss als Präsident sei gering, die Freilassung politischer Gefangener liege beispielsweise jenseits seiner Autorität.
Chirurg und Gesundheitsminister: Fronterfahrener Peseschkian absolvierte Medizinstudium während Krieg
Bevor Peseschkian von 2001 bis 2005 im Kabinett des Ex-Präsidenten Mohammes Chatami als Gesundheitsminister tätig war, arbeitete er als Herzchirurg in der iranischen Millionenmetropole Tabris. Daher hat der 69-Jährige auch seinen Spitznamen „Doktor“. Im Laufe seiner Karriere als Arzt leitete er auch zwischenzeitlich das Krankenhaus, indem er operierte. Sein Medizinstudium absolvierte der nun designierte iranische Präsident während des Ersten Golfkrieges mit dem Irak. Dort war Peseschkian als Sanitätsarzt und als Soldat, zwischenzeitlich auch an der Front, im Einsatz.
Wertekonservativer Präsident Peseschkian im Iran ist Witwer und alleinerziehender Vater
Iran-Experten vermuten laut der Tagesschau, dass auch Peseschkians Familientragödie ihm Sympathien bei einigen Wählern eingebracht haben könnte. Der heute 69-Jährige verlor im Jahr 1994 seine Frau, ebenfalls Ärztin, und seinen Sohn bei einem Autounfall. Er heiratete nicht noch einmal, zog seine anderen drei Kinder als alleinerziehender Vater auf.
Bereits im Jahr 2013 wollte Peseschkian erstmals Präsident werden, zog seine Kandidatur jedoch selbst zurück. Elf Jahre später, im Jahr 2021, wurde er vom Wächterrat im Iran nicht zugelassen. Dass er nun als einziger „Reformer“ ins Rennen um das Präsidentschaftsamt zugelassen wurde, dürfte auch auf seine konservative Seite zurückzuführen sein. Trotz seiner gemäßigten Rhetorik gilt er als Verteidiger der Islamischen Revolutionsgarde, Irans Elitestreitmacht. Auch lobte er den jüngsten Drohnen- und Raketenangriff auf Israel im April.
Irans neuer Präsident machtlos? Experten sehen Peseschkians Sieg als symbolischen Schlag gegen Hardliner an
Da der Religionsführer Chamenei auch trotz eines neuen Präsidenten als wichtigster Entscheidungsträger in dem islamischen Land gilt, wird Peseschkian nicht sonderlich viel Macht zugeschrieben. Auch im Parlament, das aktuell mehrheitlich von radikalen Hardlinern dominiert ist, dürfte es der neue Präsident schwer mit seinen Reformen haben.
Viel mehr wird der Wahlsieg des Reformpolitikers als ein harter Schlag gegen die Radikalen und ultrakonservativen Politiker des Landes, wie Gegenkandidat Dschalili, gewertet. Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Marburger Universität sieht in der Niederlage für Dschalili somit vor allem einen symbolischen Erfolg für moderate und reformgesinnte Kräfte innerhalb des Irans. Ein Erfolg, der sicherlich auch innerhalb des Machtsystems zumindest zur Kenntnis genommen werde. (nbe mit Material von dpa)
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