IPPEN.MEDIA-Interview

Strompreise steigen in Rekordhöhe: Experte erklärt „enormes Einsparungspotential“ von Risiko-Tarif

  • Kai Hartwig
    VonKai Hartwig
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Wird die Strom-Rechnung zu hoch, ist guter Rat teuer. Ein Experte sagt im IPPEN.MEDIA-Interview, wann ein dynamischer Stromtarif helfen kann – und wann nicht.

Frankfurt – Anfang November erreichte der Börsenpreis für Strom einen neuen Rekordwert und stieg auf mehr als 800 Euro pro Megawattstunde. Teurer war es seit Beginn der Energiekrise noch nie. Die Preisentwicklung bei den Energiekosten trifft auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher, denen die jährliche Rechnung für Strom und Gas Kopfzerbrechen bereitet. Eine Möglichkeit, die Kosten zu senken, können dynamische Stromtarife sein. Zumal die Strompreise in Deutschland 2025 weiter steigen sollen.

Bei dynamischen Stromtarifen zahlen Verbrauchende im Gegensatz zu statischen Tarifen keinen festen Arbeitspreis. Hier ist der Strompreis an die aktuellen Preise des Großhandels gebunden, die an der Börse stündlich neu ermittelt werden. Nachfrage und Verfügbarkeit beeinflussen die Preisentwicklung für die Kundinnen und Kunden. Diese tragen somit das Risiko, an sie werden aber auch sinkende Preise weitergegeben – was bei klassischen Stromtarifen nicht der Fall ist.

„Enormes Einsparungspotential“: Experte erklärt, wie dynamische Stromtarife funktionieren

Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erklärt Stromexperte Maximilian Both, der zudem Co-Gründer und Geschäftsführer von Wechselpilot ist, wie Haushalte von diesen profitieren können – und wo Vorsicht geboten ist.

Herr Both, wie funktioniert ein dynamischer Stromtarif?
Bei einem dynamischen Stromtarif ist der Strompreis an den Handel an der europäischen Strombörse (EPEX Spot Markt) geknüpft. Hier wird der Börsenpreis für Strom viertelstündlich ermittelt. Stromanbieter kennen am Day-Ahead-Markt bereits das Preisniveau des nächsten Tages und verkünden dieses auch. Gleichzeitig kann am sogenannten Intraday-Markt am gleichen Tag nochmal gehandelt werden. Wichtig ist es, hierbei aber auch zu erwähnen: Selbst bei negativen Börsenpreisen kostet der Verbrauch dennoch Geld – durch Messstellengebühr, Netzentgelte, Steuern und sonstige Abgaben. Man kann von einem Sockelbetrag von 20 bis 25 Cent im Schnitt ausgehen.
Können Haushalte also profitieren?
Der wichtigste Vorteil ist sicherlich das enorme Einsparungspotential durch die flexible Nutzung von Verbrauchseinheiten, wie z. B. eines E-Autos oder einer Wärmepumpe. Das heißt: Kundinnen und Kunden sparen Geld, wenn Sie Ihren Verbrauch in Zeiten niedriger Preise verlagern können. Man unterstützt dadurch die Energiewende, da Preise oft sehr niedrig sind, wenn viel Solar- und Windenergie im Netz ist. Zusätzlich werden Lastspitzen im Netz reduziert und die Netzstabilität erhöht.
Die Strompreise sollten Verbraucherinnen und Verbraucher immer im Blick behalten.
Gibt es denn Verbrauchergruppen, denen der dynamische Stromtarif ganz besonders hilft?
Dynamische Stromtarife sind der perfekte Partner für digitale Smart-Home oder HEMS-Lösungen, die den Verbrauch automatisiert steuern und optimieren können. Digitale Lösungen entwickeln sich hier schnell weiter. Bald wird es möglich sein, beispielsweise den nicht benötigten Strom aus dem E-Auto (Vehicle2Grid) profitabel zu verkaufen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher sind dynamische Tarife in Ihrer Kostenstruktur deutlich transparenter, was zu einer faireren Preisgestaltung führt.

Unterschiede zwischen statischen und dynamischen Stromtarifen – „Risiko wird weitergegeben“

Das unterscheidet sich deutlich von statischen Stromtarifen...
Klassische Tarife funktionieren mit einem festgelegten Strompreis über einen vertraglich definierten Zeitraum. Kundinnen und Kunden müssen einen zuvor vereinbarten Grundpreis (auf Jahresbasis) und einen fixen Arbeitspreis in Cent pro Kilowattstunde für ihren Stromverbrauch bezahlen. Dadurch übernehmen in klassischen Tarifen Stromanbieter das Preis-Risiko, bei dynamischen Tarifen wird das Risiko an die Verbraucherin oder den Verbraucher weitergegeben.
Es bestehen also auch Nachteile?
Da Preise genauso nach oben schwanken wie nach unten, kann das ohne genaue Planung und Optimierung auch zu erhöhten Kosten führen. Das Preisrisiko liegt komplett bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Insbesondere ist es ohne digitale Technik (z.B. HEMS) oder Infrastruktur (Smart Meter) fast unmöglich, diese Optimierungen durchzuführen. Ebenso lässt sich nur mit großen Verbrauchseinheiten im Haushalt (z. B. E-Auto, Wärmepumpe) eine spürbar preisliche Optimierung durchführen.

Dynamische Stromtarife nicht für alle Verbraucherinnen und Verbraucher ratsam: „Kann zu deutlich erhöhten Kosten führen“

Für wen kann es in einem dynamischen Stromtarif besonders teuer werden?
Insbesondere wenn ein Haushalt oft zu teuren Zeiten* Strom benötigt und dieses Verbrauchsverhalten nicht steuern kann oder will, kann das zu deutlich erhöhten Kosten führen. Auch ist es aktuell noch sehr schwer, sein Verbrauchsverhalten genau nachzuverfolgen, weil häufig noch kein Smart Meter eingebaut ist oder Verbraucherinnen und Verbraucher sich damit (noch) nicht intensiv genug beschäftigt haben.

*Anmerkung der Redaktion: Bei der Energieversorgung wird zwischen Tag- und Nachtstrom unterschieden – und zwar bezüglich des Zeitfensters, in dem Strom angeboten wird, als auch des Preises. Dabei sind Nachtstromtarife im Vergleich zu den Tagstromtarifen günstiger. In der Regel wird zwischen 6 Uhr und 22 Uhr Tagstrom geliefert, von 22 Uhr bis 6 Uhr Nachtstrom.

Ein Smart Meter wird für viele ab 2025 Pflicht. Was kann das Gerät, was bisherige Stromzähler nicht können?
Durch die Echtzeiterfassung des Stromverbrauchs können Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Netzbetreiber jederzeit einsehen, wie viel Strom sie aktuell nutzen – und so besser planen. Das alles erfolgt zu 100 Prozent digital, das heißt es müssen keine Ablesekarten oder ähnliches verschickt werden. Das spart natürlich Zeit, Mühen und vermeidet Fehler bei der Ablesung. Diese „neue“ Transparenz ist die Voraussetzung für die Optimierung von Stromkosten im Haushalt und die Stabilisierung des gesamten Stromnetzes im Zuge der Energiewende. Letztlich führen diese Zähler zu einem nachhaltigeren, effizienteren Umgang mit Energie, sowohl auf individueller als auch auf infrastruktureller Ebene.
Wie viele Haushalte in Deutschland nutzen bereits einen Smart Meter?

Rubriklistenbild: © C. Hardt Future Image/Imago Patrick Lux/Wechselpilot