Krise bei Volskwagen

Streik und Tarifrunde bei VW: Platzt Einigung, greifen Schattentarife – mit Milliarden-Folgen

  • Hannes Niemeyer
    VonHannes Niemeyer
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  • Mark Simon Wolf
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Falls IG Metall und der Firmenleitung keine Einigung erzielen, könnten Schattentarife die Gehälter und Arbeitszeiten automatisch erhöhen – die finanziellen Konsequenzen für VW wären drastisch.

Update vom 9. Dezember, 11.12 Uhr: Die IG Metall droht vor der vierten Tarifrunde bei VW mit einer nochmaligen Ausweitung der Warnstreiks. „Jetzt liegt es am Unternehmen“, sagte Verhandlungsführer Thorsten Gröger vor dem Beginn der Gespräche in Wolfsburg. „Das Unternehmen muss sich jetzt auf die IG Metall zubewegen.“

Sonst drohe eine weitere Eskalation des Arbeitskampfs, sagte VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo, die für die Gewerkschaft mit am Verhandlungstisch sitzt. Noch sei man im Warnstreikmodus. „Aber wenn es natürlich eine weitere Eskalation gibt, dann wird auch die nächste Stufe gezündet.“

Begleitet von neuen Warnstreiks treffen sich am Nachmittag in Wolfsburg Vertreter von VW und IG Metall zu ihrer vierten Tarifrunde. VW verlangt wegen Absatzschwierigkeiten von den Mitarbeitern eine Lohnkürzung von zehn Prozent. Auch Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen stehen im Raum. Die IG Metall will das verhindern und verlangt den Erhalt aller Standorte und eine Beschäftigungsgarantie für die rund 130.000 Mitarbeiter. Lohnkürzungen lehnt die Gewerkschaft ab. 

VW droht Milliarden-Problem: Platzt Tarif-Einigung, greifen alte Schattentarife – mit heftigen Folgen

Erstmeldung: Wolfsburg – Die Fronten zwischen Volkswagen und der IG Metall sind verhärtet. Während die Belegschaft mit dem Ablauf der Friedenspflicht in der Nacht von Sonntag auf Montag (2. Dezember) gegen die Sparmaßnahmen der Spitze des Autokonzerns streikt, laufen hinter den Kulissen die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien. Gleichzeitig steigt aus wirtschaftlicher Sicht von Tag zu Tag der Druck – das legt zumindest ein Bericht des Handelsblattes nahe. Bleibe eine Einigung zwischen Belegschaft und Konzern in den kommenden Wochen aus, drohen VW zusätzliche Kosten zwischen einer und zwei Milliarden Euro. In Konzernkreisen sei demnach von einem Schattentarif die Rede, durch den bei einem Scheitern der Verhandlungen alte tariflichen Regelungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1994 in Kraft treten würden.

Bei VW stehen schwierige Tarifverhandlungen an.

Schattentarif als Damoklesschwert – VW drohen Mehrkosten von bis zu zwei Milliarden Euro

In diesem Szenario steigen die Gehälter der 120.000 Angestellten der AG um rund 4,5 Prozent, allerdings ohne Tarifabschluss. Dieser Wert geht aus einer „Schattenentgelt“-Tabelle hervor, in der zudem von 1,3 zusätzlichen Monatsgehältern für Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Boni die Rede ist – Geld, das der Dax-Konzern derzeit nicht hat. Die Folgen wären neue Rückstellungen, um die Mehrkosten zu decken. Und: eine erneute Gewinnwarnung. Erst bei der letzten Betriebsversammlung in Wolfsburg am Mittwoch (4. Dezember) gab Konzernchef Oliver Blume laut Business Insider offen zu, dass VW ein „Sanierungsfall“ sei. Allein in China fehlten für 2024 rund 3,4 Milliarden Euro aus Autoverkäufen.

Doch auch die Arbeitnehmerseite hätte bei einem Scheitern der Gespräche einen erheblichen Nachteil. Statt der im Konzern weitverbreiteten 33- bzw. 34-Stundenwoche, würde die Arbeitszeit tarifübergreifend auf 35 Stunden steigen. Wenn am 9. Dezember die vierte Tarifrunde beginnt und sich Konzernspitze mit Arbeitnehmervertretern der Gewerkschaft IG Metall erneut trifft, könnte es zudem auch um den Zeitpunkt gehen, wann der Schattentarif endgültig einsetzen könnte. VW rechnet mit einem Start im Juli, während die IG Metall die Regelung spätestens ab Juli in Kraft treten sieht. Vermutlich steckt hinter beiden Auslegungen auch Kalkül, um den Druck für die kommende Verhandlungsrunde zu erhöhen.

VW fordert pauschale Lohnkürzung um zehn Prozent – Lob und Peitsche von Oliver Blume

In der vergangenen hatte die IG Metall eine Beschäftigungssicherung über das Jahr 2030 hinaus gefordert. Als Gegenleistung wolle die Arbeitnehmerseite auf die Tariferhöhung verzichten und diesen in einen Zukunftsfonds einbringen. Das Modell lehnte die VW-Spitze um Oliver Blume allerdings ab, plädierte ihrerseits für eine pauschale Lohnkürzung um zehn Prozent. Auch Boni und Zulagen für Überstunden oder Wochenendschichten sollen wegfallen. Angesichts des im Sommer beschlossenen strikten Sparprogramms, das bis 2026 Einsparungen von 17 Milliarden Euro vorsieht, gilt zudem generell eine Rücknahme der anvisierten betriebsbedingten Kündigungen sowie mehrerer Werksschließungen von Seiten der VW-Spitze als unwahrscheinlich. Besonders, weil laut Unternehmenskreisen die derzeit viel zu teuren Produktions- und Arbeitskosten die größten Sorgenkinder des Konzerns sind.

So pries Blume auf der Betriebsversammlung zwar die Beschäftigten als „tolles Team“ an. Doch die eigentliche Botschaft war ebenso eindeutig gegen den Arbeitsplatzerhalt zu verstehen: „Unsere Produkte sind gut, jetzt müssen wir mit den Kosten runter – in allen Bereichen.“

Betriebsratschefin Daniela Cavallo erhöht Druck auf Blume – Weihnachten als Fixpunkt für Einigung?

Demgegenüber fordert die Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo mehr Kompromissbereitschaft von Blume ein: Sollte man sich nicht zusammenraufen können und der Vorstand beharre auf seinem Standpunkt, eskaliere es weiter, zitiert der Spiegel Cavallo. Dabei gilt Weihnachten für sie als Fixpunkt: „Es ist am Vorstand, wie es hier weitergeht vor Weihnachten“, ergänzte die Betriebsratschefin – und schob den Druck auf Blume zurück. Doch dieser bleib unbeeindruckt und bat die Beschäftigten darum, über Weihnachten Ruhe zu tanken – oder vielleicht übersetzt: Kommt zur Besinnung? An einer Eskalation dürften jedoch beide Seiten kein Interesse haben. Denn diese bedeute Stillstand und auf lange Sicht würde der Schattentarif einsetzen. Auch wenn die Arbeitnehmerseite in diesem Szenario kurzfristig besser dasteht, würden die wirtschaftlichen Folgen für den Konzern sie langfristig ebenfalls einholen.

Das weiß auch Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD), der aufgrund seines Amtes auf beiden Seiten steht. Dieser sagte auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel, dass er bezüglich einer Einigung vor Weihnachten zuversichtlich sei. Er schob dann vorsichtig nach: „Ich wünsche mir das sehr.“

Rubriklistenbild: © Moritz Frankenberg / dpa

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