Große Versorgungsdefizite bei Patienten

„Nicht optimal“ – AOK warnt vor Problemen bei Behandlung von Krebs- und Notfallpatienten

  • VonTheresa Breitsching
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Krebs-und Notfallpatienten erhalten in deutschen Krankenhäusern oft nicht die beste Versorgung. Betroffene wurden in suboptimalen Krankenhäusern behandelt.

Berlin – Patienten, die in deutschen Krankenhäusern behandelt werden, erwarten sich in ihrer Notlage eine bestmögliche Behandlung. Dies ist aber nicht immer der Fall. Zu diesem Schluss kommt der Krankenhaus-Rating-Report 2024, der große Probleme im deutschen Gesundheitswesen offenbart. Die AOK warnt etwa vor Versorgungsdefiziten bei Krebs- und Notfallpatienten. So seien rund 9.000 Frauen mit Brustkrebs in deutschen Krankenhäusern behandelt worden, „die dafür nicht optimal aufgestellt sind“. Die Behandlungsqualität unterscheidet sich außerdem je nach Bundesland.

In deutschen Krankenhäuser werden Herzinfarkt-Patienten oft nicht optimal versorgt

Der Krankenhaus-Report 2024 der Krankenkasse AOK deckt auch Qualitätsprobleme in der Notfall-Versorgung auf. Patienten mit Herzinfarkt können in Deutschland oft nicht auf die beste Behandlung zählen – weil sie etwa in Kliniken ohne Herzkatheterlabor eingeliefert werden. Fast fünf Prozent der über 190.000 Herzinfarkt-Patienten im Jahr 2022 wurden in Deutschland in Spitälern behandeln, die nicht über ein solches Labor verfügten, konkret waren 9.400 Herzinfarkt-Patienten davon betroffen. Besonders kritisch ist dies bei schweren Herzinfarkt-Fällen, die möglichst innerhalb von 90 Minuten eine Herzkatheter-Behandlung benötigen, um die Überlebenschancen zu maximieren.

Die optimale Versorgung hängt auch vom Bundesland ab. Im Saarland wird etwa jeder neunte Herzinfarkt-Fall in einem Spital ohne Herzkatheterlabor behandelt, in Hamburg sind hingegen alle betroffenen Patenten bestmöglich versorgt worden. „Wir sehen bei diesen regionalen Unterschieden wenig Bewegung im Zeitverlauf – schon 2018 war das Hamburg auf dem ersten und das Saarland auf dem letzten Platz“, meint Christian Günster vom wissenschaftlichen Institut der AOK. Es gebe offensichtlich in einigen Bundesländern Probleme bei der Steuerung der Patienten in geeignete Kliniken, denn „eigentlich haben wir in Deutschland keinen Mangel an Herzkatheterlaboren“. In 80 Städten seien Patienten mit Herzinfarkt in Kliniken ohne Herzkatheterlabor geschickt worden, obwohl in derselben Stadt ein geeigneteres Spital möglich gewesen wäre. „Das ist ein andauerndes Problem, das eindeutig planerisch gelöst und im Rahmen der Krankenhausreform endlich angepackt werden sollte“, so Günster.

Einigen deutschen Krankenhäusern fehlt Routine bei Brustkrebsoperationen

Bei Brustkrebspatienten gibt es laut AOK ebenfalls Aufholbedarf: 2022 seien weniger als 25-Brustkrebs-Fälle in fast 20 Prozent aller an der Brustkrebs-Versorgung beteiligten Krankenhäusern operiert worden. Im Durchschnitt habe es daher circa nur alle zwei Wochen einen Eingriff gegeben. „Bei solchen Fallzahlen kann man nicht davon ausgehen, dass es in diesen Kliniken ein routiniertes Behandlungsteam oder gar eine eingespielte Prozesskette gibt“, so Günster.

Rund 40 Prozent der deutschen Kliniken, in denen rund 13 Prozent aller Brustkrebspatienten operiert wurden, verfügten außerdem nicht über ein Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft oder eine vergleichbare Zertifizierung. „Somit wurden mehr als 9.000 Frauen mit Brustkrebs in Krankenhäusern behandelt, die dafür nicht optimal aufgestellt sind“. Auch hier gibt es bundesweit große Unterschiede: In Sachsen-Anhalt fand jede vierte Brustkrebsoperation in einer nicht-zertifizierten Klinik statt, in Berlin waren es nur 0,2 Prozent. Die AOK zitiert eine Auswertung, die Patienten in zertifizierten Zentren einen Überlebensvorteil von 20 Prozent zuschreibt. Günster hofft, dass die 2024 neu eingeführte Mindestmenge für Brustkrebs-OPs bald Fortschritte bringen wird.

In Deutschland erkranken jedes Jahr circa eine halbe Million Menschen an Krebs

Bei der aktuell diskutierten Krankenhausreform, die bis zum neuen Jahr abgeschlossen sein soll, gibt es laut AOK weiterhin Defizite bei der onkologischen Versorgung. Rund eine halbe Million Menschen erkrankt jährlich in Deutschland an Krebs, rund 230.000 Menschen versterben jedes Jahr an der Erkrankung. Der Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes sieht bei Operationen auch zukünftig keine Zertifizierung vor, obwohl dies die Regierungskommission vorgeschlagen hätte. Das Ministerium plane stattdessen, die Versorgung anhand von Fallzahlen zu regulieren. Das sehen Experten mit sehr kritisch, denn damit könnte die Qualität der Versorgung in den Hintergrund rücken: „Zertifizierung stellt die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit von Fachkräften sicher, sie sorgt für die Erstellung passgenauer, komplexer tumor- und stadienspezifischer Behandlungspläne, die mit hoher Expertise umgesetzt werden können, und garantiert die Orientierung der Behandlung an evidenzbasierten Leitlinien“, erklärt Versorgungsforscher Jochen Schmitt.

Kliniken mit den niedrigsten Fallzahlen sollen dem Entwurf nach keine Vergütung erhalten – ausschlaggebend ist die Summe der Fallzahlen, die 15 Prozent der Gesamtfallzahlen betragen muss. „Dass onkologische Behandlungen an weniger Kliniken gebündelt werden, ist gut und überfällig“, so Schmitt. „Eine Regulierung muss aber Anreize für gute Strukturen setzen“. Ohne Anpassung, könnte die neue Regelung daher sogar kontraproduktiv sein.

„Teure, leere Hülle“: Reform deutscher Krankenhäuser geplant

Im Hinblick auf die anstehende Krankenhausreform appelliert die AOK an Bund und Länder, anspruchsvolle Behandlungen zu bündeln und in den dafür am besten geeigneten Kliniken durchzuführen. Die Strukturreform zur Verbesserung dürfe dabei nicht von der Finanzierungsreform entkoppelt werden, damit das Gesetz nicht zu einer „teuren leeren Hülle ohne positive Effekte für die Versorgung der Patienten“ wird, denn diese sollen unbedingt im Spital mit der bestmöglichen Versorgung landen. „Um das zu erreichen, sollten die Länder beispielsweise verpflichtet werden, Versorgungsaufträge nur an diejenigen Krankenhäuser zu vergeben, die die entsprechenden Mindestvorhaltezahlen erreichen. Auf diese Weise bleiben Versorgungsaufträge und Vorhaltefinanzierung eng miteinander verbunden“, forderte AOK-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann Ende April dieses Jahres.

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