Bürokratischer Albtraum

Pistorius möchte zurück zur Wehrpflicht – so viel Personal wäre dafür nötig

  • VonBleranda Shabani
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Eine Rückkehr zur Wehrpflicht würde für die Bundeswehr teurer werden als erwartet. Ein Bericht enthüllt die finanziellen und personellen Herausforderungen.

Frankfurt – 2011 wurde die Wehrpflicht abgeschafft. Die Aussetzung durch den damals amtierenden Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sei laut des heutigen Amtsinhabers Boris Pistorius (SPD) ein Fehler gewesen. Oft hat er für eine Wiedereinführung plädiert.

Ein Bericht von Business Insider hebt hervor, dass die von Pistorius vorgeschlagene Wiedereinführung der Wehrpflicht zunehmend auf politischen Widerstand stößt. Trotz kontinuierlicher Überlegungen innerhalb der Bundeswehr zur praktischen Umsetzung äußerte sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) überraschend skeptisch gegenüber diesem Vorhaben.

Während einer Pressekonferenz in Stockholm machte er deutlich, dass die heutigen Bedingungen sich deutlich von früheren Zeiten unterscheiden, in denen die Wehrpflicht noch funktionierte. Ein Mangel an Ressourcen und Infrastruktur sei hierbei maßgeblich.

„Wehrpflicht light“: Zweifel im Verteidigungsministerium

Demnach werden auch innerhalb des Verteidigungsministeriums zunehmend Bedenken gegen die Pläne geäußert. Bei der Diskussion handelt es sich jedoch nicht um die frühere Wehrpflicht, sondern um die „Wehrpflicht light“ - inspiriert vom schwedischen System. In Schweden wurde die Wehrpflicht 2010 auch abgeschafft.

Allerdings wurde aufgrund eines Mangels an Rekruten die allgemeine Wehrpflicht im Jahr 2017 wieder eingeführt, wobei ein Großteil der Dienstleistungen weiterhin auf freiwilliger Basis erfolgt. Bei Eintritt der Volljährigkeit sind alle verpflichtet, einen Fragebogen auszufüllen, und nur die geeigneten Kandidaten werden zur Musterung eingeladen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Interne Schätzungen der Bundeswehr: Zu viel Personal benötigt

Nach diesem System könnten alle wehrfähigen deutschen Männer und Frauen angeschrieben und befragt werden. Doch selbst diese abgeschwächte Form würde einen erheblichen Personalbedarf mit sich bringen.

Interne Schätzungen der Bundeswehr zeigen, dass allein für die Bearbeitung der Fragebögen mindestens 500 neue Stellen erforderlich wären, berichtet Business Insider. Hinzu kämen Hunderte weitere Positionen für die Musterung, darunter Sachbearbeiter und Mediziner. Die Kosten für das Personal allein werden auf bis zu 160 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.

Dem Bericht zufolge bedarf es für jede Gruppe von 100.000 jungen Personen etwa 600 Positionen für Dienstleistungen. Wenn also alle 650.000 jungen Männer und Frauen im Falle der „Wehrpflicht light“ geprüft werden sollten, wären demnach 4400 zusätzliche Stellen erforderlich.

Auch die Infrastruktur, insbesondere für die Musterung, stellt wohl eine Herausforderung dar - insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an die Räumlichkeiten. Musterungsämter müssen nicht nur Platz für administrative Tätigkeiten bieten, sondern auch die Durchführung medizinischer Untersuchungen ermöglichen. Daher sind einfache Büroräume ungeeignet und es bedarf spezifischer Einrichtungen, die den Standards für medizinische Prüfungen gerecht werden.

Debatte in der Koalition: Wehrpflicht als unpraktikabel angesehen

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), hat trotz gewisser Fortschritte eine kritische Bilanz des Zustandes der Bundeswehr gezogen. „Die Bundeswehr hat immer noch von allem zu wenig“, sagte Högl am Dienstag in Berlin mit Blick auf fehlendes Material bei der Vorstellung ihres Jahresberichts 2023. Und für das Personal gelte: „Die Bundeswehr altert und schrumpft.“

Die SPD-Politikerin warb auch für eine offene Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht - wenn auch mit „modernen Konzepten“ für ein Gesellschaftsjahr, das auch Einsätze im Sozial- oder Umweltbereich einschließen würde. Konzepte sollten dann möglichst in der folgenden Wahlperiode umgesetzt werden.

Von Koalitions-Kollegen wird die Wehrpflicht, selbst in abgeschwächter Form, mittlerweile als unpraktikabel angesehen. Um den Bedarf an zusätzlichen Soldaten im Friedensfall zu decken, werden verstärkt Reservisten oder eine Erhöhung der Berufssoldaten in Betracht gezogen.

Für den Fall eines Angriffs wären sogar weit mehr Soldaten erforderlich, was selbst eine Wehrpflicht kaum bewältigen könnte, berichtet Business Insider. Die alleinige Abhängigkeit von der Wehrpflicht für die Landes- und Bündnisverteidigung scheint daher nicht ausreichend zu sein. Mit Material von AFP.

Rubriklistenbild: © Bernd Elmenthaler/Imago

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