Höheres Defizit als erwartet

Sonst „dreht sich die Beitragsspirale weiter“: Krankenkassen fordern drastische Maßnahmen

  • Markus Hofstetter
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Auf den Kassen lastet ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro. Das nimmt die GKV-Chefin zum Anlass, drastische Maßnahmen von der Politik zu fordern.

Berlin - In den vergangenen Monaten haben sich die Hiobsbotschaften für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler bei den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gehäuft. Zum Jahreswechsel haben nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) 82 der 94 Kassen die sogenannten Zusatzbeiträge erhöht, die von den Versicherern selbst festgelegt werden.

Krankenkassen fordern Ausgabenmoratorium: Ausgabendynamik ist ungebrochen

Im Januar kündigte die Techniker Krankenkasse (TK) an, dass die Erhöhung voraussichtlich nicht ausreichen werde, um die steigenden Kosten zu decken. Der DAK-Chef warnt, dass Krankenkassen vor der Insolvenz stehen. Erst kürzlich berichtete Politico, dass das Defizit der Kassen im Jahr 2024 mit 6,2 Milliarden Euro deutlich höher ausgefallen sei, als noch im Dezember vom GKV-Spitzenverband prognostiziert.

Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbandes, hat dies nun bestätigt. Nach ihren Angaben lag das Defizit der Krankenkassen im vergangenen Jahr nach neuesten Berechnungen bei 6,2 Milliarden Euro und damit 700 Millionen Euro höher als zuletzt erwartet. „Die Ausgabendynamik ist ungebrochen, es muss nun schnell gehandelt werden“, mahnte sie im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Die GKV-Chefin beklagt galoppierende Ausgaben für Krankenhäuser, Arzneimittel und Ärzte. (Symbolbild)

Krankenkassen fordern Ausgabenmoratorium: Politik muss sofort handeln

Pfeiffer fordert von der Politik drastische Maßnahmen, um die Finanzen zu stabilisieren. „Wir brauchen ein Ausgabenmoratorium, damit die Ausgaben nicht weiterhin schneller steigen als die Einnahmen.“ Das Moratorium, also dass die Kassen ab sofort nicht mehr ausgeben müssen, als sie über Beiträge einnehmen, müsse so lange gelten, bis durch geeignete Strukturreformen Einnahmen und Ausgaben wieder ins Gleichgewicht gebracht sind. Dieser Appell richtet sich an Union und SPD, die Parteien sollen in ihren Koalitionsverhandlungen entsprechende Schritte vereinbaren.

Angesichts der zu Jahresbeginn gestiegenen Krankenkassenbeiträge forderte Pfeiffer die Politik zum sofortigen Handeln auf, sonst „dreht sich die Beitragsspirale einfach weiter“. Das würde für Millionen Versicherte und ihre Arbeitgeber spätestens Anfang 2026 wieder deutlich steigende Krankenkassenbeiträge bedeuten.

Krankenkassen fordern Ausgabenmoratorium: Viele Gewinner, nur einen Verlierer

Preis- und Honorarsteigerungen, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen, dürfe es nicht mehr geben. „Damit gewinnt die Politik Zeit, um die notwendigen Strukturreformen anzugehen“, argumentierte Pfeiffer. Nötig sei ein grundlegender Kurswechsel in der Gesundheitspolitik, forderte die Verbandschefin.

Das Problem seien die „galoppierenden Ausgaben“. Die Kassen müssten oft zu viel Geld für zu wenig Qualität bezahlen. Die Gesundheitspolitik der vergangenen zehn Jahre habe viele Gewinner und einen Verlierer hervorgebracht: Die Krankenhäuser hätten so viel Geld wie noch nie bekommen, die Pharmaunternehmen enorme Einnahmesteigerungen und die Ärztinnen und Ärzte überproportionale Honorarzuwächse. „Verlierer waren die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die das alles durch hohe Beitragssatzsteigerungen bezahlen müssen“, sagte Pfeiffer dem RND.

Die zehn häufigsten Krankheiten in Deutschland

Eine kranke Frau schnäuzt sich die Nase
Atmungssystem Seit der Corona-Pandemie ein verstärkter Faktor: Erkrankungen der Atemwege, dazu zählen auch Erkältungen, Grippe aber auch chronische Atemwegserkrankungen machen laut einer Studie der DAK von 2022 32,6 % der Krankheitsfälle der Versicherten aus. Insgesamt waren Atemwegserkrankungen für 19,9 % der Fehltage verantwortlich.  © Svetlana Karner/Imago
Person mit Beinmuskelschmerzen
Muskel-Skelett-System Zu Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems gehören Erkrankungen der Wirbelsäule wie etwa ein Bandscheibenvorfall oder Muskel- und Sehnen-Leiden. An Erkrankungen dieser Art leiden jährlich etwa 11,6 % aller Erwerbstätigen. Muskel-Skelett-Leiden waren für 17,7% der Krankheitstage der DAK-Versicherten verantwortlich.  © Isai Hernandez/Imago
Junge Frau, der es nicht gut geht
Äußere Ursachen und Faktoren 2022 blieben 10,8 % der Erwerbstätigen wegen „äußeren Ursachen und Faktoren“ zu Hause. Dazu gehören alle äußeren Umstände, die arbeitsunfähig machen können, laut Apotheken.de etwa Allergien, chemische Reaktionen oder ähnliches. Sie stehen im Gegensatz zu inneren Faktoren, wie etwa genetischen Erkrankungen. Die Gruppe war für 10,8 % der Krankheitstage verantwortlich.  © Josep Suria/Imago
Kranke Frau im Bett
Infektionen Zu Infektionen gehören Virus-Infekte, laut Zdf.de aber auch Darmerkrankungen oder sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV oder Chlamydien. Diese Leiden machen 10,0 % der Erkrankungen aus, sorgen aber nur für 5,2 % der Arbeitsunfähigkeitstage.  © Marina Beilina/Imago
Mann putzt sich die Nase im Bett neben Freund
Unspezifische Symptome Krankmelden, weil es einem „nicht gut geht“. Auch das ist in Ordnung und wurde 2022 in 8,3 % der Fälle als Grund für eine Krankschreibung genutzt. 5,1 % der AU-Tage wurden so begründet.  © Cristina Villar Martin/Imago
Frau hält sich den Magen
Verdauungssystem Zu den Erkrankungen des Verdauungssystems gehören sowohl Magen- oder Darm-Leiden als auch Erkrankungen im Mund. Auch Karies wird hier mit eingerechnet. Diese Leiden sind für 6,2 % der Krankschreibungen von DAK-Versicherten verantwortlich, die damit 3,6 % der Fehltage ausmachen.  © Imago
Junges Mädchen mit verbundenem Arm
Verletzungen und Vergiftungen 5,5 % der Krankheitsfälle 2022 waren auf Verletzungen oder Vergiftungen zurückzuführen. Dazu gehören Verletzungen an den Gelenken, Kopf, Armen und Beinen sowie Verbrennungen und Vergiftungen, etwa durch Drogen oder Lebensmittel. 9,6 % der Krankheitstage waren mit solchen Leiden begründet.  © Imago
Frau mit Depressionen im Düsteren
Psychische Erkrankungen Psychische Erkrankungen sind zwar nur für 4,6 % der Krankheitsfälle verantwortlich, allerdings fallen Betroffene in solchen Fällen oft länger aus. Der Anteil der Fehltage aufgrund von diesen Erkrankungen, zu denen auch Depressionen, Burnout, Essstörungen und Alzheimer gehören, lag 2022 bei 15,1 Prozent.  © Imago
Frau hält sich das schmerzende Ohr
Nervensystem, Augen, Ohren Erkrankungen des Nervensystems, der Ohren und der Augen machen zusammen einen Anteil von 4,1 % der Krankschreibungen aus. Insgesamt fielen Erwerbstätige an 3,6 % der AU-Tage wegen einer solchen Erkrankung aus.  © Imago
Haut Untersuchung Muttermal
Neubildungen Unter den Punkt „Neubildungen“ fasst die DAK 0,9 Prozent der Krankheitsfälle, die 2022 für 3,2 % der Fehltage verantwortlich waren. Dazu gehören laut Gesund.bund.de zum Beispiel Hautneubildungen und andere Erkrankungen, die auf Krebs hindeuten können.  © Anastasiia Yanishevska/Imago
Krankschreibungen für sonstige Erkrankungen
Sonstige 5,3 % der Krankheitsfälle fasst die Krankenkasse in ihrer Studie als „sonstiges“ zusammen. Diese unspezifischen Erkrankungen machten 6,7 % der Fehltage aus.  © Imago

Höheres Defizit der Krankenkassen als erwartet: Versorgung von Bürgergeldempfängern soll aus Steuermitteln finanziert werden

Eine neue Bundesregierung sollte auch die Versorgung von Beziehern von Bürgergeld komplett aus Steuermitteln finanzieren. Nach ihren Angaben würde die vollständige Übernahme die gesetzlichen Krankenkassen jährlich um zehn Milliarden Euro entlasten. Dies entspricht etwa 0,5 Beitragssatzpunkten.

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