Digitalisierung

„Wir hinken überall nach“ – Ausbildung und Schule stehen in Deutschland vor diesen drastischen Veränderungen

  • Moritz Maier
    VonMoritz Maier
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Ganze Berufsbranchen werden bald obsolet, andere verändern sich drastisch, prognostiziert eine Fachfrau. Deutschland sei darauf bisher nicht eingestellt.

Berlin – Die wohl künftige schwarz-rote Bundesregierung ist noch gar nicht angetreten und hat trotzdem schon eine hitzige Debatte in Sachen Bildungssystem losgerissen. Mit dem Andocken des bisher separaten Bildungsministeriums an das für Familie zuständige Haus soll besonders die frühkindliche Bildung ganzheitlich verbessert werden. Mit diesem Fokus befürchten manche, dass die Bildung in späteren Schuljahren und beim Übergang in das Berufsleben künftig zu kurz kommt. Besonders in Sachen Ausbildung zeichnet Barbara Kreis-Engelhardt vom Bundesverband Deutscher Berufsausbilder (BDBA) ein in Teilen düsteres Zukunftsszenario.

Ausbildung und Schule stehen in Deutschland vor großen Veränderungen

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD liegt ein Fokus auf mehr Geld für sanierungsbedürftige Schulen und sozial benachteiligte Kinder, indem funktionierende Förderprogramme wie das Startchancen-Programm ausgebaut werden. Dass zwei Ministerien nun zusammengeworfen werden, kann Vor- und Nachteile haben, sagt Kreis-Engelhardt, die auch Professorin für Business-Transformation und Leadership an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen ist.

Lässt die nächste Bundesregierung Azubis hängen? Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD zieht einige Kritik auf sich – inklusive Sorgen um die Zukunft der deutschen Ausbildungslandschaft.

„Das ist eine zweischneidige Sache. Einerseits ist die engere Bindung von Bildung und Familie gut, um mit familiären Problemen vieler Kinder auch in Richtung Ausbildung und Beruf besser umgehen zu können und sie zu begleiten“, so die BDBA-Vizepräsidentin im Gespräch mit dieser Redaktion. „Andererseits besteht durch die Trennung von Bildung und Forschung die Gefahr, dass die Forschung, aber auch die berufliche Bildung hintenan fällt und gerade im Ausbildungskontext nicht mehr die nötige Beachtung bekommt.“ Mit dem Fokus auf die frühkindliche Bildung sei außerdem zu befürchten, dass gute Bildungsansätze wie die MINT-Förderung oder berufsnahes Lernen ab dem Übertritt wieder vernachlässigt werden, was schon jetzt häufig der Fall sei. Zuständig sind in diesen Fragen letztlich die Länder. Der Bund könne aber appellieren, so die BDBA-Vize.

Fachfrau appelliert: Bundesregierung muss Weichen in Bildungspolitik stellen

Zwar bremste der deutsche Bildungsföderalismus schon so manche Reformideen aus Berlin, aus der Verantwortung darf sich die Bundespolitik deshalb aber nicht ziehen, so die Forderung. „Wo der Bund direkt ran muss, ist bei der Digitalisierung. Dort hinken wir überall nach und es ergibt ökonomisch nur Sinn, bundesweite Strukturen aufzubauen, statt jedes Land selbst machen zu lassen.“ Die Hochschulprofessorin spricht sich für einheitliche digitale Lernplattformen, Strukturen und Inhalte aus, auch mit Blick auf Azubis. „Da klagen unsere Ausbilder oft über eine zu heterogene Landschaft.“ Die Bald-Regierung will mit dem DigitalPakt 2.0 länderübergreifenden Maßnahmen voranbringen.

Deutschlandweit fehlen etliche Azubis – gleichzeitig haben knapp drei Millionen junge Menschen keinen Berufsabschluss.

Vor allem in Sachen Aufbau des Ausbildungssystems sieht die BDBA-Vizepräsidentin großen Reformbedarf. „Manche Berufe sind gut institutionalisiert und verändern sich wenig, da laufen die Strukturen über Ausbildungskammern recht reibungslos. Andere Berufe befinden sich durch technische Neuheiten wie KI aber gerade massiv im Wandel und werden entweder bald ganz anders aussehen oder sogar ganz überflüssig“, beschreibt Kreis-Engelhardt. „Da brauchen wir marktgerechte Ausbildungsstrukturen, die nicht erst mit jahrelanger Verzögerung auf Entwicklungen reagieren. Dazu steht im Koalitionsvertrag leider nichts.“

Berufsbranchen durch KI gefährdet

Ganze Branchen werden sich demnach in kurzer Zeit verändern, so die Prognose. „Bis eine Kammer da reagiert und eine Ausbildung anpasst, ist es oft zu spät.“ Die Fachfrau fordert agilere Systeme. „Unternehmen sollen junge Leute selbst nach ihren aktuellen Anforderungen ausbilden können – nach dem, was der Markt gerade verlangt und nicht dem, was in einer bereits veralteten Prüfung abgefragt wird.” Nur mit einem wirtschafts- und wachstumsförderndem Umfeld lohne sich die berufliche Ausbildung und Zukunftssicherung. „Wir sprechen da von einem kompletten Systemwechsel  – aber angesichts der Probleme und Herausforderungen ist das nötig.”

Auch die Grüne Bildungspolitikerin und Professorin für soziale Arbeit, Anja Reinalter, klagte zuletzt im Gespräch mit dieser Redaktion Mängel der künftigen Bundesregierung in der bildungspolitischen Vision an. „Wir haben fast drei Millionen junge Leute, die nicht arbeiten und nicht wissen, was sie überhaupt können. Man muss Bildung vom frühkindlichen bis ins Erwachsenenalter sehen. Schwarz-Rot legt keinen Schwerpunkt auf den ganzheitlichen Blick.“ Reinalter vermutet hinter der Neuordnung der Ministerien eher persönliche Karrierewege als einen fachlichen Mehrwert.

Rubriklistenbild: © IMAGO/Michael Bihlmayer