„Es ist irrational“
„Fanfaren und Orchester“: Warum Orbán Russland und Putin hofiert
VonFlorian Naumannschließen
Viktor Orbán wirkt oft wie ein EU-interner Helfer Wladimir Putins. Warum handelt der Ungar so? Eine Kontrahentin hat eine wenig schmeichelhafte These.
Straßburg – Ungarn ist wahrlich nicht das größte oder mächtigste Land der EU. Aber sein Regierungschef steht permanent im Fokus: als Enfant Terrible und Quertreiber. Viktor Orbán blockiert immer wieder den EU-Kurs im Ukraine-Krieg, ruft die illiberale Demokratie aus – und er pfeift so weit wie irgend möglich auf Kritik an seinem als rechtsstaatsfeindlich gebrandmarkten Kurs in der Heimat. Am augenfälligsten aber vielleicht: Er singt im Kreise der Staats- und Regierungschef immer wieder Wladimir Putins Lied.
Warum aber, so lautet eine mögliche von vielen großen Fragen rund um Orbán, tut er das? Die ungarische Sozialdemokratin und Europa-Abgeordnete Klára Dobrev ist eine von Orbáns prominentesten Kritikern. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA in Straßburg äußert sie eine These zu den Hintergründen von Orbáns Handeln. Es sei schwer zu erklären, weil „irrational“ – und es biete mahnende Lektionen unter anderem für Deutschland.
Viktor Orbán und Russland: Warum geht der Ungar auf Kuschelkurs mit Putin?
„Ich denke, Orbán hat den Punkt erreicht, an dem es ihm wichtig ist, mit Fanfaren und Orchestern auf dem roten Teppich begrüßt zu werden“, sagte Dobrev im Interview am Rande der ersten Sitzung des neuen Europaparlaments. Ungarns Ministerpräsident habe den Punkt erreicht, an dem ihm „große symbolische Gesten“ von Personen wie Putin, dessen Verbündetem Alexander Lukaschenko oder Recep Tayyip Erdoğan wichtig seien. Passend dazu hatte zuletzt auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock Orbáns „Friedensmission“ zu Putin und Donald Trump als „Egotrip“ gegeißelt.
Der Politikwissenschaftler Peter Kreko vermutet indes auch eine Art tief sitzende Geistesverwandtschaft zwischen Putin und Orbán: „Er glaubt wirklich an den Untergang des Westens“, sagte er dem Magazin Foreign Policy über Ungarns Regierungschef. Wie Dobrev sieht auch Kreko keinen greifbaren Vorteil des Kurses für Ungarn: Die Freundschaft mit Putin habe Orbán und Ungarn „bisher nichts Gutes gebracht – gar nichts“.
Dobrev wollte 2022 die geeinte ungarische Opposition gegen Orbán anführen, unterlag aber Ende 2021 in der Stichwahl intern dem Konservativen Péter Márki-Zay – der eine krachende Niederlage bei der Parlamentswahl einfuhr. Auch auf ihn ist Dobrev nicht gut zu sprechen. Vor allem aber warnt sie vor dem Wirken Orbáns und anderer Rechtspopulisten. Die Außenpolitik sei ebenso kontraproduktiv wie der Kurs im Inneren.
„Die Art und Weise, wie Orbán sein Veto nutzt, ist nicht im Interesse Ungarns, sondern in dem einiger verrückter russischer Oligarchen“, betonte Dobrev: Orbán und die Fidesz „trollten“ die EU – und könnten damit nun auch die Weltbühne erreichen, selbst wenn es im EU-Parlament eine erste Niederlage gab. „Orbán hat in der internationalen und europäischen Politik eine große Klappe, geringes Potenzial – aber er kann viel Schaden anrichten.“
„Den höchsten Preis für prorussische Politik zahlen die Menschen in Ungarn“
„Den höchsten Preis für diese prorussische Politik zahlen die Menschen in Ungarn“, sagte die frühere EU-Parlaments-Vizepräsidentin indes. Ungarn habe nach der russischen Aggression die Einfuhren von Gas und Öl aus Russland erhöht – das habe enorme Kostensteigerungen mit sich gebracht, mithin „die höchsten Preise für fossile Brennstoffe“. Auch Kreko sieht hier Anzeichen für einen nachteiligen Deal.
Unterdessen lasse Orbáns Regierung Sicherheitsbedenken zum Trotz ein teures Atomkraftwerk russischer Bauart errichten – und Ungarn in Sachen Einkommen und Kaufkraft weit absacken, betonte Dobrev. Nachbarn wie Polen, die baltischen Staaten, Tschechien oder die Slowakei hätten Ungarn längst überholt: „Das war jahrzehntelang undenkbar.“ Auch mit dieser Ansicht steht sie nicht alleine da: „All die anderen Länder in der Region haben die großzügigen EU-Mittel und -Chancen besser genutzt als wir“, sagte der Politologe und frühere ungarische Außenminister Geza Jeszenszky unlängst dem Balkan Investigative Reporting Network – der Konservative sprach von einer „historischen Sünde“.
Orbáns Lehren für Deutschland und Frankreich? „Rechtspopulisten liefern in der Regierung nicht“
„Das ist passiert, weil die Rechtspopulisten in der Regierung nicht liefern“, erklärte Dobrev. Genau das müsse man angesichts der Umfragewerte der AfD oder der jüngsten knappen Wahl in Frankreich in anderen EU-Ländern klarmachen. Und von europäischer Ebene Sicherheitsnetze für „freie und faire Wahlen“ einziehen. In Ungarn gebe es die nicht mehr, warnte Dobrev.
„Natürlich werden sie nicht auf jene Art manipuliert, in der man Wahlen vor 30, 50 oder 60 Jahren manipuliert hat. Der Wahlbetrug beginnt nicht um 7 Uhr am Wahltag“, sagte sie IPPEN.MEDIA. Wahlbetrug geschehe über von der Regierung kontrollierte Medien oder mit von Steuergeld bezahlten Plakatkampagnen. Dobrev kündigte zugleich an, trotz der jüngsten Misserfolge weiter gegen Orbáns „Regime“ zu kämpfen: „Wenn ich nochmal von vorne anfangen muss, das Vertrauen der Wähler aufbauen, den Leuten erklären, dass es keinen Messias gibt, sondern nur harte Arbeit und dass wir keine Kompromisse mit Orbán eingehen werden, weil das nicht Ungarns Zukunft sein kann – dann tue ich das.“ (fn)
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