Ungar als neue Galionsfigur

„Orbán hat eine große Klappe, aber geringes Potenzial“: EU-Brandmauer steht vorerst – Fidesz wütet

  • Florian Naumann
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Eine Hauptfrage im neuen EU-Parlament: Hält die Brandmauer gen Rechts? Es scheint so. Viktor Orbán könnte machtlos bleiben – aber doch eine neue Rolle gewinnen.

Straßburg – Es war eine der großen Fragen vor dem Start des neuen EU-Parlaments: Hält die „Brandmauer“ gegen die neuen Rechtsaußenfraktionen? Die erste Nagelprobe gab es noch am späteren Dienstagabend (16. Juli) – und sie ist aus Sicht der Mitte-Fraktionen geglückt. Am folgenden Morgen wüten die Ausgeschlossenen im Plenum, eine Kontrahentin Viktor Orbáns findet bei IPPEN.MEDIA ihrerseits klare Worte. Möglich scheint indes, dass Orbán zur neuen Galionsfigur der extremen Rechten in Europa wird.

Orbáns Fidesz und AfD bleiben bei Vizepräsidenten-Wahl außen vor – und sind sauer

Der kalte Fakt lautet aber: Die neue „Patrioten für Europa“-Fraktion um Viktor Orbáns Fidesz und Marine Le Pens Rassemblement National haben keinen der insgesamt 14 symbolträchtigen Vizepräsidentenposten im EU-Parlament erhalten – ebenso wenig das „Europa Souveräner Nationen“ um die AfD. Das ist nicht zuletzt ein Signal für den Kurs in den kommenden fünf Jahren.

Interessant ist aber auch, wo genau die in Brüssel und Straßburg „Cordon Sanitaire“ genannte Brandmauer verläuft: Zumindest im zweiten Wahlgang kam die von Giorgia Melonis Fratelli d‘Italia dominierte EKR-Fraktion zum Zuge – sogar mit zwei Vizepräsidenten, darunter Melonis Parteifreundin Antonella Sberna. Im vorigen Parlament hatte die EKR ab 2022 einen der Posten erhalten. Auch die Linke ist wieder mit einem Vizepräsidenten vertreten, mit Younus Omarjee von der kommunistischen Partei des französischen Überseegebiets La Réunion.

Am rechten Rand: Viktor Orbáns Fidesz hat zwar eine neue Fraktion im EU-Parlament – bleibt aber dennoch außen vor.

Die Fidesz-Abgeordnete Kinga Gál zeigte sich zum Start der Mittwochs-Sitzung empört: „Dieser neue Pakt“ missachte Millionen Wähler, rief sie, das Vorgehen verstoße „gegen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ – ein durchaus bemerkenswerter Vorwurf aus Reihen der Fidesz, die für ihre Regierungsarbeit in Ungarn selbst wegen Rechtsstaatsverstößen im Fokus steht. „Das wird uns noch in den Hintern beißen“, warnte Gál laut offizieller Parlamentsübersetzung.

„Orbán hatte vor der Wahl eine große Klappe“: EU-Brandmauer gegen Rechtsaußen hält vorerst

Zufrieden zeigte sich eine ungarische Kontrahentin Orbáns. „Orbán hatte vor der Wahl eine große Klappe, die Rechtsaußen und Rechtspopulisten würden einen Durchbruch schaffen“, sagte Klára Dobrev IPPEN.MEDIA in Straßburg, „man würde die größte konservative und rechte Gruppe werden – natürlich ist das nicht passiert“.

Sogar mit Melonis EKR habe das scharf rechte Lager keine Mehrheit, betonte die Abgeordnete. Die Brandmauer sei der richtige Schritt. Dobrev hatte 2022 bei der Ungarn-Wahl für den Posten der Spitzenkandidatin der vereinigten ungarischen Opposition kandidiert, war aber in der Stichwahl Peter Márki-Zay unterlegen. In der vergangenen Legislaturperiode hatte sie selbst als Vizepräsidentin im EU-Parlament amtiert.

Überraschend komme der Ausgang nicht, erklärte sie: Bereits in den vergangenen fünf Jahren habe man einen „Cordon Sanitaire“ um die nun zerfallene ID-Fraktion von AfD und Le Pen errichtet, „es war sehr offensichtlich, dass sich das fortsetzen wird“. Das demokratische Bündnis werde halten, prophezeite Dobrev. „EVP, Sozialisten und Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sind bei einer Reihe von Fragen uneins, aber dennoch: Demokratische Werte und eine starke EU sind die Basis, auf der wir zusammenarbeiten können. Wer aus diesem Konsens ausschert, kann nicht mit uns arbeiten.“ Auch die mit überraschend großer Mehrheit wiedergewählte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte eine „Mehrheit der Hoffnung“ beschworen.

AfD und Le Pen sammeln sich hinter Orbán – Warnung aus Ungarn: „Kann viel Schaden anrichten“

Eine Kostprobe der Allianzen im Rechtsaußenlager wiederum gab es bereits am Mittwochmorgen bei einer Debatte zum Thema „Unterstützung für die Ukraine“ – als eine Art Galionsfigur fungierte dabei just Orbán. Jordan Bardella, Le Pens Kronprinz, rügte Kritik an Orbáns Alleingang-„Friedensmission“ zu Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump. „Dadurch wird die Einigkeit der Europäer gespalten“, erklärte er.

Tatsächlich hatte Orbán als amtierender Ratspräsident – also Chef des Gremiums der EU-Staats- und Regierungschefs – die Reise unabgesprochen angetreten und auch Teile des offiziellen EU-Konsenses zum Ukraine-Krieg bei den Gesprächen ausgeblendet. Die Kommission reagierte mit einem klaren symbolischen Schritt. Auch die AfD, obwohl nicht in der Orbán-Le Pen-Fraktion vertreten, sprang dem Ungarn nun bei: „Wir sind Orbán dankbar, dass er Führungsverantwortung übernimmt“, sagte René Aust, der Chef der AfD-Fraktion „Europa Souveräner Nationen“.

Dobrev warnte trotz der klaren Ausgrenzung im Parlament vor Orbán: „Orbán hat in der internationalen und europäischen Politik eine große Klappe, geringes Potenzial – aber er kann viel Schaden anrichten.“

Aus Straßburg berichtet: Florian Naumann

Rubriklistenbild: © IMAGO/ALEX HALADA