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Warum sich die Türkei mit Schwedens Nato-Beitritt Zeit gelassen hat

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Nirgendwo anders kann die Türkei Druck auf die westlichen Staaten ausüben wie in der NATO.

Mitte Januar stimmte das türkische Parlament dem Antrag Schwedens auf NATO-Mitgliedschaft zu, und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ratifizierte die Maßnahme umgehend.

Der NATO-Beitritt Schwedens hat sich mehr als ein Jahr hingezogen. Während alle anderen NATO-Mitglieder außer Ungarn den Beitritt Stockholms unterstützten, beschuldigte die türkische Führung das skandinavische Land, kurdische Terroristen zu beherbergen. Sie forderten, dass Schweden seine Anti-Terror-Gesetze verschärft, Personen ausliefert, die in der Türkei terroristischer Aktivitäten beschuldigt werden, und die Waffenverkäufe an die Türkei wieder aufnimmt. Die Vereinigten Staaten scheinen die Zustimmung zum schwedischen NATO-Beitritt mit künftigen US-Verkäufen von F-16-Kampfjets an die Türkei verknüpft zu haben.

Selbst NATO-Ausschluss der Türkei war Thema

Als der Beitrittsprozess Schwedens ins Stocken geriet, warnten Analysten vor dem Niedergang des Bündnisses und boten eine Reihe von Vorschlägen an, um Ankara mit Zuckerbrot und Peitsche zu zügeln. Einige gingen sogar so weit, den Ausschluss der Türkei aus der NATO vorzuschlagen, obwohl ein solcher Schritt nach der Charta des Bündnisses nahezu unmöglich ist.

Diese Befürchtungen und Drohungen kommen zu einer Zeit, in der es unter US-Experten üblich geworden ist, die türkische Außenpolitik als „transaktional“ zu bezeichnen, was bedeutet, dass die nationalen Interessen der Türkei Vorrang vor den gemeinsamen Werten der NATO haben. Einst sei die Türkei ein zuverlässiger, westlich orientierter Verbündeter der USA gewesen, nun verfolge sie ihre eigenen Interessen, die häufig den Interessen der Vereinigten Staaten und der europäischen Länder zuwiderliefen.

Es lohnt sich, einen Blick in die Geschichte zu werfen, um die Haltung der Türkei zu verstehen. Das Land wartete fast vier Jahre, bevor es 1952 endlich der NATO beitreten durfte. Diese Erfahrung hat die türkischen Entscheidungsträger davon überzeugt, dass die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, der NATO und den westlichen Staaten immer ein gewisses Maß an Verhandlungsgeschick erfordern. Die Beziehungen zwischen der Türkei und der NATO in den darauf folgenden sieben Jahrzehnten haben diese Ansicht häufig bestätigt, manchmal zu Gunsten der Türkei, manchmal zu ihrem Nachteil.

Türkei wandte sich an Großbritannien und die USA

Die Bemühungen der Türkei um einen Beitritt zur NATO und zu anderen von den USA dominierten Nachkriegsinstitutionen fanden unter Bedingungen statt, die für das Land mit großer Unsicherheit verbunden waren. Die türkische Führung hielt ihr Land während des Zweiten Weltkriegs neutral, nahm Hilfe von Großbritannien und Frankreich an, ohne sich selbst als Kriegsteilnehmer zu verpflichten, und verkaufte Kriegsmaterial an Deutschland. Am Ende des Konflikts fand die Türkei unter den alliierten Siegern nur wenige Freunde. Außerdem war sie auf mehreren Seiten von kommunistisch kontrollierten Regimen umgeben: Bulgarien im Westen und die georgischen, armenischen und aserbaidschanischen Sowjetrepubliken im Nordosten.

Im benachbarten Iran besetzten die Sowjetunion und Großbritannien den Norden bzw. den Süden des Landes. Die Sowjets unterstützten die Autonomie der aserbaidschanischen und kurdischen Volksgruppen in der Region; die türkische Führung lehnte die letztgenannte separatistische Bewegung lange Zeit ab. Sowjetische Beamte übten auch Druck auf die türkische Führung aus, die Verträge zur Regelung des Transits durch die Meerengen Bosporus und Dardanellen neu auszuhandeln und die Kontrolle über mehrere nordöstliche Grenzprovinzen abzutreten. Für Ankara schien die sowjetische Bedrohung existenziell zu sein.

Anstatt den sowjetischen Forderungen nachzukommen, wandte sich die Türkei an Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Da London nicht in der Lage war, seine expansive Rolle im östlichen Mittelmeerraum aufrechtzuerhalten, verstärkte Washington seine Verpflichtungen gegenüber der Türkei und Griechenland und stellte beiden Ländern im Rahmen der Truman-Doktrin und des Marshall-Plans Hilfe zur Verfügung.

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Die führenden Politiker der USA und Westeuropas zögerten jedoch, die Türkei in die NATO aufzunehmen. Ankara erkundigte sich erstmals 1948, als das Bündnis gerade Gestalt annahm, nach einer Mitgliedschaft, wurde aber abgewiesen. Die Türkei versuchte es 1950 erneut, erhielt aber nur einen „assoziierten Status“. Die Einwände der westlichen Staats- und Regierungschefs gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei gründeten sich nicht auf die in der NATO-Charta verankerten Ideale der „Demokratie, der individuellen Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit“; das Militärbündnis schloss die portugiesische Diktatur ein. Ihre Argumente waren vielmehr strategischer Natur - sie wollten die politischen und militärischen Verpflichtungen der NATO nicht so weit nach Osten ausdehnen.

Türkei wurde zusammen mit Griechenland NATO-Mitglied: Lage zwischen Europa und Asien von Nutzen

Die Türkei erhielt erst nach 1950 und 1951, als Ankara Tausende von türkischen Soldaten entsandte, um an der Seite der Vereinigten Staaten in einigen der brutalsten Monate des Koreakrieges zu kämpfen, die feste Unterstützung der USA für ihre NATO-Mitgliedschaft. Washington schlug den Beitritt der Türkei im Mai 1951 vor, und die Unterstützung des gesamten NATO-Rates folgte. Die Türkei wurde 1952 zusammen mit Griechenland aufgenommen.

Die Beziehungen der Türkei zur NATO waren von Anfang an transaktional. Durch ihre Bereitschaft, türkische Staatsbürger in Gefahr zu bringen, um die kommunistische Expansion in Korea einzudämmen, überzeugte die türkische Führung ihre westlichen Partner davon, dass Ankara einen strategischen Wert besaß. Die geographische Lage der Türkei zwischen Europa und Asien - und an wichtigen Wasserstraßen - schien dem westlichen Bündnis im Falle eines Krieges mit der Sowjetunion von Nutzen zu sein. Dies galt auch für die große Armee Ankaras.

Die Nato wächst und kämpft: Alle Mitgliedstaaten und Einsätze des Bündnisses

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Gegründet wurde die Nato am 4. April 1949 in Washington, D.C. Zunächst zwölf Staaten unterzeichneten den Nordatlantikvertrag: Belgien, Dänemark, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA. Sie wurden zu den Gründungsmitgliedern der Nato. Hier präsentiert Gastgeber und US-Präsident Harry S. Truman das Dokument, das die Grundlage für das Verteidigungsbündnis bildet. Der erste Oberkommandeur war der US-Amerikaner Dwight D. Eisenhower, der nach seiner Zeit bei der Nato Truman im Amt des US-Präsidenten beerben sollte. © imago
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In den ersten Jahren nach ihrer Gründung stand die Nato ganz im Dienste der Abwehr der sowjetischen Gefahr. 1952 fanden in Deutschland zahlreiche Manöver der Mitgliedsstaaten statt, unter anderem überwacht vom zweiten Oberkommandeur der Nato, Matthew Ridgway (2.v.l.) und dem damaligen französischen Botschafter in Deutschland, Andre Francois-Poncet (3.v.r.). © imago
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Im Jahr 1952 traten zwei weitere Länder der Nato bei: Griechenland und die Türkei. Die Anzahl der Nato-Mitglieder stieg also auf 14. Noch im selben Jahr fanden die ersten Manöver des Verteidigungsbündnisses statt. Beteiligt waren neben Einheiten Großbritanniens und der USA auch Kampftaucher, sogenannte Froschmänner, der türkischen Marine. © imago
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Im Jahr 1954 beschlossen die Nato-Mitgliedsstaaten auch der Bundesrepublik Deutschland den Beitritt anzubieten. Der britische Außenminister Anthony Eden reiste nach Paris, um im Palais de Chaillot die Vereinbarung zu unterzeichnen. Ein Jahr später, 1955, wurde die BRD als 15. Mitglied der Nato in das Verteidigungsbündnis aufgenommen. © UPI/dpa
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Kurz nach Gründung durchlitt die Nato bereits ihre erste interne Krise. Frankreich entzog bereits 1959 seine Flotte der Nato-Unterstellung. 1966 verabschiedeten sich die Vertreter des Landes aus allen militärischen Organen des Verteidigungsbündnisses. Frankreichs Präsident Charles de Gaulle (l.), hier bei der Beerdigung John F. Kennedys, fürchtete eine Dominanz der USA in der Nato und pochte auf die Unabhängigkeit der französischen Streitkräfte. Das Land kehrte erst im Jahr 2009 wieder als vollwertiges Mitglied in die militärischen Strukturen zurück. © imago
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Im Jahr 1982 fand die nächste Erweiterungsrunde der Nato statt. Spanien wurde das 16. Mitglied des Verteidigungsbündnisses und nahm kurz darauf am Nato-Gipfel in Bonn teil. In der damaligen Bundeshauptstadt kamen die Staatsoberhäupter und Regierungschefs zusammen (v.l.n.r.): Kare Willoch (Norwegen), Francisco Balsemao (Portugal), Leopoldo Calvo-Sotelo (Spanien), Bülent Ulusu (Türkei), Margaret Thatcher (Großbritannien) und Ronald Reagan (USA). © imago
Ihren ersten Kampfeinsatz startete die Nato am 30. August 1995 mit der Operation „Deliberate Force“ gegen serbische Freischärler im ehemaligen Jugoslawien. Offiziell trat die Nato dabei nur als eine Art bewaffneter Arm der UN-Mission im Land auf. Beteiligt waren 5000 Soldaten aus 15 Ländern mit 400 Flugzeugen, darunter 222 Kampfflugzeugen. 54 dieser Maschinen, die rund um die Uhr von drei Flugzeugträgern und 18 Luftwaffenstützpunkten in Europa losflogen, waren F-16 Fighting Falcon (im Bild).
Am 30. August 1995 startete die Nato die Operation „Deliberate Force“ gegen serbische Freischärler im ehemaligen Jugoslawien. Offiziell trat die Nato dabei nur als eine Art bewaffneter Arm der UN-Mission im Land auf. Beteiligt waren 5000 Soldaten aus 15 Ländern mit 400 Flugzeugen, darunter 222 Kampfflugzeugen. 54 dieser Maschinen, die rund um die Uhr von drei Flugzeugträgern und 18 Luftwaffenstützpunkten in Europa losflogen, waren F-16 Fighting Falcon (im Bild). © DOD/USAF/afp
Bei der Operation kam es zum ersten Kampfeinsatz der deutschen Luftwaffe seit dem Zweiten Weltkrieg. 14 deutsche Tornado-Kampfflugzeuge flogen von Piacenza aus 65 Einsätze. Nach dem Abzug der schweren Waffen durch die Serben und einer Garantie für die verbliebenen Schutzzonen wurde die Luftoperation am 21. September 1995 beendet. Nato-Befehlshaber Leighton Smith (Mitte) und UN-Balkankommandant Bernard Janvier (rechts) konnten sich schon am Tag davor am Flughafen von Sarajevo als Sieger fühlen.
Am ersten Kampfseinsatz der Nato war auch Deutschland beteiligt. Die Bundeswehr schickte Tornado-Kampfflugzeuge in den Krieg in Jugoslawien. Ab Juni 1999 übernahm Deutschland die militärische Führung über einen Sektor des Kosovos im Rahmen der so genannten Kosovo-Friedenstruppe (KFOR). Zu Beginn befanden sich rund 6.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz im Kosovo. © ANJA NIEDRINGHAUS/afp
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Es war der erste Kriegseinsatz der deutschen Luftwaffe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 14 deutsche Tornado-Kampfflugzeuge flogen von Piacenza aus 65 Einsätze im ehemaligen Jugoslawien. Nach dem Abzug der schweren Waffen durch die Serben und einer Garantie für die verbliebenen Schutzzonen wurde die Luftoperation am 21. September 1995 beendet. © dpa
Bereits im Jahr 1998 hatte hatte das Kabinett Kohl gemeinsam mit den Wahlsiegern der Bundestagswahl 1998, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, den ersten Einsatz deutscher Soldaten in einem militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. Außenminister Fischer appellierte: „Wir haben immer gesagt: ‚Nie wieder Krieg!‘ Aber wir haben auch immer gesagt: ‚Nie wieder Auschwitz!‘“ Die Menschen in Deutschland gingen bei Antikriegsdemos gegen den Nato-Einsatz auf die Straße, so wie hier zum Beispiel am 25. März 1999 in Leipzig.
Bereits im Jahr 1998 hatte das Kabinett Kohl gemeinsam mit den Wahlsiegern der Bundestagswahl 1998, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, den ersten Einsatz deutscher Soldaten in einem militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. Außenminister Fischer appellierte: „Wir haben immer gesagt: ‚Nie wieder Krieg!‘ Aber wir haben auch immer gesagt: ‚Nie wieder Auschwitz!‘“ Die Menschen in Deutschland gingen bei Antikriegsdemos gegen den Nato-Einsatz auf die Straße, so wie hier zum Beispiel am 25. März 1999 in Leipzig.  © ECKEHARD SCHULZ/Imago
Seit Anfang 2001 lieferten sich die Rebellen der UCK (Befreiungsarmee im Kosovo), die bereits im Kosovo-Krieg gegen die Serben gekämpft hatten, Kämpfe mit der mazedonischen Armee. Nach Abschluss eines Friedensabkommens stimmte die UCK ihrer Entwaffnung und Auflösung zu und übergab der Nato ihre Waffen. Insgesamt wurden 3875 Waffen der Rebellen eingesammelt und eingeschmolzen.
Seit Anfang 2001 lieferten sich die Rebellen der UCK (Befreiungsarmee im Kosovo), die bereits im Kosovo-Krieg gegen die Serben gekämpft hatten, Kämpfe mit der mazedonischen Armee. Nach Abschluss eines Friedensabkommens stimmte die UCK ihrer Entwaffnung und Auflösung zu und übergab der Nato ihre Waffen. Insgesamt wurden 3875 Waffen der Rebellen eingesammelt und eingeschmolzen. © Louisa Gouliamaki/dpa
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Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erweiterte sich die Nato um Länder der ehemaligen Sowjetunion. Am 12. März 1999 wurden die Flaggen von Polen, Tschechien und Ungarn am Nato-Hauptquartier in Brüssel (Belgien) gehisst. Das Verteidigungsbündnis war damit auf 19 Mitgliedsstaaten gewachsen. © ATTILA SEREN/imago
Im August 2003 übernahm die Nato durch ein Mandat der Vereinten Nationen in Afghanistan das Kommando über internationale Friedenstruppen und läutete damit den ersten Einsatz des Bündnisses außerhalb Europas ein. der Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF) war ein sogenannter friedenserzwingender Einsatz unter Verantwortung der beteiligten Staaten im Rahmen des Krieges in Afghanistan von 2001 bis 2014.
Im August 2003 übernahm die Nato durch ein Mandat der Vereinten Nationen in Afghanistan das Kommando über internationale Friedenstruppen und läutete damit den ersten Einsatz des Bündnisses außerhalb Europas ein. Der Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF) war ein sogenannter friedenserzwingender Einsatz unter Verantwortung der beteiligten Staaten im Rahmen des Krieges in Afghanistan von 2001 bis 2014.  © SHAH MARAI/afp
Nato-Einsatz in Afghanistan
Am Nato-Einsatz in Afghanistan beteiligte sich auch die deutsche Bundeswehr. Mit gleichzeitig 5.300 stationierten Soldatinnen und Soldaten war es der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Als Teil der International Security Assistance Force (ISAF) waren deutsche Streitkräfte an mindestens zehn Kampfeinsätzen beteiligt. Zwischen 2001 und 2014 wurden 59 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan getötet. © Michael Kappeler/dpa
Im Februar 2020 unterzeichnete Donald Trumps Regierung mit den Taliban das Doha-Abkommen
Im Februar 2020 unterzeichnete Donald Trumps Regierung mit den Taliban das Doha-Abkommen, das einen vollständigen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan bis Ende April 2021 beinhaltete. Trumps Nachfolger Joe Biden terminierte den Abzug der US-Truppen bis zum symbolischen Stichtag des 11. September. Die verbündeten Nato-Staaten schlossen sich an, und so begann auch die Bundeswehr mit dem Abzug ihrer letzten Streitkräfte aus Afghanistan. © Boris Roessler/dpa
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Im Jahr 2004 fand die bis dato größte Erweiterungsrunde der Nato statt. Der damalige US-Außenminister Colin Powell gab bekannt, dass das Verteidigungsbündnis sieben neue Mitgliedsstaaten auf einen Streich aufnehmen werde: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Die Nato bestand damit aus 26 Mitgliedern. © BENOIT DOPPAGNE/imago
Seit Juni 2005 unterstützt die Nato die Afrikanische Union, u.a. auch die AU-Mission in Somalia (Amisom). Dort kontrolliert die mit der Terrororganisation Al Qaida verbundene islamistische Bewegung Al-Shabaab Teile des Südens und setzt die Scharia in strenger Form durch. Im Rahmen der AU-Mission in Somalia testet ein Panzerfahrer im Januar 2013 seine Lenkung, während er auf einem Stützpunkt an der Front in Lower Shabelle stationiert ist.
Seit Juni 2005 unterstützt die Nato die Afrikanische Union, u.a. auch die AU-Mission in Somalia (Amisom). Dort kontrolliert die mit der Terrororganisation Al Qaida verbundene islamistische Bewegung Al-Shabaab Teile des Südens und setzt die Scharia in strenger Form durch. Im Rahmen der AU-Mission in Somalia testet ein Panzerfahrer im Januar 2013 seine Lenkung, während er auf einem Stützpunkt an der Front in Lower Shabelle stationiert ist. © TOBIN JONES/afp
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Zu ihrem 50-jährigen Bestehen im Jahr 2009 nahm die Nato zwei weitere Mitglieder auf: Albanien und Kroatien. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte den albanischen Ministerpräsidenten Sali Berisha bei den Feierlichkeiten rund um die Erweiterung sowie zum Jubiläum auf dem Nato-Gipfel in Straßburg und Kehl. © imago
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Am 5. Juni 2017 wird die Nato um ein weiteres Mitglied erweitert. Montenegro tritt dem Verteidigungsbündnis bei. Das Land hatte sich 2006 von Serbien unabhängig erklärt und wurde inklusive Flagge elf Jahre später in Brüssel am Nato-Hauptquartier begrüßt.  © Gong Bing/imago
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Die vorerst letzte Nato-Erweiterung fand im Jahr 2020 statt. Am 27. März trat Nordmazedonien dem Verteidigungsbündnis bei. Griechenland hatte die Aufnahme des Landes wegen eines Streits über dessen Namen jahrelang blockiert. Nachdem sich beide Länder geeinigt hatten, war der Weg frei für gemeinsame Manöver, wie hier zum Beispiel mit Einheiten der US-Armee in der Nähe von Krivolak. © imago
Im Rahmen ihrer Mission im Irak traniert und unterstützt die Nato die irakischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Am 9. Dezember 2021 trafen sich der irakische Sicherheitsberater Qassem al-Araji (links) und der Nato-Befehlshaber Michael Lollesgaard in der „Grünen Zone“ der Hauptstadt Bagdad. Die USA-geführte Koalition beendete damals ihren Kampfeinsatz und verlegte sich auf eine Ausbildungs- und Beratungsrolle.
Im Rahmen ihrer Mission im Irak traniert und unterstützt die Nato die irakischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Am 9. Dezember 2021 trafen sich der irakische Sicherheitsberater Qassem al-Araji (links) und der Nato-Befehlshaber Michael Lollesgaard in der „Grünen Zone“ der Hauptstadt Bagdad. Die USA-geführte Koalition beendete damals ihren Kampfeinsatz und verlegte sich auf eine Ausbildungs- und Beratungsrolle. © AHMAD AL-RUBAYE/afp
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat die Nato ihre seit Jahren bestehende Mission für die Luftsicherheit der baltischen Staaten an der Ostflanke des Militärbündnisses noch einmal ausgebaut. Zur Luftraum-Überwachung setzt Frankreich vier Rafale-Kampfflugzeuge ein. Vor dem Start am 25. November 2022 bereitet ein Düsenjägerpilot in Mont-de-Marsan noch einmal sein Flugzeug für die viermonatigen Mission vor.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat die Nato ihre seit Jahren bestehende Mission für die Luftsicherheit der baltischen Staaten an der Ostflanke des Militärbündnisses noch einmal ausgebaut. Zur Überwachung des Luftraums setzt Frankreich vier Rafale-Kampfflugzeuge ein. Vor dem Start am 25. November 2022 bereitet ein Pilot in Mont-de-Marsan noch einmal seinen Jet für die viermonatige Mission vor.  © THIBAUD MORITZ/afp
Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs ist im April 2023 auch Finnland der Nato beigetreten. Der Schritt ist historisch. Finnlands Präsident Sauli Niinistö bezeichnete den Nato-Beitritt als Beginn einer neuen Ära. Finnland hat eine 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland. Das nordische Land mit seinen rund 5,5 Millionen Einwohnern hatte zuvor jahrzehntelang großen Wert auf militärische Bündnisfreiheit gelegt. Mit dem Beitritt Finnlands wächst die Nato-Außengrenze Richtung Russland nun auf mehr als das Doppelte an.
Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs ist im April 2023 auch Finnland der Nato beigetreten. Der Schritt ist historisch. Finnlands Präsident Sauli Niinistö bezeichnete den Nato-Beitritt als Beginn einer neuen Ära. Finnland hat eine 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland. Das nordische Land mit seinen rund 5,5 Millionen Einwohnern hatte zuvor jahrzehntelang großen Wert auf militärische Bündnisfreiheit gelegt. Mit dem Beitritt Finnlands wächst die Nato-Außengrenze Richtung Russland nun auf mehr als das Doppelte an. © JOHN THYS/afp
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Und am Horizont ist bereits die nächste Erweiterung der Nato zu sehen. Zusammen mit Finnland hatte sich auch Schweden um einen Beitritt zum Verteidigungsbündnis beworben. Der Aufnahmeprozess läuft. Im baltischen Meer fanden bereits erste gemeinsame Übungen der US Navy und der schwedischen Marine statt.  © IMAGO/U.S. Navy
Droht immer wieder mit einem Austritt aus der Nato: US-Präsident Donald Trump.
Bereits während seiner ersten Amtszeit stellte US-Präsident Donald Trump den Nutzen der Nato für die USA infrage und kritisierte die Verbündeten dafür, zu wenig in ihre Verteidigung zu investieren. Stattdessen würden sich die Staaten der Europäischen Union (EU) auf die militärische Stärke der USA verlassen. Nach seinem Sieg bei der US-Wahl 2024 erneuerte Trump seine Kritik und stellte sogar Artikel 5 des Nordatlantikvertrags infrage. Dieser besagt, dass ein Angriff auf einen Nato-Staat als Angriff auf alle Nato-Staaten gilt. © Anna Ross/Uncredited/dpa/Montage

Obwohl die Türkei oft in der Lage war, Vorteile aus der NATO zu ziehen, war das Land nicht immer auf gleicher Augenhöhe mit den westlichen Partnern. Die türkische Führung hatte das Gefühl, dass ihre nationalen Interessen den Interessen der Vereinigten Staaten und anderer Verbündeter untergeordnet waren. Die Bereitschaft Washingtons, mit der Sowjetunion über die in der Türkei stationierten US-Atomraketen während der Kubakrise zu verhandeln, war ein Beispiel für diese Dynamik. Aber die Hauptquelle der Frustration war Zypern.

Zypern erlangte 1960 seine Unabhängigkeit von Großbritannien durch ein Abkommen über die Teilung der Macht zwischen der griechischen Mehrheit und der türkischen Minderheit. Als das Abkommen 1963 scheiterte, begann die Türkei mit den Vorbereitungen für eine Invasion der Insel, um die türkische Bevölkerung zu schützen.
Der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson teilte der türkischen Regierung jedoch mit, dass sie nicht mit der Unterstützung der NATO rechnen könne, sollte eine Invasion zu einer sowjetischen Intervention auf Zypern führen. Johnsons Schreiben an Ankara schürte in der Türkei die Stimmung gegen die USA und brachte die türkische Führung, die das Bündnis und seine verschiedenen finanziellen und sicherheitspolitischen Vorteile unterstützte, in eine schwierige Lage.

Streit um Waffenembargo gegen die Türkei

Als die Türkei ein Jahrzehnt später in Zypern intervenierte, kam ihr die NATO-Mitgliedschaft zugute. 1974 unterstützte das griechische Militärregime, das 1967 an die Macht gekommen war, einen Staatsstreich in Zypern. Die Türkei reagierte daraufhin mit der Übernahme der Kontrolle über ein Drittel der Insel, die bis heute geteilt ist. Der damalige US-Außenminister Henry Kissinger hielt die Türkei für „wichtiger“ als Griechenland und befürchtete, dass ein Druck auf Ankara dazu führen könnte, dass ein linkes Regime die Macht übernimmt. Die Demokraten im US-Kongress waren nicht überzeugt und stimmten für einen Stopp der Waffenverkäufe an die Türkei. Die Ford-Regierung reagierte auf das Embargo, das erst 1978 vollständig aufgehoben werden sollte, indem sie Westdeutschland und andere NATO-Verbündete davon überzeugte, die Waffenexporte nach Ankara zu erhöhen.

Die Regierung in Ankara reagierte auf das Embargo, indem sie mehreren zusätzlichen sowjetischen Flugzeugträgern erlaubte, vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer zu fahren und den einseitigen Zugang der USA zu Stützpunkten in der Türkei zu beenden. Am Vorabend des jährlichen NATO-Gipfels im Mai 1978 weigerte sich der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit, eine gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, und erklärte gegenüber Reportern, er sehe „keine Bedrohung“ der Türkei durch die UdSSR. Er fügte hinzu, dass ein fortgesetztes US-Embargo wahrscheinlich den Beitrag der Türkei zur NATO verringern würde.

Zwei Monate später stimmte der US-Senat für die Aufhebung des Waffenembargos gegen die Türkei. Indem sie mit der NATO verhandelte, befriedigte die türkische Führung den kurzfristigen öffentlichen Ärger mit den Vereinigten Staaten, ohne die langfristigen strategischen Beziehungen ihres Landes völlig zu untergraben. Die transaktionale Diplomatie hatte sich ausgezahlt.

Nach dem türkischen Staatsstreich von 1980 wurde die NATO-Mitgliedschaft für das Land wieder nützlich. Die militärischen Führer betonten ihre Entschlossenheit, die NATO-Verpflichtungen einzuhalten. Sie unternahmen auch versöhnliche Schritte, indem sie mögliche territoriale Zugeständnisse in Zypern anboten (die sie allerdings nie umsetzten) und die Wiedereingliederung des rivalisierenden Griechenlands in die NATO-Kommandostruktur unterstützten, nachdem es sich während der Krise von 1974 zurückgezogen hatte.

NATO stand vor Irrelevanz

Diese Gesten erfolgten zu einem Zeitpunkt, als die iranische Revolution, die sowjetische Invasion in Afghanistan und der Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges die Türkei erneut in den Mittelpunkt der US-Strategie rückten - und den türkischen Militärs mehr Handlungsspielraum boten. Die Vereinigten Staaten erhöhten ihre Hilfe für Ankara sogar inmitten von Berichten über Folterungen, die von Amnesty International untersucht wurden, was Länder wie Dänemark und Norwegen dazu veranlasste, ihre finanzielle Unterstützung einzufrieren. Bis 1991 erhielten nur Israel und Ägypten mehr US-Militärhilfe als die Türkei.

Der Fall der Berliner Mauer und der Zerfall der UdSSR zwischen 1989 und 1991 drohten die NATO irrelevant zu machen - und die Bedeutung der Türkei für ihre westlichen Verbündeten zu schmälern. Der damalige türkische Präsident Turgut Özal unterstützte den von den USA geführten Feldzug gegen den Irak nach dessen Invasion in Kuwait im Jahr 1990, auch um die zentrale Stellung der Türkei für die westlichen Interessen wiederherzustellen. Außerdem liberalisierte er die türkische Wirtschaft, um ausländische Investitionen zu fördern. Im Gegenzug hoffte Ozal, von den Vereinigten Staaten und anderen Verbündeten in Europa Zugeständnisse zu erhalten, z. B. einen besseren Zugang für türkische Textilien zum US-Markt.

Türkische Abgeordnete der Sozialen Freiheitspartei und der Sozialistischen Solidaritätsplattform halten während der Debatte über Schwedens Antrag auf NATO-Beitritt im türkischen Parlament Plakate mit der Aufschrift „Keine Besatzung, kein Krieg für die Nato“ hoch.

Die NATO begann, ihre Ambitionen in einer Weise zu erweitern, die den türkischen Interessen entgegenkam. Während des Golfkriegs stellte das Bündnis der Türkei zusätzliche Flugzeuge zur Verfügung, um irakische Angriffe abzuwehren. Sie beschloss, in Bosnien und im Kosovo zu intervenieren, wo die Türkei über serbische Angriffe auf Muslime besorgt war. Es war sogar die Rede von einer „verstärkten Partnerschaft“ zwischen Ankara und Washington. Die Vereinigten Staaten und andere NATO-Verbündete spielten 1999 eine entscheidende Rolle bei der Festnahme eines wichtigen kurdischen Separatistenführers. Im selben Jahr erkannte die Europäische Union offiziell die Kandidatur der Türkei für die Mitgliedschaft an.

Politisches Chaos sucht die Türkei in den 1990er-Jahren heim

Trotz dieser Entwicklungen wurde die Türkei in den 1990er Jahren von Wirtschaftskrisen, Gewalt und politischer Instabilität erschüttert. Das Chaos dieser Jahre trug dazu bei, die etablierten Parteien zu diskreditieren und Erdogan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) im Jahr 2003 an die Macht zu bringen.

Anfangs verstärkte die AKP die Bemühungen der Türkei um eine Zusammenarbeit mit westlichen Verbündeten. Doch es gab mehrere Rückschläge. Die Gespräche über die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union gerieten ins Stocken, nachdem Zypern in den Block aufgenommen wurde und europäische Politiker wie Angela Merkel (Deutschland) und Nicolas Sarkozy (Frankreich) gewählt wurden, die sich beide gegen eine EU-Mitgliedschaft Ankaras aussprachen.

Als die AKP die Unterstützung der westlich orientierten Gruppen in ihrer Koalition verlor - einschließlich der Liberalen und der religiösen Bewegung der Gülen - wurde Erdogan von politischen Gruppierungen abhängig, die für eine „eurasische“ Außenpolitik eintraten, die weniger westlich und mehr mit Russland und Zentralasien verbunden war.

Von allen Konflikten zwischen der Türkei und ihren NATO-Verbündeten in der Zeit nach dem Kalten Krieg waren die Beziehungen zu kurdischen nationalistischen Gruppen der wichtigste. Washington hat wiederholt kurdische Gruppen als lokale Partner bei militärischen Operationen gesucht - zunächst gegen Saddam Hussein im Irak und später gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak.

Druck auf den Westen: Türkei für Kampf innerhalb der NATO

In der Zwischenzeit haben die antikurdischen Maßnahmen der Regierungen in der Türkei, im Irak, in Syrien und im Iran dazu beigetragen, dass eine beträchtliche, politisch aktive kurdische Diaspora in Europa entstanden ist. Schweden ist eines der bemerkenswertesten Beispiele. Dort erlaubte ein eng gespaltenes Parlament im Jahr 2021 einer Abgeordneten, die in ihrer Jugend mit iranisch-kurdischen Guerillas gekämpft hatte, die entscheidende Stimme abzugeben, um zusätzliche Unterstützung für kurdische Gruppen in Syrien zu sichern.

Doch das Verhalten eines einzelnen Abgeordneten war nicht der Grund für die mangelnde Bereitschaft der Türkei, Schweden einen schnellen NATO-Beitritt zu gewähren. Tatsächlich ist Schweden selbst nicht das Problem. Schweden war das erste Land nach der Türkei, das 1984 die PKK - die Arbeiterpartei Kurdistans - als terroristische Organisation eingestuft hat, und auch andere NATO-Mitgliedstaaten wie Deutschland haben eine einflussreiche kurdische Diaspora.

Die türkische Führung hat sich vielmehr für einen Kampf innerhalb der NATO entschieden, weil das Bündnis eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, Druck auf die westlichen Staaten auszuüben. Durch die NATO kann Ankara die Aufmerksamkeit auf seine Sicherheitsprobleme lenken - und auf dem Weg dorthin wichtige Zugeständnisse erreichen.

Zum Autor

Reuben Silverman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Türkeistudien der Universität Stockholm. Twitter (X): @silvermanreuben

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Dieser Artikel war zuerst am 28. Januar 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

Rubriklistenbild: © Ali Unal/dpa

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