„Keine Minute vergeuden“

Gegen die Sorge vor Putin: Scholz gibt den Balten ein Versprechen – die mahnen eindringlich zur Eile

  • Christiane Kühl
    VonChristiane Kühl
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Olaf Scholz drängt mit den baltischen Nato-Partnern auf schnellere Rüstungsproduktion. In Litauen beschwört er Deutschlands dauerhafte Unterstützung.

Olaf Scholz hat in dieser Woche die Ostsee im Blick – und dabei vor allem die Sicherheitslage entlang der Nato-Ostflanke. Am Mittwoch (8. Mai) wird er Finnlands Präsident Alexander Stubb im Kanzleramt empfangen. Doch zunächst war der Kanzler am Montag selbst auf Reisen, und zwar in den baltischen Staaten Litauen und Lettland. Die Ostseeländer sind Außenposten der Nato und wissen daher, was es heißt, einer wachsenden hybriden Bedrohung durch Russland ausgesetzt zu sein.

„Deutschland steht unverrückbar an der Seite der baltischen Staaten“, sagte Scholz auf dem Truppenübungsplatz im litauischen Pabradė – nur 20 Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt. Davor hatte er mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda eine Schießübung des von Deutschland organisierten Nato-Manövers Quadriga 24 beobachtet, an dem auch Bundeswehrsoldaten teilnehmen.

Anschließend drängte Scholz in Lettlands Hauptstadt Riga gemeinsam mit Lettland, Estland und Litauen auf eine schnellere Ausweitung der Rüstungsproduktion in Europa. Die drei Regierungschefinnen – die gastgebene lettische Ministerpräsidentin Evika Siliņa, Litauens Ingrida Šimonytė und Kaja Kallas aus Estland – riefen die Partner in Europa und der Nato dazu auf, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben. „Die baltischen Staaten gehen neben Polen mit gutem Beispiel voran, wenn es um Verteidigungsinvestitionen geht, indem sie deutlich über zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes dafür ausgeben“, betonte Šimonytė.

Scholz in den baltischen Staaten: Hauptthema Sicherheit – gerade vor Putins Russland

Die drei baltischen Staaten warnen seit langem besonders eindringlich vor der Gefahr, die von Moskau ausgeht. Russlands Präsident Wladimir Putin droht ihnen verbal, aber auch mit einem Truppenaufbau entlang der Grenze. Finnland hat seine Grenze zu Russland geschlossen, weil Moskau wohl gezielt Geflüchtete dorthin schleust. Seit Wochen häufen sich in der Region auch Störungen des Satellitennavigationssystems GPS. Wegen dieses sogenannten GPS-Jamming konnten mehrere Finnair-Flugzeuge nicht im estnischen Tartu landen; die Fluggesellschaft stoppte die Flüge vorerst. Auch in anderen Teilen der Ostsee häufen sich seit 2023 Fälle von GPS-Jamming, die Anrainer vermuten Russland als Urheber. Putin ließ zudem Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas auf eine russische Fahndungsliste setzen.

Von Beginn an ging es im Baltikum für Scholz daher um Sicherheit und Abschreckung, um den Ukraine-Krieg – und darum, die deutsche Unterstützung zu demonstrieren. Die Bundeswehr ist in der Region regelmäßig etwa im Rahmen von Nato-Patrouillen im Einsatz und nimmt an Übungen teil. Das Engagement Deutschlands mit der Bundeswehr sei ernsthaft, sagte Scholz und verwies auf die Beistandsverpflichtung der Nato. Gemeinsam werde man „jeden Zentimeter ihres Territoriums“ verteidigen.

Litauen möchte mehr Tempo beim Aufbau der Bundeswehr-Brigade

Dazu wird Deutschland zum ersten Mal überhaupt eine Brigade fest im Ausland stationieren, und zwar in Litauen. Anfang April trafen die ersten 21 Soldaten der künftigen Brigade in der Hauptstadt Vilnius ein. Bis Ende 2027 sollen nach den Plänen 4800 Soldatinnen und Soldaten die neue Brigade bilden. Die Stationierung gehe mit großem Tempo voran, sagte Scholz in Pabradė. Präsident Nausėda begrüßte die Fortschritte, aber forderte noch mehr Tempo. „Das erfordert unser strategisches Sicherheitsumfeld. Wir können uns nicht den Luxus leisten, auch nur eine Minute zu vergeuden.“

Doch mehr Tempo dürfte nicht einfach sein, denn es geht um eine Herkulesaufgabe für die klammen deutschen Streitkräfte. Insgesamt wird der Aufbau der Brigade inklusive Gerät nach Medienberichten mehr als zehn Milliarden Euro kosten, wovon Litauen einen Teil übernimmt. Auch deswegen fordert Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius trotz des aktuellen Sparzwangs eine Erhöhung des Wehretats um 6,7 Milliarden Euro. Pistorius selbst hatte Litauen im vergangenen Sommer zugesagt, die bislang alle paar Monate in das Land rotierenden Soldaten durch eine fest stationierte Brigade der Bundeswehr zu ersetzen – ausgelegt als schwere Kampfbrigade, die auch ein Panzerbataillon enthält. Es ist ein Signal Berlins, die Verteidigung der Nato-Ostflanke gegen mögliche Aktionen Russlands ernst zu nehmen und sich daran auch dauerhaft mit eigenem Einsatz zu beteiligen.

Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Truppenübungsplatz im litauischen Pabrade: „Deutschland steht unverrückbar an der Seite der baltischen Staaten.“

Deutschland: Aktivere Rolle im Sicherheitsgefüge der Ostsee

Vor wenigen Tagen erst hat sich die Nato zudem offenbar geeinigt, dass Deutschland die militärische Führung der Nato-Staaten in der Ostsee übernimmt und damit eine große Koordinationsaufgabe schultert. Wie der Fachdienst Security.Table berichtet, hatte sich die Entscheidung zuvor hingezogen, da Polen unter der früheren PiS-Regierung eine solche Rolle Deutschlands ablehnte. Die endgültige Entscheidung aber falle erst nach Ende der laufenden Überarbeitung der Nato-Kommandostruktur. Möglicher Standort des künftigen Kommandos ist Rostock – wo es bereits ein deutsches Marinekommando für die Ostsee gibt.

In Riga würdigten die drei Ministerpräsidentinnen diesen Einsatz Deutschlands. Doch so ganz vertrauen sie den Bemühungen Westeuropas noch nicht. Šimonytė verwies auf Finanzierungsprobleme der Rüstungsindustrie in Europa und die daraus resultierende Unsicherheit für die Firmen bei der Frage, ob sie eine langfristige Ausweitung der Produktionskapazitäten in Angriff nehmen sollen oder nicht. Lettlands Evika Siliņa fordert Hilfen aus Europa, weil die baltischen Staaten sehr viel von ihren Waffen an die Ukraine abgegeben hätten und die Depots neu bestückt werden müssten.

Doch es ist genau diese Furcht vor leeren Depots, die viele europäische Länder derzeit mit weiteren Lieferungen zögern lässt. Scholz forderte die Partner daher in Litauen noch einmal direkt auf, die Ukraine mit mehr Militärmaterial aus ihren Waffendepots zu unterstützen. All das zeigt, wie schwierig die Lage derzeit ist. Immerhin: Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall plant in Litauen eine Fabrik für 155-Millimeter-Artilleriegeschosse – was in der Region sehr begrüßt wird.

Rubriklistenbild: © PETRAS MALUKAS