Gesundheitssystem überfordert

Feldlazarette für den Kriegsfall: Deutsche Rüstungsindustrie bereitet sich vor

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    Peter Sieben
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Das deutsche Gesundheitssystem ist nicht auf einen möglichen Kriegsfall vorbereitet. Rüstungskonzerne arbeiten schon an neuen technischen Möglichkeiten.

Berlin – Die Ansage vom Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist eindeutig: Der Zivilschutz und das Gesundheitssystem in Deutschland sind auf einen Ernstfall wie etwa einen kriegerischen Angriff nicht annähernd vorbereitet. „In einem bewaffneten Konflikt oder einer Krise sind wir doppelt gefordert: Die jetzt schon große Gesundheitsleistung für die Zivilbevölkerung muss aufrechterhalten werden und hinzukommt die für Soldaten“, sagte zuletzt Joß Steinke, Leiter des DRK für die Bereiche Jugend und Wohlfahrtshilfe, gegenüber IPPEN.MEDIA.

1000 Verletzte pro Tag: Gesundheitssystem in Deutschland kaum auf Kriegsfall vorbereitet

Ein Thema, das angesichts einer angespannten Sicherheitslage spätestens nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine ganz neue Brisanz erfährt. Auch, weil der russische Präsident Wladimir Putin schwer zu berechnen ist. Experten gehen davon aus: Falls NATO-Mitglieder im Bündnisfall zum Beispiel in den Ukraine-Krieg eingreifen müssten, gäbe es pro Tag 1.000 Verletzte. Innerhalb weniger Tage wäre demnach die Bettenzahl allein in Bezug auf militärisches Personal ausgereizt.

Industriepark Raufoss: Wo Spezialmunition für die Ukraine und Autoteile produziert werden

Ein zugefrorener See in Norwegen nördlich von Oslo
Raufoss liegt zwischen dichten Wäldern und großen Seen – gut 130 Kilometer nördlich der norwegischen Hauptstadt Oslo.  © Peter Sieben
Ein rotes Haus mit Holzfassade in der Dämmerung im Schnee
Bunte Häuser mit Holzfassaden säumen die Straßen. © Peter Sieben
Ein Straßenschild in Raufoss in Norwegen und ein Haus im Schnee
„Verteidigungsausrüstung“ steht auf dem Schild über dem Logo von Rüstungsproduzent Nammo. Wer durchs idyllische Städtchen Raufoss schlendert, rechnet nicht damit, dass direkt neben an ein bedeutender Industriepark liegt, in dem auch Munition für die Ukraine produziert wird.  © Peter Sieben
Øivind Hansebråten, CEO vom Raufoss Industriepark in Norwegen
Øivind Hansebråten ist CEO vom Raufoss Industriepark, einem der bedeutensten in Norwegen. Im Vergleich zu deutschen Parks ist er recht überschaubar. „Ich weiß, in Deutschland ist alles größer, aber für uns ist das schon ganz gut“, sagt Øivind und grinst. Dafür geht es hier recht familiär zu. © Peter Sieben
Emma Østerbø im Catapult Centre in Raufoss
Know-how wird im Industriepark geteilt: Emma Østerbø ist General Manager beim Raufoss Katapult Center. Hier können Start-Ups Prototypen testen.  © Peter Sieben
Gebäude von Benteler im Raufoss Industriepark in Norwegen
Im Raufoss Industriepark gibt es auch ein großes deutsches Unternehmen: der Autozulieferer Benteler. Dabei sind die Löhne hier höher als in Deutschland. Aber: Das Unternehmen nutzt hier auch norwegisches Know-How, um Automationsmechanismen zu testen.  © Peter Sieben
Mitarbeiter von Benteler in Raufoss in Norwegen
In den Produktionshallen von Benteler arbeiten pro Schicht nur zwei bis drei Menschen – das meiste läuft automatisiert. Das hat zwei Gründe: Fachkräfte sind Mangelware, im riesigen Norwegen leben vergleichsweise wenige Menschen. Und: Die Löhne für Fachkräfte sind hoch. Viele Unternehmen setzen auf Automation.  © Peter Sieben
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo in Raufoss in Norwegen
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo: Der Rüstungskonzern und Produzent von Spezialmunition gehört zu den ganz großen und zentralen Unternehmen im Industriepark.  © Peter Sieben
Eine Backstein-Werkshalle von Nammo im Raufoss-Industriepark in Norwegen
Eine der Werkshallen von Nammo: Im Raufoss Industriepark gibt es zahlreiche renovierte historische Gebäude.  © Peter Sieben
Nammo-Munitionsfabrik in Raufoss in Norwegen
Fotos dürfen in der Munitionsfabrik nur an einer einzigen Stelle gemacht werden. Damit keine sensiblen Informationen nach außen dringen, gelten strenge Sicherheitsregeln.  © Peter Sieben
Ein Arbeiter an einer Maschine in der Munitionsfabrik von Nammo in Raufoss in Norwegen
Präzision hat eine hohe Priorität: Mithilfe von Robotern und Computertechnik werden die Projektile gefertigt.  © Peter Sieben
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.  © Ippen.Media
Thorstein Korsvold, Pressesprecher von Nammo, stemmt eine Stahlhülse
Thorstein Korsvold stemmt eine der fertigen Hülsen, die zu Projektilen weiterverarbeitet werden: „Wiegt locker 30 bis 40 Kilo.“ Das meiste, das sie hier produzieren, geht an die ukrainischen Streitkräfte. So werden hier Rohlinge für M72-Panzerabwehrmunition gefertigt, die von ukrainischen Soldaten massenhaft verschossen werden. „Wir sind stolz auf unsere Produktion“, sagt Thorstein. „Aber es hat alles zwei Seiten. Wenn unser Geschäft besonders gut läuft, hat das düstere Gründe.“  © Peter Sieben

Das DRK fordert nun mehr Investitionen der Bundesregierung in den Bevölkerungsschutz. Konkret: 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts, das wären pro Jahr etwa zwei Milliarden Euro. Aktuell wird nur ein Viertel dieser Summe ausgegeben. Zudem brauche es mehr Ausstattung, etwa mobile Unterkunftseinrichtungen, in denen bei Zerstörungen der Infrastruktur Tausende Menschen direkt versorgt werden könnten.

Deutschland als Drehscheibe im NATO-Bündnisfall

Im NATO-Bündnisfall wäre Deutschland zudem auch Drehscheibe für Truppen aus dem Ausland – sprich: Auch die Versorgung alliierter Truppen würde eine Rolle spielen. Unternehmen aus der Rüstungsindustrie entwickeln auch deshalb derweil neue Lösungen.

Der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall etwa produziert über eine Tochtergesellschaft spezielle modulare Versorgungseinrichtungen wie mobile Feldlazarette und sogenannte Rettungsstationen, die bereits an der ukrainischen Front im Einsatz sind. „Diese Module sind sehr schnell einsetzbar und natürlich auch in Deutschland für den Bereich des Katastrophenschutzes absolut geeignet“, so ein Unternehmenssprecher gegenüber IPPEN.MEDIA.

Mobile Feldlazarette und Rettungsstationen für das Gesundheitssystem

Nur: Was, wenn es im schlimmsten Fall wirklich schnell gehen müsste? Wären genug solcher mobilen Einrichtungen verfügbar? „Vorgehalten im Sinne des Aufbaus von Lagerbeständen bei Rheinmetall werden diese Produkte grundsätzlich nicht“, so der Sprecher. „Dennoch können durch gut abgestimmte Maßnahmen schnelle und verlässliche Lieferungen ermöglicht werden.“

Mobile Rettungsstationen wie diese sind in der Ukraine im Einsatz.

Eine vollständige Bedarfsdeckung wäre aber schwierig. „Bei einem entsprechend großen und verlässlichen Auftrag könnte Rheinmetall die notwendige Skalierung jederzeit erreichen, um mehrere Systeme pro Jahr zu liefern“, so der Sprecher. „Die maximale Anzahl pro Jahr ist dabei nicht vorher festgelegt, richtet sich aber natürlich nach der Größe der jeweiligen Systeme, dem Grad der Komplexität und der gewünschten Ausstattung.“

Konkrete Aufträge seitens der Regierung gebe es aber nicht. „Aktuell sind uns keine direkten Gespräche hierzu bekannt.“ Man stehe dem Bundesinnenministerium genauso wie dem Bundesverteidigungsministerium aber gern zur Verfügung. Immerhin: Für den Konzern wäre ein solcher Auftrag mit einem Milliardengeschäft verbunden.

Rubriklistenbild: © Rheinmetall