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DRK-Präsidentin Hasselfeldt warnt: „Pflegebedürftige sind zunehmend unterversorgt“
VonMoritz Maier
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In der Pflege läuft vieles schief, beklagt Gerda Hasselfeldt vom Roten Kreuz im Interview. Lösungen gäbe es – wenn Entscheidungsträger aktiv würden.
Berlin – Gerda Hasselfeldt ist seit 2017 Präsidentin des Deutschen Roten Kreuz (DRK). Die ehemalige Bau- und Gesundheitsministerin der CSU beklagt etliche Fehlentwicklungen im Pflege- und Gesundheitsbereich. Sie fordert bessere Arbeitsbedingungen für Pfleger und kritisiert die Bundesländer, die die Kosten für Menschen nach oben treiben. Die derzeitige Lage im Gaza-Streifen nennt Hasselfeldt katastrophal, schon etliche Helfer sind im Einsatz gestorben.
DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt fordert grundlegende Reformen der deutschen Pflege. Im Interview geht es um steigende Pflegebeiträge, verschleppende Länder und den Krieg in Gaza.
Frau Hasselfeldt, die Pflegebeiträge sollen im nächsten Jahr steigen, da die Zahlungsfähigkeit der Pflegekasse sonst in Gefahr ist. Die Negativ-Nachrichten in der Pflege häufen sich: Laufen wir sehenden Auges in eine Katastrophe?
Die Situation ist bei den Einrichtungen äußerst besorgniserregend, und zwar aus zwei Gründen. Wir haben auf der einen Seite einen sehr starken Bedarf an Arbeitskräften – der derzeit schon nicht gedeckt ist und künftig zunimmt. Und auf der anderen Seite haben wir eine unterfinanzierte Pflegeversicherung, die beispielsweise die notwendigen Lohnsteigerungen nicht ausreichend gegenfinanziert. Deshalb müssen viele stationäre wie ambulante Einrichtungen Dienste reduzieren und Abteilungen oder teilweise sogar ganze Häuser schließen, sodass die Versorgungssicherheit nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden kann, wenn nicht gegengesteuert wird.
Pflege für die Bedürftigen teuer – Länder vernachlässigen Pflegeeinrichtungen
Wie sieht es bei den zu Pflegenden aus?
Es gibt viele Pflegebedürftige etwa im ambulanten Bereich, die Leistungen ablehnen, weil sie dafür zu viel selbst zahlen müssten. Das hat zur Konsequenz, dass Pflegebedürftige zunehmend unterversorgt sind. Im stationären Bereich haben wir einen Eigenanteil, der im Durchschnitt bei 2500 bis 2700 Euro pro Monat liegt. Das ist zu viel und da muss sich was bewegen.
Zum Beispiel?
Der hohe Eigenanteil ergibt sich unter anderem, weil viele Bundesländer ihren gesetzlichen Verpflichtungen für Investitionsausgaben an die Pflegeeinrichtungen nicht nachkommen. Die im Gesetz beschriebene Pflicht dazu ist leider schwammig formuliert, weswegen viele Länder nicht genug zahlen und dadurch die Kosten für die pflegebedürftigen Menschen steigen. Zudem müssen Leistungen aus der Pflegeversicherung bezahlt werden, die aus anderen Töpfen finanziert werden müssten. Beispielsweise zahlt die Pflegeversicherung die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige. Wir fordern eine grundlegende Reform und wollen die Finanzierung der Pflegeversicherung mit einem Sockel-Spitze-Tausch auf eine solide und planungssichere Basis stellen.
Was heißt das?
Pflegebedürftige sollen künftig je nach Stufe einen festen Betrag für die Pflege zahlen. Was darüber hinausgeht, kommt aus der Pflegekasse. Momentan ist es umgekehrt und der Eigenanteil für Menschen steigt Jahr für Jahr an. Aktuell sind die Kosten für eine mögliche Pflegebedürftigkeit entsprechend nicht kalkulierbar. Auch das würde sich durch einen Tausch ändern und somit verbessern.
Mehr als fünf Millionen Pflegebedürftige in Deutschland – „Zahl steigt seit Jahren“
Gesundheitsminister Lauterbach gab sich zuletzt sehr überrascht, wie die Zahl der Pflegebedürftigen steigt.
Man muss der Situation ins Auge sehen. Um die Jahrtausendwende hatten wir rund zwei Millionen Pflegebedürftige. Heute sind es mehr als fünf Millionen. Das hängt insbesondere mit der demografischen Entwicklung zusammen. Daher steigt die Zahl schon seit Jahren.
Steigt auch die Zahl der Pflegerinnen und Pfleger?
Ja, aber bei weitem nicht im selben Maß und aktuell stagniert die Zahl sogar eher. Wenn wir in die Zukunft sehen, wird das Problem noch größer. Von den heutigen Pflegekräften gehen viele bald in Rente und es gibt nicht genug neu ausgebildete Kräfte. Wir haben schon jetzt eine prekäre Situation, die noch angespannter wird.
Als DRK wollen Sie deshalb den Pflegeberuf attraktiver machen.
Der Pflegeberuf ist sehr anspruchsvoll und erfordert eine hohe Qualifikation sowie Weiterbildungen. Pfleger sind nicht die Hilfskräfte der Ärzte, sondern haben eine eigene Profession und viel Verantwortung. Das muss sich auch in der Praxis widerspiegeln, in Wertschätzung zum einen, und Aufstiegschancen zum anderen.
Pflegekräfte fehlen in Deutschland: Berufe sollen attraktiver werden
Aufstiegschancen, was heißt das?
Es braucht bundesweit gute Ausbildungs- und Weiterbildungsstrukturen sowie neue Tätigkeitsfelder für Pflegekräfte, die mit mehr Führungsverantwortung verbunden sind, etwa in Gemeinden. Unter Führung von Pflegepersonal könnten Ehrenamtliche leichtere Pflegetätigkeiten übernehmen, dazu gibt es schon Modellprojekte. Es geht um gute Ideen und neue, regional passende Strukturen. Außerdem müssen wir den Stress und die Arbeitsbelastung in der Pflege reduzieren. Das könnte man unter anderem durch Springer-Pools, die Träger-übergreifend einspringen und die Reduzierung von bürokratischen Tätigkeiten erreichen.
Sie fordern mehr Verantwortung für Pflegerinnen und Pfleger. Im Gesundheitsministerium wird gerade dafür das Pflegekompetenzgesetz erarbeitet. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Die Details sind noch nicht entschieden, aber die Richtung ist gut. Pflegekräfte haben durch ihre Ausbildung hohe Kompetenzen und es ist beispielsweise nicht einzusehen, dass man für Folgeverordnungen von Verbandsmaterial immer einen Arzt braucht. Das kann die Pflegekraft machen.
Warnung vom Deutschen Roten Kreuz: Lauterbachs Krankenhausreform unzureichend
Neben der Pflege befinden sich auch viele Krankenhäuser in einer prekären Situation.
Ja, besonders gemeinnützige Krankenhäuser, die weder Kommunen im Rücken haben, noch Rücklagen bilden dürfen, müssen schon jetzt Insolvenz anmelden. Diese Häuser verschwinden, obwohl sie leistungsfähig sind, aber eben wie viele andere auch Verluste machen, für die Kosten aber niemand einspringt. Die Konsequenz ist eine Unterversorgung in manchen Regionen. Wir brauchen jetzt Lösungen, um die Situation der gemeinnützigen Krankenhäuser zu verbessern. Die aktuellen Reformbemühungen sind leider unzureichend.
Eine weniger absehbare Krise ereignete sich vor Kurzem mit der Flutkatastrophe. Sie selbst sind aus Bayern und der betroffenen Region – wie schätzen sie den Katastrophenschutz ein?
Die Leistung aller Helfer war hervorragend, das kann gar nicht genug gelobt werden. Trotzdem brauchen wir künftig mehr Unterstützung für solche Fälle. Zwar ist Katastrophenschutz Ländersache, Zivilschutz dagegen Angelegenheit des Bundes. Aber da benötigen wir mehr. Denn, das sind keine Jahrhunderthochwasser mehr, sowas kann schnell wieder kommen. Sicherheit ist nicht nur eine Frage der Außenpolitik und der Bundeswehr. Wir brauchen auch im Bevölkerungsschutz eine Art Zeitenwende.
DRK: Lage im Gaza-Streifen „katastrophal“
Als DRK treten Sie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit auf und helfen in Krisengebieten. Aus europäischer Sicht dominieren die Konflikte in unserer Nachbarschaft – Sie beschäftigen sich aber mit mehr.
Es gibt viele Krisenherde, die in unserer Debatte untergehen und aus dem Bewusstsein verschwinden. Wir vom DRK sind in mehr als 50 Ländern aktiv, in Bangladesch, im Sudan, im Jemen und vielen mehr. Wir unterstützen unsere Rotkreuz- oder Rothalbmondschwestergesellschaften bei der Betreuung von vertriebenen und geflüchteten Menschen, helfen in der Akutphase und weit danach noch bei Erdbeben oder Flutkatastrophen und sind in Konfliktgebieten aktiv. Was wichtig ist: Wir sind dabei stets neutral, ergreifen keine Partei, wir unterteilen nicht in Schuldige und Unschuldige. Wir helfen allen, die Hilfe brauchen, allein nach dem Maß der Not.
Bilder zeigen, wie der Krieg in Israel das Land verändert
Derzeit ist das DRK auch im Gaza-Streifen aktiv. Wie ist die humanitäre Lage vor Ort?
Die Lage für Millionen Menschen im Gaza-Streifen ist katastrophal. Den Preis für diesen Konflikt zahlt die Zivilbevölkerung. Es gibt tausende Tote und Verletzte und ein großes Problem ist, dass uns häufig der beständige Zugang zu den Menschen fehlt, die Hilfe benötigen. Außerdem fehlt es oft an Sicherheit für unsere Helfenden. Allein 20 Helfer unserer Schwestergesellschaft Palästinensischer Roter Halbmond sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Hilfseinsatz gestorben. Aber auch unsere Schwestergesellschaft Magen David Adom in Israel hat den Verlust von vier Helfern im Einsatz zu beklagen. Vergessen darf man auch nicht das Leid der Geiseln und ihrer Familien. Sorge bereitet aber auch die zunehmende massive Gewalt im Norden Israels. Viele Zehntausende Menschen mussten in den vergangenen Monaten ihre Heimat verlassen, viele mehr leben beständig in Angst um ihr Leben. Als Rotes Kreuz können wir nur immer wieder an alle Konfliktparteien appellieren, das humanitäre Völkerrecht zu achten und die Zivilbevölkerung zu schützen.