Nicht für den Ernstfall gerüstet

„Für einen bewaffneten Konflikt sind wir nicht aufgestellt“ – Deutsches Rotes Kreuz warnt

  • Moritz Maier
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Das deutsche Gesundheitssystem muss auf einen bewaffneten Konflikt vorbereitet sein – doch die Realität sieht anders aus. Das Deutsche Rote Kreuz kritisiert die Politik.

Berlin – Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich wohl keine neuen Freunde gemacht, als er im März ankündigte, das deutsche Gesundheitssystem auf einen bewaffneten Konflikt vorbereiten zu wollen. Zumindest nicht bei Betroffenen im Gesundheitssystem. Denn dort herrscht Einigkeit: Schon im Friedensfall bereitet die Versorgung Kopfzerbrechen – da braucht man mit einem Kriegsszenario erst gar nicht anzufangen. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) richtet nun klare Worte an die Politik: Auf den Ernstfall ist das Land nicht annähernd vorbereitet.

Gesundheitssystem für Kriegsfall nicht vorbereitet

Lauterbach reagierte mit seinen Worten auf den russischen Überfall und den resultierenden Ukraine-Krieg, der verdeutlicht, dass ein Kriegsszenario für Deutschland – ob direkt oder über den Nato-Bündnisfall – nicht mehr fernab jeder Realität ist.

„In einem bewaffneten Konflikt oder einer Krise sind wir doppelt gefordert: Die jetzt schon große Gesundheitsleistung für die Zivilbevölkerung muss aufrechterhalten werden und hinzukommt die für Soldaten.“ Joß Steinke ist Leiter des DRK für die Bereiche Jugend und Wohlfahrtshilfe. Gegenüber IPPEN.MEDIA machen Steinke und sein Kollege René Burfeindt, Bereichsleiter für die nationale Hilfsgesellschaft des DRK, darauf aufmerksam, was es überhaupt heißt, das Gesundheitssystem für den Ernstfall vorzubereiten.

Das DRK hat dafür unlängst extra einen „Brennpunkt“ mit dem Titel „Das deutsche Gesundheitssystem auf bewaffnete Konflikte vorbereiten“ formuliert. Dieser ist Steinke zufolge „im Grunde ein Kommentar auf die Aussagen des Gesundheitsministers. Wir wollen damit auch auf die Diskrepanz hinweisen, wie die politischen Anforderungen an uns sind und, wie die tatsächlichen Rahmenbedingungen und die Gesamtsituation des Sozialsystems sind.”

Krankenhäuser, Rettungsdienste und Ehrenamtliche müssen helfen

Dem DRK kommt eine besondere Rolle zu, denn die gemeinnützige Organisation ist rechtlich verpflichtet, im Kriegsfall den Sanitätsdienst der Bundeswehr zu unterstützen. Außerdem betreibt das Rote Kreuz etliche Rettungsdienste und Krankenhäuser in der Republik und koordiniert die Arbeit hunderttausender Ehrenamtlicher. Durch das öffentlichkeitswirksame Auftreten Lauterbachs sieht sich die Organisation nun aufgefordert zu zeigen, wo es in Deutschland überall hakt. „Für einen ausgeweiteten bewaffneten Konflikt sind wir nicht ausreichend aufgestellt“, sagt etwa Burfeindt im Gespräch über die Versorgungslage im Inneren. „Wir stoßen im Gesundheitssystem teilweise schon jetzt an unsere Grenzen“, ergänzt Steinke.

DRK fordert Zeitenwende im Gesundheitssektor

Das DRK fordert deswegen mehr als nur Worte von der Politik. „Wir brauchen nicht nur im militärischen Sinne eine Zeitenwende“, sagt Burfeindt. „Wir müssen deshalb auf die Frage aufmerksam machen, wie wir unter diesen Voraussetzungen zusätzliche Kräfte für humanitäre Aufgaben in einem bewaffneten Konflikt mobilisieren sollen.“

Deutschlandweit stehen etliche Krankenhäuser vor dem finanziellen Aus. Das Rote Kreuz kritisiert die Unterfinanzierung des Gesundheitssystems – auch im Sinne eines Sicherheitsrisikos für Deutschland.

Als Beispiel dienen den DRK-Verantwortlichen die vor dem Aus stehenden Kliniken im Land: „Etliche Krankenhäuser sind schon jetzt existenziell bedroht oder mussten schließen – es ist ein Widerspruch zur aktuellen Politik, da jetzt plötzlich zu sagen, dass dieses System dann in einem bewaffneten Konflikt bestehen soll.“

Zwei Milliarden Euro für Bevölkerungsschutz

Die Rotkreuz-Vertreter fordern unter anderem mehr Mittel. Konkret wollen sie 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für den Bevölkerungsschutz. Das wären jährlich etwa zwei Milliarden Euro – derzeit wird ein Viertel davon ausgegeben. Außerdem brauche es mehr Ausstattung, wenn man ernstlich um die Sicherheit im Ernstfall bemüht sei. Als Beispiel nennt Burfeindt das MBM 5000, eine mobile Unterkunftseinrichtung, die bei Zerstörung der Infrastruktur 5000 Menschen direkt versorgen kann.

Das DRK stellt eines davon. „Ziel der deutschen Politik ist es, davon perspektivisch zehn Module vorzuhalten und somit die Versorgung von 50.000 Menschen sicherzustellen“, so Burfeindt. Zum Vergleich: internationale Schutzziele gehen oft von einem bis zwei Prozent der Bevölkerung aus – das wären rund 1 Million Menschen. DRK-Vertreter Burfeindt kritisiert deshalb auch hier die Politik: „Seit Jahren sprechen wir davon, dass es im Zivilschutz eine auskömmliche Finanzierung geben muss. Davon sind wir weiterhin weit entfernt.“

Rotes Kreuz will gesellschaftlichen Richtungswechsel

Um das deutsche Gesundheitssystem krisenfest zu machen, braucht es aus Sicht des DRK also vor allem eins: Geld. Für Ausstattung, für Personal, aber auch für Schulungen der Zivilbevölkerung, wie Menschen im Fall wegbrechender Infrastruktur vorgehen müssen.

Für Joß Steinke hängt der Erfolg oder Misserfolg der Zeitenwende im Gesundheitssystem von einem gesamtgesellschaftlichen Richtungswechsel ab: „Mit Blick auf die Unterfinanzierung all dieser Bereiche müssen wir uns jetzt fragen, was wir als Gesellschaft eigentlich wollen. Wollen wir in erster Linie auf betriebswirtschaftliche Effizienz getrimmtes Sozialsystem oder eines, das wieder stärker Qualität in den Blick nimmt, langfristig ist und für den Ernstfall des bewaffneten Konflikts gerüstet ist? Und da müssen wir dann auch ehrlich sagen: Das ist nicht immer billig. Aber diese Investitionen lohnen sich.”

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