Wahlzettel auf Nawalny-Grab

Nach Wahl-Farce in Russland: Putin nennt Nawalny-Tod ein „trauriges Ereignis“

  • Kathrin Reikowski
    VonKathrin Reikowski
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Russlands Präsident Wladimir Putin nennt nach der stark kritisierten Wahl erstmals seit Jahren den Namen des toten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny.

Moskau - Bei der Wahl in Russland ging Kreml-Chef Wladimir Putin wenig überraschend als Sieger hervor. Mit 87 Prozent der Stimmen erzielte der Machthaber ein Rekordergebnis, das Beobachtern zufolge allerdings nur durch Repression, Zwang und Betrug erreicht worden sein soll. Auf einer Pressekonferenz im Anschluss äußerte sich Putin unerwartet zu Alexej Nawalny. Er nannte den Tod des Kreml-Kritikers einen „traurigen Vorfall“, den man nicht mehr ändern könne und sprach über die Idee eines Gefangenenaustausches.

Putin äußert sich nach Russland-Wahl zu Nawalnys Tod

Zuvor hatte der britische Journalist Keir Simmons den russischen Präsidenten Putin danach gefragt, ob er die Wahlen wirklich als demokratisch bezeichnen möchte. „Der Journalist Evan Gershkovich traf diese Wahl im Gefängnis. Boris Nadeschdin, der gegen Ihren Krieg in der Ukraine ist, wurde die Teilnahme an Wahlen gegen Sie verweigert, und Alexej Nawalny starb während Ihres Wahlkampfs in einem Ihrer Gefängnisse. Herr Präsident, nennen Sie das Demokratie?“, lautete Simmons Frage laut dem russischen Oppositions- und Exilmedium Meduza.

„Das ist das Leben. Wenn Herr Nadezhdin an diesem Wahlkampf nicht teilgenommen hat, dann ist dies in erster Linie das Ergebnis seiner unbefriedigenden Arbeit bei der Vorbereitung dieser Wahlen“, antwortete Putin. Boris Nadeschdin war im Vorfeld trotz breiter Zustimmung von den Wahlen ausgeschlossen worden, hatte aber – anders als Nawalny – seine Anhänger nicht zu Protesten dagegen aufgerufen.

Nach Russland-Wahl: Putin nennt Tod Nawalnys „trauriges Ereignis“

Putin reagierte in seiner Antwort auf eine weitere Teilfrage des Journalisten – und nahm dabei auch erstmals seit Jahren den Namen des verstorbenen Oppositionspolitikers Nawalny in den Mund. Über Nawalnys Tod in einem russischen Gefängnis sagte Putin: „Was Herrn Nawalny betrifft. Ja, er ist gestorben. Das ist immer ein trauriges Ereignis. Nun, wir hatten andere Fälle, in denen Menschen im Gefängnis starben. Ist das nicht in den USA passiert? Ist mehr als einmal passiert.“ Auch habe Putin „ein paar Tage, bevor Herr Nawalny starb“ die Idee angetragen bekommen, Nawalny gegen russische Gefangene in westlichen Gefängnisse auszutauschen.

„Vielleicht glauben Sie mir, vielleicht auch nicht ... Die Person, die mit mir gesprochen hat, hatte ihren Satz noch nicht beendet, aber ich sagte: ‚Ich stimme zu.‘ Aber leider ist passiert, was passiert ist“, erklärte Putin in der Pressekonferenz. Kurz nach Nawalnys Tod verlautete aus dem Kreis seiner Vertrauten, dass er eigentlich gegen den in Deutschland inhaftierten sogenannten Tiergartenmörder hätte frei getauscht werden sollen. Demnach hätte der im Dezember 2021 in Deutschland verurteilte Wadim K. an Russland ausgeliefert werden sollen – im Gegenzug für Nawalny und zwei nicht näher genannte US-Amerikaner. Ein entsprechendes Angebot sei Kremlchef Wladimir Putin Anfang Februar unterbreitet worden, hieß es.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, spricht bei einem Besuch in seiner Wahlkampfzentrale nach den Präsidentschaftswahlen.

Wie die Tagesschau berichtet, bezeichnete Nawalnys langjähriger Vertrauter Leonid Wolkow die Worte Putins als „zynisch“. Der Kreml-Chef habe seinen Gegner in Wahrheit getötet, um ihn nicht austauschen zu müssen. Wolkow bezeichnete Putin als eine „Blut saugende Wanze“, die bald platzen werde. International hatten viele Regierungen die Wahlen in Russland als undemokratisch kritisiert.

Putins Wahl in Russland: Protestaktionen sorgen für Aufsehen

Der zu einer langjährigen Haftstrafe Nawalny war Mitte Februar in einem Straflager in Sibirien gestorben. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt. Laut Behörden ist der schärfste Kritiker von Putin bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche seien erfolglos geblieben. Seine Witwe Julia Nawalnaja geht davon aus, dass ihr Mann im Lager ermordet wurde.

Sie hatte dazu aufgerufen, am Wahltag eine Idee ihres verstorbenen Mannes in die Tat umzusetzen. Putin-Gegner sollten aus Protest am Sonntag um 12 Uhr zur Wahl gehen und ihren Unmut über die unfreien Wahlen ausdrücken. Das Exilmedium Novaja Gazeta Europe zeigte Warteschlangen, die etwa in Sankt Petersburg um mehrere Häuserreihen gingen, mindestens 40 Menschen sollen demnach nach Protestaktionen festgenommen worden sein.

Nawalny verlängert die Liste der Opfer Putins – ein Überblick

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny war über Jahre der markanteste Kopf der russischen Opposition. Schon früh prangerte der Rechtsanwalt das Machtlager von Präsident Wladimir Putin offen als „Partei der Gauner und Diebe“ an.  © Andrei Zhilin/afp
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin.
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin. © Anatoly Maltsev / dpa
Alexej Nawalny
2013 trat er als Bürgermeisterkandidat in Moskau an und erreichte mit 27 Prozent der Stimmen den zweiten Platz. Später organisierte er Massenproteste im ganzen Land, besonders aber in Moskau. 2018 wollte Nawalny selbst Präsident werden, doch die Justiz schob ihm einen Riegel vor. Wiederholt wurde er wegen Betrugs- und Diebstahlsvorwürfen vor Gericht gestellt und verurteilt. © Kirill Kudryavtsev/afp
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei.
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei. © Valentina Svistunova / dpa
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro.
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro. © Evgeny Feldman / dpa
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden.
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden. © Jean-Francois Badias / dpa
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen.
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen. © Alexander Demianchuk / Imago
Alexej Nawalny
Im August 2020 brach Nawalny bei einer Reise zusammen und fiel ins Koma. Grund war eine Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok, wie Untersuchungen an der Charité in Berlin bewiesen. © Instagram account @navalny/afp
Alexej Nawalny
Im Januar 2021 kehrte Nawalny nach Russland zurück, wo er erneut vor Gericht gestellt und unter anderem wegen angeblichem „Extremismus“ zu 19 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Im Dezember 2023 folgte die Verlegung in ein Lager hinter dem Polarkreis. Am 16. Februar 2024 starb Nawalny nach Justizangaben in dem Straflager. Er sei nach einem Hofgang zusammengebrochen, teilte die Gefängnisverwaltung mit.  © Vera Savina/afp
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben. Weltweit wird um den Kreml-Kritiker getrauert. © IMAGO/Vuk Valcic / ZUMA Wire
Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin war in Russland als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit bekannt. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb war Prigoschin, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, auch als „Putins Koch“ bekannt. Niemand sonst in Russland traute sich solche Kritik wie Prigoschin © ITAR-TASS/Imago
Jewgeni Prigoschin
Über Monate hinweg legte sich Jewgeni Prigoschin mit der Militärführung in Moskau an. Immer wieder warf der Chef der russischen Privatarmee Wagner dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der Armee vor, Präsident Wladimir Putin zu belügen. Mit einem bewaffneten Aufstand seiner Privatarmee forderte Prigoschin aber auch Putin selbst heraus. © Sergey Pivovarov/Imago
Jewgeni Prigoschin
Nach seinem gescheiterten Aufstand sahen Fachleute den Söldnerchef aber dem Tode geweiht. Kremlchef Putin hatte die Kämpfer um seinen Ex-Vertrauten als Verräter bezeichnet. Tatsächlich starb Prigoschin zwei Monate nach seiner Meuterei gegen die russische Staatsmacht im August 2023 bei einem Flugzeugabsturz in Russland. © Imago
Boris Nemzow
Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow galt als einer der schillerndsten und mutigsten Politiker Russlands. Feinde machte er sich vor allem mit seiner Kritik an der Ukraine-Politik von Kremlchef Wladimir Putin. Er wurde zur Galionsfigur der zersplitterten Opposition und galt als Unterstützer der Richtung Westen strebenden Ukraine. © Oxana Onipko/afp
Boris Nemzow
Nemzow wurde im Februar 2015 durch mehrere Schüsse in den Rücken aus einem Auto heraus erschossen. Der Mord wirft noch immer viele Fragen auf. Die EU drängte Russland wiederholt dazu, den Fall weiter aufzuklären. Ein Gericht in Moskau verurteilte 2017 den mutmaßlichen Mörder und vier Komplizen aus dem Nordkaukasus zu langen Haftstrafen. Nemzows Familie beklagte, dass nach den Drahtziehern nie wirklich gesucht worden sei. © afp
Boris Nemzow
In den 1990er Jahren hatte sich Nemzow als liberaler Reformer in Russland einen Namen gemacht. Präsident Boris Jelzin (rechts im Bild) holte ihn einst in die Regierung nach Moskau. Nemzow war zeitweilig auch als Präsidentenanwärter gehandelt worden. „Ich bin liberal, was Wirtschaftsfragen angeht, aber für eine starke Staatsmacht in der Politik“, sagte er einmal. © TASS/afp
Alexander Litwinenko
Der Putin-Kritiker Alexander Litwinenko starb im November 2006 in London nach einem Anschlag mit dem radioaktiven Gift Polonium 210. Einem Untersuchungsbericht zufolge soll ihm das Strahlengift in einem Londoner Hotel in den Tee gemischt worden sein. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit siechte Litwinenko tagelang dahin. Vom Krankenhausbett beschuldigte er Putin, hinter dem Anschlag zu stecken. Die britische Justiz sieht es ebenfalls als bewiesen an, dass die Spur in hohe politische Kreise in Moskau führt. Russland weist dies zurück. © Sergei Kaptilkin/dpa
Anna Politkowskaja
Die Journalistin Anna Politkowskaja machte sich als Kritikerin der Kriege in Tschetschenien einen Namen. Die Mitarbeiterin Oppositionszeitung Nowaja Gaseta berichtete über Kriegsverbrechen der russischen Armee und der verbündeten tschetschenischen Gruppen und sprach von einem „schmutzigen Krieg“. Häufig musste sie sich gegen Drohungen wehren. Am 7. Oktober 2006 wurde sie vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen. Politkowskajas Familie vermutet ein politisches Motiv für die Tat.  © Imago
Boris Beresowski
Die Serie von mitunter rätselhaften Todesfällen, hinter denen russische staatliche Stellen vermutet werden, ist noch sehr viel länger. Der Oligarch Boris Beresowski (Mitte) fiel nach dem Machtantritt Putins in Ungnade und floh nach Großbritannien. Am 23. März 2013 wurde Beresowski tot im Bad seines Hauses in Ascot gefunden.  © Shaun Curry/afp
Pawel Scheremet
Im Juli 2016 kam der russische Exil-Journalist Pawel Scheremet in Kiew durch eine Autobombe ums Leben. Scheremet engagierte sich während der Maidan-Proteste 2013/2014 in Kiew aufseiten der prowestlichen Kräfte und wurde später Redakteur beim renommierten Internetportal Ukrainskaja Prawda. © Dmytro Larin/afp
Denis Woronenkow
2017 wurde der abtrünnige russische Abgeordnete Denis Woronenkow auf offener Straße in Kiew erschossen. Auch sein Fall wurde nie aufgeklärt. © ITAR-TASS/Imago
Sergej Magnizki
Sergej Magnizki starb 2009 unter ungeklärten Umständen in einem Moskauer Gefängnis. Angeblich wurde der Anwalt, der nach eigenen Angaben einen Steuerbetrug aufgedeckt hatte, zu Tode geprügelt. Medizinische Hilfe wurde im verweigert.  © HO/Hermitage Capital Management/afp
Baburowa/Markelow
Die Journalistin Anastassija Baburowa und der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow wurden 2009 auf der Straße in Moskau erschossen. Für die Tat wurden ein Rechtsextremist und eine Komplizin zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten ihre Schuld bestritten. © ITAR-TASS/Imago
Natalia Estemirowa
Die Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa wurde 2009 in der Konfliktregion Nordkaukasus erschossen aufgefunden. Mit Berichten über das Verschwinden von Zivilpersonen in dem Gebiet hatte sie sich wiederholt den Zorn der Machthaber zugezogen. © Memorial/afp
Sergej Juschenkow
Eines der ersten Todesopfer war Sergej Juschenkow. Der Duma-Abgeordnete wurde im April 2003 in Moskau erschossen. Juschenkow war der Staatsführung ein Dorn im Auge, wenngleich der Politiker über wenig Macht und Einfluss verfügte.  © Roman Mukhamedzanov/Vremya Novos/afp

Russland-Wahl: Nawalnaja stimmt in Berlin ab – Unterstützer legen Wahlzettel auf Nawalnys Grab

In Berlin hatten sich Putin-Gegner zur Wahl am Sonntagmittag vor der russischen Botschaft eingefunden, darunter auch eine Hoffnungsfigur der Opposition. „Julia, wir sind mit dir“, ertönten Rufe aus der Menge, als die Witwe Nawalnys das Gelände der Botschaft betrat. Als sie wenige Minuten später die Botschaft wieder verließ, erzählte sie, was sie auf den Stimmzettel geschrieben hatte: „Natürlich habe ich Nawalny geschrieben. Es kann nicht sein, dass einen Monat vor den Wahlen der wichtigste Gegner Putins, der sich ohnehin im Gefängnis befand, umgebracht wurde.“

Aus Russland selbst zeigte das Nachrichtenportal Meduza noch ein anderes Bild: Auf dem Grab Nawalnys lagen am Sonntag nicht nur weiterhin meterhoch Blumen, sondern auch etwas anderes. Putin-Gegner hatten ihren Protest gegen die Wahlen auf eigene Weise zum Ausdruck gebracht. Sie legten die Wahlzettel der russischen Präsidentschaftswahl auf Nawalnys Grab ab. (dpa/AFP/kat)

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