Interview

Beispiel Bayern: FDP-Vorständin sieht Schul-Problem bei den Ländern – „Jeder denkt nur an sich“

  • Moritz Maier
    VonMoritz Maier
    schließen

Ria Schröder kritisiert die Bundesländer für deren Bildungspolitik. Den Dauerzoff in der Ampel interpretiert die FDP-Bundesvorständin erstaunlich positiv.

Berlin – Ria Schröder ist bildungspolitische Sprecherin der FDP im Bundestag. Die Hamburger Abgeordnete ist stolz darauf, was die Ampel in der Bildungspolitik erreicht hat. Dass trotzdem überall Lehrerinnen und Lehrer fehlen und Berufsorientierungen aus der Zeit gefallen sind, hat der Liberalen zufolge viel mit den Bundesländern zu tun: Die denken nur an sich, meint Schröder.

Frau Schröder, das neue Schuljahr hat begonnen, der Lehrermangel wird wieder bundesweit sichtbar. Wir wissen, dass Kinder ab sechs Jahren eingeschult werden. Wieso planen wir nicht vorzeitig genügend Lehrkräfte ein?
Eigentlich sind die Schülerzahlen gut vorhersehbar. Es gibt aber Faktoren wie Zuwanderung, die schwer zu planen sind. In den letzten Jahren sind 200.000 ukrainische Kinder ins deutsche Schulsystem gekommen. Aber auch ohne Zuwanderung hätten wir Lehrermangel, die Länder haben nicht schnell genug auf die veränderte Situation in den Schulen reagiert. Die Teilzeitquote ist bei Lehrkräften hoch und die Arbeitsbelastung ist eine ganz andere als früher.
Ria Schröder, bildungspolitische Sprecherin der FDP im Bundestag und Mitglied des Bundesvorstands, hält es für ein großes Problem, dass Kindern das Gefühl gegeben wird, sie müssten aufs Gymnasium gehen.
Was meinen Sie?
Lehrkräfte haben heute viel mehr Aufgaben als „nur“ den Unterricht: Es geht um Integration, Inklusion, Elternarbeit, um Sprachförderung, psychische Probleme bei Kindern, Digitalisierung und IT. Und dabei spreche ich noch gar nicht von der Bürokratie, die etwa eine Klassenfahrt bereitet. All diese Dinge kosten enorm viel Zeit, die von der reinen Unterrichtszeit abgehen.

Schule nicht nur Ort der Lehrer

Welche Lösungsansätze gibt es?
Wir müssen Schule als einen Ort vieler Professionen begreifen. Dort müssen Lehrkräfte, Sonderpädagogen, Psychologen, Schulsozialarbeit, Verwaltungsfachkräfte und IT-Experten Hand in Hand zusammenarbeiten. Und natürlich brauchen wir mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie.
Bildung ist Ländersache. Das Geld aus Berlin nehmen die Länder gerne, Einfluss auf die Bildungspolitik verbitten sie sich aber. Sind Ihnen im Bund da die Hände gebunden?
Der Föderalismus hat sicherlich seine Tücken. Eigentlich liegt es im Eigeninteresse der Länder, gemeinsame Wege zu gehen. Bayern beispielsweise aber hat Prämien ausgeschrieben, um Lehrer aus anderen Ländern abzuwerben. Das ist Mangelverwaltung und ein Nullsummenspiel. Damit ist niemandem geholfen. Die Kultusministerkonferenz hat bereits an vielen Stellen gemeinsame Linien ausgearbeitet. Und wir als Bund geben Schützenhilfe, zum Beispiel mit dem Digitalpakt. Trotzdem funktioniert die Absprache oft nicht, weil am Ende jeder nur an sich denkt. Davon müssen wir wegkommen.
Probleme gibt es auch wegen der hohen Abbrecherquote von Schülerinnen und Schülern, ebenso bei Azubis. 2022 haben fast 2,9 Millionen junge Menschen keinen Berufsabschluss gehabt.
Das ist ein Riesenproblem. Wir müssen früher und besser die Weichen dafür stellen, dass jemand gar nicht erst in die Abhängigkeit der Sozialsysteme gerät und stattdessen in vernünftige Arbeitsbedingungen kommt. Entscheidend sind dafür ein Schulabschluss und eine Berufsausbildung. Es gibt gute Beispiele, ich würde mir wünschen, dass die Länder sich mehr voneinander abgucken. In Hamburg gibt es beispielsweise das Model „AvDual“ als Vorbereitung in speziellen Klassen und Unterrichtsformen für die Berufsausbildung. Wir dürfen nicht mehr dabei zusehen, dass Jugendliche von der Schule gehen und dann einfach weg sind.

Bildung zu stark mit sozialer Herkunft verknüpft

Also sollten wir dem Problem schon vorher begegnen?
Ja, darum haben wir auch das Startchancen-Programm ins Leben gerufen. Denn Bildungserfolg ist nach wie vor zu stark mit der sozialen Herkunft verknüpft. Das kann in unserem reichen Land nicht sein, denn Bildung ist die einzige Ressource, die wir in Deutschland haben. Wir helfen Schulen und Kindern dort, wo Armut herrscht, wo es Sprachbarrieren gibt, wo Kinder schlimme Erfahrungen machen mussten und Eltern sie nicht unterstützen können. Schulen sollen selbstständig entscheiden dürfen, was sie brauchen, um den Kindern bessere Chancen zu ermöglichen.
Als ein Teil des Ausbildungsproblems wird besonders von jungen Erwachsenen selbst oft eine mangelhafte Berufsorientierung in der Schule genannt. Sehen Sie das auch so?
Auch hier sind die Länder das Problem. Wir müssen für die Berufsorientierung Praktika mehr Raum geben. Wieso sollten Schülerinnen und Schüler nicht jedes Jahr in zwei Betriebe hineinschnuppern? Gerne mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Praktische Zeiten müssen besser vor- und nachbereitet werden. Insgesamt ist da noch viel Luft nach oben.
Tun die Ausbildungsbetriebe in Zeiten des Fachkräftemangels selbst auch zu wenig, um für junge Menschen noch attraktiv zu sein?
Wahrscheinlich müssen sich alle ein bisschen mehr strecken. Es gibt aber auch schon viele Betriebe, die das sehr gut machen. Am besten sollten potenzielle Arbeitgeber für die Jugendlichen eng mit den Schulen zusammenarbeiten, sich vorstellen und einfach präsent sein. Azubi-Botschafter sind wichtig, weil sie auf Augenhöhe mit Jugendlichen in Kontakt treten können. 
Treffen da heutzutage oft zwei unterschiedliche Welten aufeinander? „Boomer“ und die „Gen Z“?
An einigen Stellen gibt es da sicher eine Art Kulturschock, wenn die Arbeitgeber etwa merken, dass junge Menschen ganz andere Vorstellungen von guter Arbeit und dem Verhältnis von Arbeit und Freizeit haben. Das eine ist aber nicht besser als das andere. Da begegnen sich mittlerweile Welten, die es zuvor nicht getan haben.

„Mittlerer Schulabschluss ist nicht weniger wert als ein Abitur“

Den Betrieben fehlen die Azubis. Gleichzeitig sind die Studierendenzahlen in Deutschland im Verhältnis noch hoch. Sollten mehr junge Menschen wieder in Berufsschule statt Uni?
Entscheidend ist, wo die eigenen Fähigkeiten und Neigungen liegen. Viele bekommen von ihrem Umfeld gesagt, dass sie dieses oder jenes tun müssten. Davon müssen wir wegkommen. Durch die Exzellenzinitiative der Bundesregierung stärken wir auch an Gymnasien die Berufsorientierung. Die Berufsausbildung soll auch dort als attraktiver Karriereweg aufgezeigt werden.
Trotzdem gehen immer mehr Kinder aufs Gymnasium.
Ein mittlerer Schulabschluss ist nicht weniger wert als ein Abitur und eine berufliche Ausbildung nicht schlechter als ein Studium. Wir brauchen dringend Fachkräfte im Handwerk, in der Industrie, in der Pflege. Deswegen muss das Ziel sein, dass jedes Kind nach seinen Talenten gefördert wird, egal ob die Eltern Chefarzt sind oder Busfahrer. Dazu gehört es, dass alle Schulformen eine moderne Ausstattung und exzellente Lehrkräfte haben, die die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung ihrer Stärken bestmöglich unterstützen. 

„Ampel macht keine faulen Kompromisse wie die Groko“

Wie sehen Sie sich mit Ihren bildungspolitischen Forderungen denn in der Ampel-Koalition verstanden, ziehen Sie am selben Strang?
Im Bildungsbereich arbeiten wir in der Ampel an vielen Stellen gut zusammen. Natürlich streiten wir auch, aber das gehört doch dazu. Und in der Ampel machen wir das eben nicht mit faulen Kompromissen wie bei der GroKo, sondern jede Partei kämpft hart für ihre Ziele.
Das ist eine sehr positive Lesart des Dauerzoffs in der Koalition.
Die Menschen wissen, welche Meinung die FDP vertritt, wieso die Grünen es anders sehen und auch, welche Gründe die SPD heranzieht. Dadurch lassen sich die unterschiedlichen Positionen besser nachvollziehen. Aber natürlich muss am Ende eine Einigung her. Im Bildungsbereich klappt das gut, jüngstes Beispiel dafür ist das neue BAföG-Gesetz. Ich bin stolz darauf, was wir als Ampel im Bildungsbereich erreicht haben.

Rubriklistenbild: © IMAGO/Janine Schmitz