Wirtschaftsstandort Deutschland
„Katastrophale Willkommenskultur“: Wie Unternehmen dem Fachkräftemangel trotzen
VonMoritz Maierschließen
In wirtschaftlich angespannten Zeiten machen zwei Unternehmen vor, wie sie erfolgreich Fachkräfte in ihr Unternehmen locken. Das kostet viel Geld – ist aber alternativlos.
Berlin/Mainz/Erfurt – Deutschlands Wirtschaft und Wohlstand steht und fällt mit seinen Arbeiterinnen und Arbeitern. An denen mangelt es immer häufiger. Wie Betriebe neue Angestellte für sich gewinnen können, zeigen zwei Unternehmen, die dafür mit dem ersten deutschen Fachkräftepreis prämiert wurden. Die Mainzer Schott AG investiert besonders viel in die Ausbildung, die Züblin AG wurde für ihr Konzept bei der Fachkräftezuwanderung belohnt.
Arbeit und Fachkräfte: Unternehmen müssen zu den Menschen kommen
„Wir brauchen wirklich jede und jeden“, sagt Peter Schneider über junge Arbeitskräfte in seinem Unternehmen. Schneider ist Ausbildungsleiter der Schott AG, die Spezialglas herstellt und deutschlandweit über 17.000 Menschen beschäftigt. Die Mainzer Ausbildungsstrategie wurde von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit dem Fachkräftepreis in der Kategorie Ausbildung belohnt. Denn, so sagt Schneider, „keiner darf sich heute noch darauf verlassen, dass wir Stellen ausschreiben und die Bewerber von selbst kommen“.
Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen mit über 73.000 einen neuen Höchstwert, wie das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) meldet. Für die Akquise der Fachkräfte von morgen haben Schneider und die Schott AG vor zwei Jahren die „Schul-Roadshow“ ins Leben gerufen. Die Idee: direkt zu den jungen Menschen kommen. Daran scheitert es Schneider zufolge nämlich bei vielen Betrieben.
Speeddating für Vorstellungsgespräche – direkt auf dem Schulhof
Sie fahren mit einem LKW und vielen Angestellten auf Schulhöfe, bauen Experimente und Roboter auf. Letztere können Schülerinnen und Schüler selbst programmieren und steuern. Die Schott-Personaler lassen die jungen Menschen Webseiten bauen, die sie dann auf ihrem eigenen Handy begutachten können. Außerdem gibt es Speeddating für Vorstellungsgespräche.
Unabhängig von Schulnoten und Zeugnissen kommen Schülerinnen und Schüler mit Angestellten ins Gespräch. „Und manche gehen dann mit einem Ausbildungsvertrag aus dem Gespräch“, sagt Schmid. „Es geht darum, technische und handwerkliche Berufe auf den Schulhof zu bringen, ins Gespräch zu kommen und die Schüler dann selbst probieren zu lassen.“ In der schulischen Berufsorientierung komme das oft zu kurz, heißt es vom Ausbildungsleiter.
Laut Schneider hat Schott damit im vergangenen Jahr über 2000 Schülerinnen und Schüler auf sich aufmerksam gemacht und etliche von einer Ausbildung bei sich überzeugt. „Wir investieren enorm viel dafür, unser Budget für Marketing liegt mittlerweile im sechsstelligen Bereich“, sagt der Ausbildungschef. „Unser Hauptstandbein für die Deckung des Fachkräftebedarfs ist die eigene Ausbildung – und entsprechend liegt dort auch unsere Gewichtung.“
Neue Mitarbeiter haben für Unternehmen höchste Priorität
Auch beim Stuttgarter Bauunternehmen Züblin ist die Gewinnung neuer Angestellter die wichtigste Aufgabe im Unternehmen. „Der Fachkräftemangel ist bei uns ein essenzielles Wachstumsproblem“, sagt Stephan von der Heyde aus dem Vorstand. Trotz kriselnder Baubranche sieht von der Heyde in zu wenigen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte Gefahr für die Industrie. 700 Stellen hat das Unternehmen, das deutschlandweit etwa 7000 Menschen beschäftigt, derzeit ausgeschrieben.
Und die Entwicklung verschärft sich. Da mit der Babyboomer-Generation allein bis 2030 etwa sieben Millionen Menschen in Rente gehen, können Unternehmen wie Züblin ihren Arbeitskräftebedarf durch Menschen im Inland allein nicht decken. Züblin sei deshalb „neue Wege gegangen“ und habe eine „Rundumbetreuung“ ausländischer Fachkräfte gestartet, sagt von der Heyde. Das Unternehmen beschäftigt „Recruiter“ im Ausland, etwa Süd- und Osteuropa, die von dort sind, die Sprache und Gegebenheiten der Menschen kennen. Sie sollen Menschen von Züblins neuem Ausbildungszentrum in Bebra bei Erfurt überzeugen, das Teil der Strategie ist, für die das Unternehmen mit dem Fachkräftepreis prämiert wurde.
Integration ausländischer Fachkräfte: „Das ist eine katastrophale Willkommenskultur“
Dort bietet das Unternehmen den Menschen neben dem Arbeitsplatz eine Unterkunft, Sprachkurse und Hilfe bei Behördengängen. Besonders letztere sind für von der Heyde in Deutschland oft problematisch. Ausländische Fachkräfte müssen teils stundenlang vor Ausländerbehörden warten. „Das ist eine katastrophale Willkommenskultur“, sagt das Vorstandsmitglied. „Wenn wir den Menschen solche Dinge selbst überlassen, werden wir als Unternehmen scheitern.“ Auch die Integration der Menschen müsse vom Arbeitgeber vorangetrieben werden.
Trotz der weiterhin offenen Stellen tragen die Investitionen des Unternehmens Früchte. So konnte Züblin im vergangenen Jahr rund 800 neue Angestellte für sich gewinnen. Derart breite Investitionen in Ausbildung und ausländische Fachkräfte werden künftig für die ganze deutsche Wirtschaft unabdingbar, prophezeit der Vorstand. Deshalb fordert von der Heyde auch vom Staat bessere Rahmenbedingungen und Anreize. „Wir brauchen geregeltere Prozesse, um Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen. Da sind andere Länder uns leider weit voraus.“
Rubriklistenbild: © Schott AG
