Fachkräftemangel

„Die Politik denkt nicht um die Ecke“ – Machen Unternehmen und Schulen zu wenig für Azubis?

  • Moritz Maier
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Der Fachkräftemangel fängt schon bei der Ausbildung an. Junge Menschen gibt es genug, doch sie finden nicht zu den Unternehmen. Helfen soll KI – und eine Dating-Plattform für Berufe.

Kiel – Es ist ein auf den ersten Blick widersprüchliches Bild: Praktisch alle deutschen Unternehmen klagen mittlerweile über fehlende Fachkräfte und zu wenige Azubis. Bundesweit waren zuletzt über 70.000 Stellen unbesetzt, seit 30 Jahren der höchste Wert. Gleichzeitig gab es allein 2021 jedoch über 2,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss. Potenzielle Fachkräfte von morgen sind also da, nur landen sie nicht in den Unternehmen. Die schulische Berufsorientierung rückt in den Fokus. Ist sie veraltet? Das behauptet die Kieler Unternehmerin Julia Brenner.

Fachkräfte- und Azubimangel als Folge einer veralteten Berufsorientierung?

„Die Berufsorientierung muss zeitgemäß sein“, sagt Brenner und kritisiert, dass das schon lange nicht mehr der Fall ist. „Wir beobachten die Problematik seit Jahren.“ Die Unternehmerin beschäftigt sich seit Jahren mit der Vernetzung von jungen Menschen und Unternehmen. „In Schulen läuft die Berufsorientierung meist in Form von Tests, oft mit einem Programm der Agentur für Arbeit. Das dauert zwei Stunden und Jugendliche geben regelmäßig Rückmeldungen, dass sie damit überhaupt nicht zufrieden sind“, sagt Brenner. „Hier treffen zwei vollkommen unterschiedliche Welten aufeinander.“

Die schulische Berufsorientierung steht fest in den Lehrplänen, meist gibt es neben Tests auch Praktika, um die richtigen Betriebe kennenzulernen. Kritik an dem System formuliert aber nicht nur Brenner. Auch beim Fachkräftekongress der Bundesregierung, der vor einigen Wochen in Berlin stattfand, äußerten junge Azubis ihre Bedenken. In direkten Gesprächen mit den Bundesministern Hubertus Heil (Arbeit und Soziales, SPD), Bettina Stark-Watzinger (Bildung, FDP) sowie Vizekanzler Robert Habeck (Wirtschaft, Grüne) bemängelten die jungen Menschen, dass die Berufsorientierung zu wenig Orientierung und zu wenig Praxiserfahrung auf den Weg gebe.

„Dating-Plattform“ für Berufe

Die Unternehmerin Brenner hat deshalb 2023 das Projekt broodi ins Leben gerufen. „Man kann es sich wie eine Art Dating-Plattform vorstellen – nur eben für Berufe“, sagt Brenner. Die Idee ist es, junge Menschen und Unternehmen auf einer Plattform zusammenzubringen und anhand der jeweiligen Stärken ein „Match“, also einen Treffer zu finden. Ganz in Manier einer Dating-App. Auch der erste Kontakt zwischen potenziellem Azubi oder Praktikanten und dem Betrieb kann auf der Plattform hergestellt werden. Dazu setzt Brenner auf KI und ein digitales Orientierungsprogramm für die Schülerinnen und Schüler. „Auf unserer Plattform dauert der Test fünf bis zehn Minuten und es kommt bei den jungen Menschen gut an, sie registrieren sich reihenweise.“

Die Gründerin wirbt dafür, moderne und digitalisierte Modelle der Berufsorientierung auch an Schulen besser zu integrieren. Von zuständigen Behörden und Unternehmen hält sich die Begeisterung laut Brenner bisher aber noch in Grenzen. Angesichts der Fachkräfte- und Ausbildungskrise wünscht sich die Unternehmerin mehr Mut für kreative Ansätze. „Die Politik scheint trotz der großen Probleme nicht um die Ecke zu denken und neue Wege gehen zu wollen.“

Auch in der Politik ist man sich einig: Deutschland muss moderner werden

Tatsächlich sehen auch Vertreter aus der Politik Luft nach oben. „Bei der Berufsorientierung bieten Digitalisierung und KI enormes Potenzial, das genutzt werden muss. Intelligente Lernprogramme können persönliche Stärken und Schwächen erkennen und dementsprechend passgenaue Empfehlungen für Berufsfelder geben“, sagte der bildungspolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Thomas Jarzombek angesichts des Azubimangels gegenüber unserer Redaktion.

Auch die Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Bildung und Forschung, Anja Reinalter, spricht sich für mehr Förderung aus. „Junge Menschen brauchen mehr Berufsorientierung – früher, häufiger, regelmäßiger. Eine Woche Orientierung in der 8. Klasse reicht nicht“, so die Bundestagsabgeordnete. Dass es sich Deutschland im Sinne seines Wohlstands nicht mehr mehrere Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss leisten kann und sich etwas ändern muss, sagt auch Arbeits- und Sozialminister Heil: „Wir sind nach wie vor ein starkes Land, aber dieses Land braucht ein Update.“

Rubriklistenbild: © S. E. Lim/Lars Fröhlich/Imago (Montage)

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