Falsche Hoffnung beim EU-Gipfel?

Asyl-Kartenhaus wackelt: Experte zerreißt Drittstaaten-Hoffnungen – „Nebensächlich und nicht ehrlich“

  • Florian Naumann
    VonFlorian Naumann
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Der Asyl-Streit in der EU will kein Ende finden. Einige Hoffnungen ruhen auf Drittstaaten – doch ein Experte meldet im Gespräch mit IPPEN.MEDIA Bedenken an.

Asyl-Stopp in Polen, Deutschlands umstrittene Grenzkontrollen und kräftiges Gezerre am teils unter Schmerzen verabschiedeten „GEAS“-Migrationspaket: Der EU-Gipfel in Brüssel streitet übers Asyl. Schon wieder.

Als Hoffnungsschimmer erscheint einigen die Zusammenarbeit mit „Drittstaaten“ – als „innovative Lösung“ taucht sie auch in einem Zehn-Punkte-Papier von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf. Doch der Politologe Raphael Bossong winkt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA ab, jedenfalls mit Blick auf das große Ganze. Auch Italiens umstrittenes Asylzentrum in Albanien sieht er nicht als Musterlösung.

EU hofft beim Asyl auf Drittstaaten – „Dann muss man sich noch mehr die Hände schmutzig machen“

„Natürlich kann man sagen, wir nehmen nicht alle auf, oder wir versuchen Leute in der Region zu halten – aber zu glauben, wir könnten die Türkei, Tunesien oder Marokko noch stärker als bisher einspannen: Ich sehe beim besten Willen nicht, wie man daran glauben kann“, konstatiert der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Kooperationen seien zwar möglich. Aber mit Sicherheit kein „Gamechanger“ für die EU, betont Bossong.

Liegt die Lösung für die EU-Asylprobleme außerhalb der Grenzen? Experte Raphael Bossong zweifelt. (Archivfoto)

Auch auf debattierte Abschiebungen in das von Diktator Baschar al-Assad regierte Syrien blickt der Experte kritisch. Das sei „enorm kostenintensiv“ und „normativ umstritten“. Er warnt: „Wenn man Menschen in Drittstaaten weitergeben will, dann muss man sich noch mehr die Hände schmutzig machen. Und das tun wir schon in sehr großem Umfang.“ Von der Leyen habe gerade erst wieder explizit Libyen und Tunesien gelobt. In beiden Fällen sei klar, dass systematisch massive Menschenrechtsverletzungen stattfänden: „Da kann man nicht mehr vorgeben, das seien rechtlich saubere Formen der Kooperation.“

Asylstreit in der EU: Italiens Albanien-Modell keine Musterlösung

Italiens Asylzentrum in Albanien will Bossong indes „nicht so kategorisch ablehnen, wie man das mit Ruanda tun müsste“. Auch hier seien aber die Kosten enorm hoch. Italien will in Albanien Asylschnellverfahren durchführen. 650 Millionen Euro soll das über fünf Jahre kosten. Der Effekt sei indes eher, Menschen in andere EU-Länder umzulenken, meint Bossong. Für zu erwartende Nachahmer werde die Luft allerdings dünn. Albanien wolle explizit nur für Italien tätig werden. „Andere Staaten haben sich bis jetzt nicht offiziell bereit erklärt“, konstatiert der Politologe, „und ich sehe auch niemanden, der das wirklich übernehmen wollen würde.“

Bossong mahnte die EU-Staaten zu einem nüchternen Blick auf die Lage. Gewiss könne die Politik Restriktionen einziehen, oder nicht aus politischen Gründen Geflüchtete ablehnen. „Aber wir sind viel, viel stärker davon abhängig, was im Nahen Osten, der Ukraine oder mittelfristig im Sudan und am Horn von Afrika passiert.“ Von diesen Notlagen könne sich Europa schlicht nicht abkoppeln: „Jetzt noch weiter Asyl auszulagern ist eher nebensächlich und nicht ehrlich.“

EU-Größen zerren beim Gipfel am Migrationspaket: „Dann sehe ich nur Chaos“

Der Experte sieht insofern eine schwierige asyl- und migrationspolitische Hausaufgabe auf die EU zukommen. „Unser erstes Ziel muss es sein, möglichst robust und krisenresistent zu sein“, mahnt er. Diese Lage müsse sich der Staatenbund endlich vergegenwärtigen.

Danach sah es zum Gipfelstart am Donnerstag nicht aus. Migrationsfeindliche Staaten wie Polen oder Ungarn gehen in Verweigerung. Deutschland oder Frankreich wollen Teile von GEAS vorziehen, etwa Verfahren an den Außengrenzen – ohne für die Außengrenzstaaten wichtige Kompromisse wie eine solidarische Umverteilung auch zu beschleunigen.

Bossong sieht auch deshalb den GEAS-Kompromiss wackeln. „Das war so ein komplizierter, unbefriedigender Kompromiss, weil er eben ein Konstrukt ist, in dem verschiedene Elemente ineinander greifen“, sagt er. Das Risiko sich die Einigung zu „zerschießen“ sei durchaus real. Das ein Problem für die EU. Denn GEAS sei bei allen Schwächen der einzige vereinbarte und greifbare Weg: „Wenn jetzt alle auseinander gehen und jeder selbst etwas machen will, dann sehe ich keine realistische Option für ein wirklich abgestimmtes Vorgehen, sondern nur Chaos.“ (fn)

Rubriklistenbild: © IMAGO/italyphotopress/Felice De Martino Borgo Egnazia

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