Drohnen im Fokus

Ukraine macht aus der Not geborenes Mittel zur neuen Grund-Taktik im Krieg

  • Christoph Gschoßmann
    VonChristoph Gschoßmann
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Die Ukraine nutzt intensiv Drohnen, um der russischen Übermacht zu begegnen. Der neue Armeechef hat konkrete Pläne für die mittelfristige Zukunft.

München – Im Ukraine-Krieg haben die russischen Invasoren nicht nur die Lufthoheit, sondern auch deutlich mehr Soldaten. Die Ukraine dagegen verlässt sich mehr und mehr auf seine Drohnen, um sich der Aggression Moskaus zu erwehren. Der Mann, der wie kein anderer für diese Kriegstaktik steht, ist der ukrainische Armeechef Oleksander Syrskyj. Über dessen Art und Weise, Kiews Truppen zu befehligen, berichtet die Kyiv Post.

Zunächst schien die Drohnenstrategie der Ukraine aus der Not geboren, weil Personal und andere Waffen fehlten. Mittlerweile sei sie zur Grundstruktur des Syrskyj-Plans geworden, heißt es in dem Bericht. Ein Beispiel dafür sei die umkämpfte Stadt Awdijiwka. Syrskyj, der am 8. Februar 2024 seinen Posten von Valery Zaluzhny übernahm, schaffte dort und an anderen Frontschauplätzen einen Wendepunkt. Die Drohnen sind zur Hauptwaffe der Ukraine geworden. Panzer scheinen weniger wichtig zu werden, wie sich zuletzt auch an Abrams-Panzern aus den USA zeigte.

Ukraine produziert pro Monat bis zu 80.000 neue Drohnen

Nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyjs Büro bauen ukrainische Ingenieure und Freiwillige, die in Garagen und unterirdischen Fabriken arbeiten, erstaunliche 60.000 bis 80.000 billige FPV-Drohnen pro Monat. In einigen erfahrenen AFU-Brigaden wie der 36. Elite-Marineinfanterie und 3. Angriffsbrigade ist jetzt für je zwei Infanteriebataillone in den Formationsfeldern auch ein komplettes Bataillon von Drohnenbedienern im Einsatz. So auch in Awdijiwka.

In der heftig belagerten Stadt drängte die Ukraine unter Syrskyjs Kommando im März die Russen zurück und ermöglichte es so einer schwer angeschlagenen Brigade, einer Einkreisung zu entgehen. Dann zog Syrskyj die 3. Brigade zurück, russische Streitkräfte eroberten die Stadt und erklärten einen Sieg. Doch dank der Drohnen war der Job, die Einkreisung zu verhindern, erfolgreich.

Drohnenangriffe der Ukraine auch auf russischem Boden

Immer wieder gibt es Meldungen erfolgreicher ukrainischer Drohnenbeschüsse, auch jenseits der Front. Jüngst trafen ukrainische Drohnen bei einem vom Geheimdienst SBU organisierten Einsatz in der 400 Kilometer von der Ukraine entfernten Region Smolensk „zwei Öldepots“, in denen „26.000 Kubikmeter Treibstoff“ gelagert würden. Die Energieanlagen seien „legitime Ziele“ gewesen, hieß es.

Einen weiteren ukrainischen Drohnenangriff meldeten die russischen Behörden auch im weiter südlich gelegenen Lipezk, einem wichtigen Standort der Metall- und Pharmaindustrie. „Das kriminelle Regime in Kiew hat versucht, Infrastruktur im Industriegebiet von Lipezk zu treffen“, schrieb der Regionalgouverneur Igor Artamonow auf Telegram.

Jeder zweite russische Soldat von einer Drohne verwundet oder getötet

In früheren großen Kriegen dominierten Artillerie- und Mörsergranaten das Schlachtfeld und waren in der Regel für 80 bis 90 Prozent der Verluste verantwortlich. Im ersten Quartal 2024 wurden laut Aussagen von Syrskyjs Kommandogruppe, Berichten von Drohnenbetreibern gegenüber der Kyiv Post und einem Artikel in der Zeitschrift Foreign Policy ganze zwei Drittel der russischen Panzer durch Drohnen außer Gefecht gesetzt. Nach Angaben russischer Kriegsgefangener wurde mindestens jeder zweite russische Soldat, der im Kampf in der Ukraine verwundet oder getötet wurde, von einer ukrainischen Drohne angegriffen und getroffen.

Dass der Drohnenkrieg zu Kiews Stärken zählt, ist auch Russland nicht entgangen. Kiews Truppen kümmern sich laut dem Bericht weniger darum, Stellungen zu halten, als durch Drohnenangriffe für hohe russische Verluste zu sorgen. Der kremlfreundliche Milblogger Vault 8 schrieb in einem Beitrag vom 14. April unter Berufung auf Kampfinformationen von der Front: „Die [Ukrainer] verlassen eine Stellung und fangen dann an, sie mit allem Möglichen anzugreifen. Zwischen den Kämpfen schießen sie überhaupt nicht viel und das erweckt den Eindruck, dass sie nichts zum Schießen haben. Aber wenn wir herauskommen und eine ihrer Stellungen angreifen, strömt alles herab, von 120-mm-Mörsern bis hin zu 155-mm-Haubitzen nach NATO-Standard. Und viele FPV-Drohnen – zwei bis vier – greifen jeden unserer Soldaten an, um einen sicheren Tod zu erzielen.“

Drohnen verschaffen ukrainischen Soldaten dringend benötigte Atempause

In einem Interview mit der staatlichen ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform erklärte Syrskyj diese Taktik. Sein Ziel sei nicht nur, die Verluste in der Ukraine zu reduzieren, sondern auch die an der Front benötigte Truppenzahl zu reduzieren und seinen Soldaten so eine dringend benötigte Atempause zu verschaffen.

Nawalny verlängert die Liste der Opfer Putins – ein Überblick

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny war über Jahre der markanteste Kopf der russischen Opposition. Schon früh prangerte der Rechtsanwalt das Machtlager von Präsident Wladimir Putin offen als „Partei der Gauner und Diebe“ an.  © Andrei Zhilin/afp
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin.
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin. © Anatoly Maltsev / dpa
Alexej Nawalny
2013 trat er als Bürgermeisterkandidat in Moskau an und erreichte mit 27 Prozent der Stimmen den zweiten Platz. Später organisierte er Massenproteste im ganzen Land, besonders aber in Moskau. 2018 wollte Nawalny selbst Präsident werden, doch die Justiz schob ihm einen Riegel vor. Wiederholt wurde er wegen Betrugs- und Diebstahlsvorwürfen vor Gericht gestellt und verurteilt. © Kirill Kudryavtsev/afp
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei.
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei. © Valentina Svistunova / dpa
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro.
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro. © Evgeny Feldman / dpa
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden.
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden. © Jean-Francois Badias / dpa
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen.
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen. © Alexander Demianchuk / Imago
Alexej Nawalny
Im August 2020 brach Nawalny bei einer Reise zusammen und fiel ins Koma. Grund war eine Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok, wie Untersuchungen an der Charité in Berlin bewiesen. © Instagram account @navalny/afp
Alexej Nawalny
Im Januar 2021 kehrte Nawalny nach Russland zurück, wo er erneut vor Gericht gestellt und unter anderem wegen angeblichem „Extremismus“ zu 19 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Im Dezember 2023 folgte die Verlegung in ein Lager hinter dem Polarkreis. Am 16. Februar 2024 starb Nawalny nach Justizangaben in dem Straflager. Er sei nach einem Hofgang zusammengebrochen, teilte die Gefängnisverwaltung mit.  © Vera Savina/afp
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben. Weltweit wird um den Kreml-Kritiker getrauert. © IMAGO/Vuk Valcic / ZUMA Wire
Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin war in Russland als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit bekannt. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb war Prigoschin, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, auch als „Putins Koch“ bekannt. Niemand sonst in Russland traute sich solche Kritik wie Prigoschin © ITAR-TASS/Imago
Jewgeni Prigoschin
Über Monate hinweg legte sich Jewgeni Prigoschin mit der Militärführung in Moskau an. Immer wieder warf der Chef der russischen Privatarmee Wagner dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der Armee vor, Präsident Wladimir Putin zu belügen. Mit einem bewaffneten Aufstand seiner Privatarmee forderte Prigoschin aber auch Putin selbst heraus. © Sergey Pivovarov/Imago
Jewgeni Prigoschin
Nach seinem gescheiterten Aufstand sahen Fachleute den Söldnerchef aber dem Tode geweiht. Kremlchef Putin hatte die Kämpfer um seinen Ex-Vertrauten als Verräter bezeichnet. Tatsächlich starb Prigoschin zwei Monate nach seiner Meuterei gegen die russische Staatsmacht im August 2023 bei einem Flugzeugabsturz in Russland. © Imago
Boris Nemzow
Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow galt als einer der schillerndsten und mutigsten Politiker Russlands. Feinde machte er sich vor allem mit seiner Kritik an der Ukraine-Politik von Kremlchef Wladimir Putin. Er wurde zur Galionsfigur der zersplitterten Opposition und galt als Unterstützer der Richtung Westen strebenden Ukraine. © Oxana Onipko/afp
Boris Nemzow
Nemzow wurde im Februar 2015 durch mehrere Schüsse in den Rücken aus einem Auto heraus erschossen. Der Mord wirft noch immer viele Fragen auf. Die EU drängte Russland wiederholt dazu, den Fall weiter aufzuklären. Ein Gericht in Moskau verurteilte 2017 den mutmaßlichen Mörder und vier Komplizen aus dem Nordkaukasus zu langen Haftstrafen. Nemzows Familie beklagte, dass nach den Drahtziehern nie wirklich gesucht worden sei. © afp
Boris Nemzow
In den 1990er Jahren hatte sich Nemzow als liberaler Reformer in Russland einen Namen gemacht. Präsident Boris Jelzin (rechts im Bild) holte ihn einst in die Regierung nach Moskau. Nemzow war zeitweilig auch als Präsidentenanwärter gehandelt worden. „Ich bin liberal, was Wirtschaftsfragen angeht, aber für eine starke Staatsmacht in der Politik“, sagte er einmal. © TASS/afp
Alexander Litwinenko
Der Putin-Kritiker Alexander Litwinenko starb im November 2006 in London nach einem Anschlag mit dem radioaktiven Gift Polonium 210. Einem Untersuchungsbericht zufolge soll ihm das Strahlengift in einem Londoner Hotel in den Tee gemischt worden sein. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit siechte Litwinenko tagelang dahin. Vom Krankenhausbett beschuldigte er Putin, hinter dem Anschlag zu stecken. Die britische Justiz sieht es ebenfalls als bewiesen an, dass die Spur in hohe politische Kreise in Moskau führt. Russland weist dies zurück. © Sergei Kaptilkin/dpa
Anna Politkowskaja
Die Journalistin Anna Politkowskaja machte sich als Kritikerin der Kriege in Tschetschenien einen Namen. Die Mitarbeiterin Oppositionszeitung Nowaja Gaseta berichtete über Kriegsverbrechen der russischen Armee und der verbündeten tschetschenischen Gruppen und sprach von einem „schmutzigen Krieg“. Häufig musste sie sich gegen Drohungen wehren. Am 7. Oktober 2006 wurde sie vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen. Politkowskajas Familie vermutet ein politisches Motiv für die Tat.  © Imago
Boris Beresowski
Die Serie von mitunter rätselhaften Todesfällen, hinter denen russische staatliche Stellen vermutet werden, ist noch sehr viel länger. Der Oligarch Boris Beresowski (Mitte) fiel nach dem Machtantritt Putins in Ungnade und floh nach Großbritannien. Am 23. März 2013 wurde Beresowski tot im Bad seines Hauses in Ascot gefunden.  © Shaun Curry/afp
Pawel Scheremet
Im Juli 2016 kam der russische Exil-Journalist Pawel Scheremet in Kiew durch eine Autobombe ums Leben. Scheremet engagierte sich während der Maidan-Proteste 2013/2014 in Kiew aufseiten der prowestlichen Kräfte und wurde später Redakteur beim renommierten Internetportal Ukrainskaja Prawda. © Dmytro Larin/afp
Denis Woronenkow
2017 wurde der abtrünnige russische Abgeordnete Denis Woronenkow auf offener Straße in Kiew erschossen. Auch sein Fall wurde nie aufgeklärt. © ITAR-TASS/Imago
Sergej Magnizki
Sergej Magnizki starb 2009 unter ungeklärten Umständen in einem Moskauer Gefängnis. Angeblich wurde der Anwalt, der nach eigenen Angaben einen Steuerbetrug aufgedeckt hatte, zu Tode geprügelt. Medizinische Hilfe wurde im verweigert.  © HO/Hermitage Capital Management/afp
Baburowa/Markelow
Die Journalistin Anastassija Baburowa und der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow wurden 2009 auf der Straße in Moskau erschossen. Für die Tat wurden ein Rechtsextremist und eine Komplizin zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten ihre Schuld bestritten. © ITAR-TASS/Imago
Natalia Estemirowa
Die Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa wurde 2009 in der Konfliktregion Nordkaukasus erschossen aufgefunden. Mit Berichten über das Verschwinden von Zivilpersonen in dem Gebiet hatte sie sich wiederholt den Zorn der Machthaber zugezogen. © Memorial/afp
Sergej Juschenkow
Eines der ersten Todesopfer war Sergej Juschenkow. Der Duma-Abgeordnete wurde im April 2003 in Moskau erschossen. Juschenkow war der Staatsführung ein Dorn im Auge, wenngleich der Politiker über wenig Macht und Einfluss verfügte.  © Roman Mukhamedzanov/Vremya Novos/afp

Auch in der Luftschlacht macht die Ukraine Fortschirrte. Syrsky sagte am 29. März in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform, dass sich das kalkulierte Risiko auszahle, Luftverteidigungswaffen entlang der Frontlinie an einem unerwarteten Ort zu platzieren. AFU-Raketenbetreiber schossen innerhalb weniger Tage 13 russische Flugzeuge ab.

Langfristig mahnt Syrsky zu mehr Geduld. Die militärische Planung soll weniger von einer Feuerwehr haben, als zu einer professionellen Organisation werden, in der eine Befehlskette und Kampfeffizienz Priorität haben. Höhere Ränge der AFU würden durch kampferfahrene Offiziere ersetzt, sagte er. Eine echte Luftverteidigung oder eine eigene Luftwaffe sei das langfristige Ziel. (cgsc mit afp)

Rubriklistenbild: © Alex Babenko/AP/dpa

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