Anstieg um ein Drittel
Hitzige Debatte um Kindergrundsicherung: Keine neue Behörde geplant
VonMarcel Reichschließen
Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet einen Anstieg der Kinder, die den Kinderzuschlag erhalten. Doch die Debatte um die Kindergrundsicherung könnte diese positive Entwicklung trüben.
Berlin – Im Jahr 2023 stieg die Anzahl der Kinder, die den Kinderzuschlag erhielten, um etwa ein Drittel. Das berichtet die Wirtschaftswoche. Während im Januar 2023 knapp 765.000 Kinder den Zuschlag erhielten, stieg die Zahl im Oktober 2023 demnach erstmals auf über eine Million. Diese Tendenz setzte sich fort, und im März 2024 profitierten fast 1,08 Millionen Kinder von der monatlichen Leistung von bis zu 292 Euro.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA), deren Familienkasse für die Verwaltung des Kinderzuschlags für einkommensschwache Familien zuständig ist, führt den signifikanten Anstieg laut Wirtschaftswoche auch auf „die öffentliche Debatte um die Kindergrundsicherung“ zurück. Ein politischer Disput mit unerwarteten Auswirkungen.
Ampel-Regierung streitet seit Monaten über Kindergrundsicherung
Die Ampel-Koalition debattiert seit Monaten intensiv über ihr wichtigstes Sozialprojekt. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) plant, Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und andere Leistungen zu bündeln. Die Kindergrundsicherung soll dann automatisch ausgezahlt und möglichst digital umgesetzt werden. Paus betrachtet den aktuellen Prozess zur Beantragung des Kinderzuschlags als „höchst bürokratisch“. Sie behauptet, dass nur 30 Prozent der Berechtigten diese Leistung in Anspruch nehmen würden, während 70 Prozent der berechtigten Kinder in versteckter Armut leben würden.
Die angestrebte Vereinfachung würde jedoch mehr Bürokratie mit sich bringen. Jedoch widerspricht ein Sprecher von Lisa Paus Meldungen, wonach für das Vorhaben extra eine neue Behörde gegründet werden soll: „Es soll gerade keine neue Behörde geschaffen werden, stattdessen sollen die bestehenden Strukturen der Familienkassen ertüchtigt werden. Derzeit laufen die parlamentarischen Verhandlungen.“
Trotz anhaltender Kritik soll die Kindergrundsicherung nun auch mit weniger Personal umsetzbar sein. Experten kritisieren den erheblichen Verwaltungsaufwand und erwarten, dass trotz aller Ankündigungen verschiedene Ämter zuständig bleiben würden.
Lisa Paus will „Bringschuld des Staates“
Paus bezeichnet den Aufbau neuer Stellen dennoch als Entlastung von Bürokratie. Anstatt einer Verpflichtung der Bürger, sich die Leistung zu sichern, sollte es zu einer „Bringschuld des Staates“ kommen. Jens Teutrine, Sozialpolitiker der FDP, argumentiert jedoch, dass die Zahlen der Arbeitsagentur den „Beweis, dass es keine paternalistische und bürokratische Bringschuld des Staates bei Sozialleistungen braucht“, liefern. Teutrine fügt hinzu, dass mehr Transparenz, öffentliche Informationen und ein einfacher digitaler Zugang ausreichen würden: „Erst recht, wenn wir so das Steuergeld für die neue Sozialbürokratie und neue Staatsbedienstete sparen und stattdessen in mehr qualitative Kinderbetreuung investieren können.“
Anstatt die geplanten 873 Millionen Euro einzusparen, plant die Familienministerin, im Haushaltsjahr 2025 zusätzliche 2,3 Milliarden Euro auszugeben. Lisa Paus hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Millionen von Familien nicht wissen, dass sie Anspruch auf Leistungen haben. Sie geht davon aus, dass bis zu 5,6 Millionen Familien und ihre Kinder, die von Armut bedroht sind, die Kindergrundsicherung erhalten würden. Das ist eine beeindruckende Zahl.
Laut den Statistiken der BA lebten die Kinder, die den Kinderzuschlag erhielten, im Januar 2023 in etwa 295.000 Familien (mit zum Teil mehreren Kindern). Zuletzt wurde die Leistung an knapp 430.500 Familien ausgezahlt.
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