Neue Energiekrise?
Ölpreise steigen: „Alle sind extrem angespannt“ in Erwartung eines iranischen Angriffs auf Israel
VonAmy Walkerschließen
Die globale Gemeinschaft ist in Alarmbereitschaft und rechnet mit einem iranischen Angriff auf Israel. Besonders im Blickpunkt steht die Hafenmetropole Haifa, die eine entscheidende Rolle in der Energieversorgung einnimmt.
Haifa – In Haifa blicken in diesen Tagen viele Menschen mit großer Sorge auf den Hafen ihrer Stadt im Norden Israels: Der Hafen, der direkt an die drittgrößte Stadt Israels angrenzt und die größte Ölraffinerie des Landes und riesige Treibstofftanks beherbergt, gilt im Falle eines Angriffs des Iran und seiner Verbündeten auf Israel als wahrscheinliches Ziel.
Der Nahost-Konflikt hatte sich zuletzt erheblich zugespitzt, nachdem Ende Juli der Politik-Chef der radikalislamischen Hamas, Ismail Hanija, in Teheran getötet worden war. Wenige Stunden zuvor hatte Israels Armee zudem den Militärchef der pro-iranischen Hisbollah-Miliz, Fuad Schukr, im Libanon getötet. Der Iran und die Hisbollah drohen nun mit Vergeltung.
Ölpreise reagieren auf Konflikt im Nahen Osten: Preise steigen weiter
Entsprechend reagieren auch schon die Ölpreise. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Oktober kostete am Montag (12. August) 80,51 US-Dollar. Das waren 85 Cent mehr als am Freitag. Der Preis für ein Fass der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) zur Lieferung im September stieg um 1,01 Dollar auf 77,85 Dollar.
Das US-Militär verstärkt derweil seine Präsenz im Nahen Osten weiter. Verteidigungsminister Lloyd Austin habe die Verlegung des mit einem Atomantrieb ausgestatteten U-Boots „USS Georgia“ befohlen, zudem sollen der Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ und seine Begleitschiffe ihren Transit in die Region beschleunigen, hieß es vom Pentagon.
Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) reduzierte unterdessen die Prognosen für die weltweite Ölnachfrage in diesem und im nächsten Jahr. Dies belastete die Ölpreise allerdings nicht. Die Prognosen der Opec liegen immer noch deutlich höher als die anderer Organisationen wie der Internationalen Energieagentur.
Bewohner im israelischen Haifa machen sich „große Sorgen“
An der Nordgrenze zum Libanon kommt es schon seit Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober fast täglich zu Gefechten. In Haifa, das nur 30 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt ist und damit in Reichweite der Hisbollah-Raketen liegt, sind die Erinnerungen an den Krieg mit dem Libanon 2006 noch sehr lebendig: Wiederholt waren damals Raketen in der Stadt eingeschlagen, es gab mehr als ein Dutzend Tote.
Nun steht die 280.000-Einwohner-Stadt, die sich vom Karmelgebirge bis zur Mittelmeerküste erstreckt, erneut im Visier. Viele Menschen machten sich „große Sorgen“, sagt der 58-jährige Patrice Wolff. Nach der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut, die im August 2020 ganze Stadtteile der libanesischen Hauptstadt dem Erdboden gleichgemacht hatte, seien sich die Menschen in Haifa „sehr bewusst“, dass ein Angriff auf den Hafen ihrer Stadt ebenfalls massive Verwüstungen anrichten könnte.
Wolff, der für eine Medizintechnik-Firma arbeitet, hat sein Handy immer am Bett liegen, um auch nachts keinen Raketenalarm zu verpassen. Wenn die Sirenen oder die Warn-App des Zivilschutzes vor Raketenbeschuss in Israel warnen, haben die Menschen etwa eine Minute Zeit, um sich in Luftschutzbunkern oder an anderen sicheren Orten in Sicherheit zu bringen. „Wir wissen, was zu tun ist“, sagt Wolff.
Israel bereitet sich auf Angriff des Iran vor: Chemikalien in Sicherheit gebracht
In Haifa haben die Behörden die Sicherheitsvorkehrungen weiter verstärkt: Die Stadt hat Luftschutzbunker für zehntausende Menschen eingerichtet, wie Haifas oberster Katastrophenschützer, Leonid Reznik, berichtet. Die Bunker, bei denen es sich oft um umgebaute Tiefgaragen handelt, sind mit Generatoren, WLAN, Wasser und Erste-Hilfe-Material ausgestattet - im Notfall für mehrere Tage. In größeren Bunkern sind sogar Kindergärtnerinnen eingeplant, um kleine Kinder zu beschäftigen.
Auch das größte Krankenhaus von Haifa, in dem im Krieg 2006 verletzte Soldaten behandelt wurden, verfügt bereits über eine große unterirdische Abteilung. „Wir erwarten eine Reaktion der Iraner oder der Hisbollah und gehen davon aus, dass etwas passieren wird“, sagt Reznik. „Sie werden nicht untätig bleiben.“
Haifas Behörden haben auch angeordnet, besonders explosive Chemikalien aus dem Hafen zu entfernen. André Suidan, dessen Weinladen in unmittelbarer Nähe des Hafens liegt, beruhigt das nicht. „Wir vertrauen ihnen nicht“, sagt der 57-Jährige, der in der Hafenstadt geboren wurde. Die Nähe der Raffinerie sei einfach nur „erschreckend“.
Auch an vielen seiner Mitmenschen gehe die angespannte Lage nicht spurlos vorbei. „Die Leute sind sehr ungeduldig und total gestresst“, sagt Suidan. „Es betrifft die Menschen auf der Straße, es betrifft die Menschen überall. Alle sind extrem angespannt.“ (wal/AFP/dpa)