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„Moralische Verlotterung“: Harte Kritik an Bürgergeld-Arbeitspflicht – welche Alternativen es gibt

  • VonMax Schäfer
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Die Stimmen, die eine Arbeitspflicht im Bürgergeld fordern, werden lauter. Ein Vorstand der IG Metall bezeichnet dies als „moralische Verlotterung“ und hat einen anderen Vorschlag.

Frankfurt – Die Debatte rund um das Bürgergeld wird vor der Bundestagswahl immer hitziger. Das neuste Thema ist dabei die Arbeitspflicht für die Beziehenden der Grundsicherung, die von CDU, FDP und AfD gefordert wird. „Jeder, der in Deutschland Bürgergeld bezieht und arbeiten kann, muss arbeiten gehen“, hatte etwa CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der Bild erklärt.

Kritik an Forderungen einer Bürgergeld-Arbeitspflicht: „Moralische Verlotterung“

Doch mit der Zustimmung steigt auch die Kritik an der Arbeitspflicht für Menschen im Bürgergeld. „An dieser Debatte kann man die moralische Verlotterung hierzulande gut erkennen“, sagte Hans-Jürgen Urban, Sozialverstand und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft IG Metall. Schon heute seien erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger aufgefordert, einer Beschäftigung nachzugehen. „Wer das nicht tut, wird sanktioniert.“

Hans-Jürgen Urban ist seit 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.

Urban verwies dabei auf die geringe Zahl der Menschen, die wegen der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen, sanktioniert werden. „Davon waren 16.000 Personen von 3,4 Millionen Bürgergeldbeziehern betroffen, also 0,4 Prozent“, sagte der Gewerkschafter im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Ein Konzernchef, der sich an einem Problem mit dieser Dimension festbeißt, müsste sofort gehen.“

Nur geringe Zahl an Arbeitsverweigerungen: Urban sieht eigentliche Bürgergeld-Baustelle woanders

Urbans Zahlen stammen auf die im Jahr 2023 sanktionierten Bürgergeld-Beziehenden. Bei den aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gibt es einen leichten Anstieg. In den zwölf Monaten von Oktober 2023 bis September 2024 haben Jobcenter 21.766 Sanktionen wegen abgelehnten Jobs ausgesprochen. Im Vergleich zu 5,5 Millionen Menschen in der Grundsicherung ist das immer noch sehr gering. Das gilt auch, wenn man sich lediglich die 1,6 Millionen Erwerbslosen anschaut, die dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehen, aber mit hohen Anforderungen im Vergleich zu ihren Qualifikationen zu kämpfen haben.

Der IG Metall-Vorstand sieht das „eigentliche Thema“ an anderer Stelle. „Mit dem Bürgergeld sind die Elemente zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt ausgebaut worden“, sagte Urban und verwies auf 800.000 Menschen, die Grundsicherung beziehen, obwohl sie berufstätig sind. „Die erhalten so wenig, dass sie ihren Lohn mit Bürgergeld aufstocken müssen“, sagte er im RND-Interview. „Darüber sollte man reden und darüber, wie der Weg in auskömmliche Jobs ermöglicht wird.“ DIW-Präsident Marcel Fratzscher fordert bei einer Bürgergeld-Reform ebenfalls einen Fokus auf Qualifizierung und Vermittlung.

Vermittlung in Arbeit für viele Bürgergeld-Beziehende schwierig

Dieser „Weg in auskömmliche Jobs“ ist jedoch besonders bei Langzeiterwerbslosen eine große Herausforderung. Häufig haben sie nicht die entsprechende Qualifikation, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Zudem: Viele Jobcenter haben bei der Qualifizierung Probleme. Häufig fehlt ihnen das Geld – besonders in kleineren Jobcentern. Das gilt vor allem für Instrumente zur Eingliederung von langzeitarbeitslosen Bürgergeld-Beziehenden, die dadurch immer weniger Chancen haben.

Auch die Arbeitsgelegenheiten, auch umgangssprachlich Ein-Euro-Jobs genannt, gehören zu den Instrumenten. Im Fall der Stadt Schwerin, die als erste eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Beziehende und Asylsuchende einführen will, soll das die Rechtsgrundlage für die Maßnahme sein. Bei der Integration in Arbeit sind diese jedoch umstritten. Laut Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind diese nur für sehr arbeitsmarktferne Menschen sinnvoll. Bei einer „intensivierten Ein-Euro-Job-Förderung“ nehmen dagegen die „Übergänge von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in reguläre Beschäftigung ab“.

Rubriklistenbild: © Ingo Wagner/dpa/Alexander Paul Englert/IG Metall

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