Bodenschätze

„Man versucht, einen alternativen Block zu schaffen“: BRICS-Nationen, Rohstoffgewinnung und die Ukraine

  • Patrick Freiwah
    VonPatrick Freiwah
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Im Jahr 2024 vereinen die BRICS-Länder ihre Kräfte in der Rohstoffförderung. Ein Fachmann erläutert die Relevanz für Russland und die Rolle des Westens dabei.

Moskau/München – Analog zum Westen haben sich die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und weitere) als bedeutende Wirtschaftskraft etabliert und beeinflussen zunehmend die geopolitische Landschaft. Die Allianz zielt darauf ab, eine multipolare Weltordnung zu fördern – und das schließt auch das zukunftsweisende Thema Bodenschätze mit ein. 

In der russischen Hauptstadt fand kürzlich ein Treffen statt, bei dem sich das Bündnis intensiv über Rohstoffe ausgetauscht hat, mitsamt Strategie und Fahrplan für die kommenden Jahre. Laut Finanzmarktwelt.de handelt es sich um kein Novum: Bereits 2022 philosophierte der Chef der russischen Agentur für Bodennutzung (Rosnedra) über das Projekt, bezüglich einer BRICS-Zusammenarbeit bei Forschung und Erkundung strategischer Bodenschätze.

BRICS-Staaten schmieden Allianz für die Gewinnung von Rohstoffen

Bei dem Treffen Mitte Juli 2024 nahmen neben Russland auch Vertreter von Südafrika, China, Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten, Brasilien, Äthiopien und dem Iran teil. Rosnedra-Leiter Evgenij Petrow stellte eine entsprechende Plattform vor, die den Wissensaustausch, technologische Entwicklungen, praktische Erfahrungen und gemeinsame Veranstaltungen bündeln soll.

Für die Umsetzung wurde laut einer Mitteilung auf Telegram eine Struktur entwickelt, die mehrere Gremien umfasst: Koordinierungsrat, eine Kommission für Verbundprojekte, einen Technologietransferrat, eine Arbeitsgruppe zu kritischen Mineralien sowie eine Expertengruppe und Ressortgruppen.

Die Zusammenarbeit konzentriert sich den Angaben zufolge auf geologische Erkundung, regionale Forschung und strategische Bodenschätze. Hinzu kommen wissenschaftliche und technische Entwicklungen der Digitalisierung. Welche Bedeutung das Projekt für die Weltgemeinschaft haben kann, erläuterte Petrow anhand eines Beispiels:

Russland richtet Fokus der BRICS-Staaten auf Rohstoffe

Demnach stelle das 2009 gegründete BRICS-Bündnis zusammen 72 Prozent der weltweiten Reserven an Seltenen Erden bereit, was künftig effizienter gefördert werden soll. Das sei deshalb wichtig, weil die Nachfrage im Hinblick auf erneuerbare Energien stetig größer werde. Seltene Erden werden zum Beispiel für die Herstellung von Windkraftanlagen, Elektromotoren oder auch Energiesparlampen benötigt.

Russlands Präsident Wladimir Putin im Rahmen des BRICS-Treffens Mitte Juli 2024 in Moskau.

Worum es bei dem Rohstoffbündnis konkret geht, benannte Petrow anhand zweier anvisierter Ziele: Kontinuität der Versorgung und Preisstabilität. Warum dieses Thema 2024 auf der Agenda der BRICS steht: In diesem Jahr hat Russland den Vorsitz inne und legt dem Bericht nach den Fokus auf Rohstoffwirtschaft. Die russische Föderation verfügt weltweit über die größten Bodenschätze und steht bei den Vorkommen an Gas, Diamanten, Nickel und Gold an erster Stelle.

Russland und die Ukraine: Es geht auch um neue Einnahmequellen

Schaffen sich die BRICS-Staaten parallel zum Westen einen eigenen Rohstoffmarkt, um die Effekte von Sanktionen und anderen unkalkulierbaren Entwicklungen abzuschwächen? Oder möchte die Allianz womöglich den globalen Rohstoffhandel dominieren? Politikwissenschaftler Boris Ginzburg sprach mit uns über die Bedeutung der Rohstoffe, das BRICS-Bündnis und was der Westen damit zu tun hat – auch im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt.

Eine wichtige Komponente des Krieges ist nach Meinung des Forschers mit Schwerpunkt Osteuropa an der Freien Universität Berlin auch der Rohstoffreichtum der Ukraine: „Warum macht es für einen Autokraten wie Wladimir Putin Sinn, nach neuen Einnahmequellen zu suchen? Er wird durch sein enges Umfeld an der Macht gehalten, die von ihm profitieren (z. B. Minister, Sicherheitsdienstler, Oligarchen). Doch kann es aufgrund der Sanktionen schwieriger werden, finanzielle Mittel unter den Eliten gleichmäßig aufzuteilen. Eine Möglichkeit wäre dann, sich neue Einnahmequellen zu sichern. Darum kann ein Fortgang des Krieges in der Ukraine für Putin auch deshalb Sinn machen, um die Energiesektoren der ukrainischen Wirtschaft in den besetzten Gebieten aufzuteilen.“

Rohstoffe der Ukraine: Russland hat Interesse, doch auch die USA

Nach Ansicht von Ginzburg sind die ökonomischen Interessen Russlands einer von mehreren Gründen der Invasion. „Die Aneignung des Kremls wird nicht erst seit Februar 2022 betrieben, sondern seit 2014, als ein Teil der Donbass-Region besetzt wurde. Im Osten der Ukraine sind ein Großteil der Rohstoffe, z. B. Kohle- und Stahlwerke in Donezk“, so der Experte im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Stahlkraftwerk Saporischschja im Südosten des Landes: Die Ukraine ist eines der rohstoffreichsten Länder.

Und inwieweit hat es auch der Westen auf die Rohstoffe der Ukraine abgesehen? Über die kürzlichen Äußerungen des US-Senators Lindsey Graham sagt Ginzburg, dass dessen Logik schon im Februar im Vorlauf der US-Kongressdebatte aufgekommen sei, als die Ukraine-Hilfen von den Republikanern blockiert werden sollten: „Wir geben Euch die Ukraine-Hilfe nicht gratis, sondern als Kredit und notfalls könnte die Ukraine die Schulden mit Mineralien zurückzahlen“, lautet seitdem eine Forderung.

BRICS-Bündnis und die Macht der Rohstoffvorkommen

Tatsächlich sind die Rohstoffe der Ukraine auch für den Westen lukrativ: Speziell in den von Russland besetzten Gebieten befinden sich die größten Rohstoffvorkommen des Landes. „Die meisten Rohstoffe fallen daher weg, solange sie unter Besetzung sind. Sie können auch für den Westen nützlich sein, wenn es Kiew schafft, diese Territorien wieder zu befreien.“

So erklärt Ginzburg, warum die Blockbildung der BRICS-Staaten auch hinsichtlich Bodenschätze von Bedeutung ist: „Man versucht, einen alternativen politischen Block zum Westen zu schaffen. So geht es darum, möglichst viele rohstoffreiche Staaten einzubeziehen, die möglicherweise dem Westen als alternative Energielieferanten dienen könnten, sodass im besten Falle kein Weg um den Kreml herum für die westlichen Staaten bleibt.“

Boris Ginzburg ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Osteuropa an der Freien Universität Berlin.

Im Januar 2024 wurde das Bündnis um vier Staaten erweitert (ohne Saudi-Arabien und Argentinien): Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Was die These des Experten vom Osteuropa-Institut der FU Berlin stützt: Russlands enger, aber rohstoffarmer Verbündeter Belarus ist bis dato noch nicht in das Bündnis integriert worden, obwohl letzterer den Wunsch hierzu schon mehrfach geäußert hat. (PF)

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