Weltpolitische Zäsur
China setzt sich durch mit Erweiterung der Brics: Wie der größere Block nun den Westen herausfordert
VonChristiane Kühlschließen
Sven Haubergschließen
Die Brics-Gruppe bekommt sechs neue Mitglieder aus drei Kontinenten. Damit erhält der Block mehr geopolitischen Einfluss. Wie er damit umgeht, und wie einig man sich künftig sein wird, ist völlig offen.
München/Johannesburg – Argentinien, Saudi-Arabien, Ägypten, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Äthiopien werden ab 2024 Mitglieder der Brics-Gruppe großer Schwellenländer sein. Das kündigte der südafrikanische Präsident und Gipfel-Gastgeber Cyril Ramaphosa am Donnerstag in Johannesburg an. Bisher gehören der losen Gruppierung Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika an. Ihre Anfangsbuchstaben ergeben den Namen „Brics“.
„Diese Erweiterung ist historisch“, sagte Chinas Präsident Xi Jinping bei einer Pressekonferenz. Die Entscheidung sei einstimmig gefallen, betonte er. Doch letztlich ist die Aufnahme einer so großen Zahl neuer Staaten vor allem ein Erfolg Pekings: Insbesondere Xi war es gewesen, der schon lange auf eine Vergrößerung der Gruppe drängte. Denn je größer die Brics werden, desto größer wird damit auch Chinas Einfluss in der Welt. Auch Russland wollte die Gruppe erweitern. Für Präsident Wladimir Putin gilt: Je mehr Staaten ihr angehören, desto weniger passt das westliche Narrativ eines isolierten Russland zur Realität.
Ursprünglich war die Abschlusserklärung des Gipfels allerdings schon für Mittwoch geplant gewesen, wurde dann aber kurzfristig verschoben. Das zeigt, dass es zunächst doch erstmal keine Einigkeit gegeben hatte. Brasilien und Indien nämlich waren lange gegen eine rasche Erweiterung. Sie befürchten, eine große Zahl Mitglieder könnte ihren eigenen Einfluss in der Gruppe schmälern – und das zugunsten Chinas. Mehr Macht für China und Russland bedeutet zudem eine starke antiwestliche Ausrichtung der Gruppe, die Brasilien und Indien in diesem Maße nicht wollen. „Die Brics sind kein Gegenpol zu den G7, den G20 oder sonst jemandem“, schrieb Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva noch am Dienstag auf der Plattform X (früher Twitter).
Nun betonte er, die Erweiterung stärke den Glauben vieler Staaten an eine multipolare Weltordnung. Warum Lula seine Meinung änderte, war zunächst nicht bekannt. Immerhin konnte er durchsetzen, dass sein Nachbarland Argentinien aufgenommen wird. Auch Südafrika, zunächst ebenfalls gegen die Erweiterung, hatte sich zuletzt dafür stärker geöffnet. Die Brics-Staaten hätten „unterschiedliche Sichtweisen, aber eine gemeinsame Vision für eine bessere Welt“, sagte Ramaphosa nun. Er kündigte sogar an, dass dieser ersten Erweiterungsrunde weitere folgen sollen.
Brics-Gipfel: Zäsur für die Weltgeschichte
Auch wenn es hinter den Kulissen möglicherweise Uneinigkeit gab: Der Gipfel in Johannesburg ist eine weltpolitische Zäsur. Denn nicht nur blickte die ganze Welt erstmals aufmerksam auf einen Gipfel der in früheren Jahren eher belächelten Brics-Gruppe. Zum ersten Mal auch wird ihr Anliegen nach mehr Mitsprache in globalen politischen und wirtschaftlichen Fragen im Westen ernst genommen. Die Debatte über Rolle und Verhalten des Westens nimmt schon seit einiger Zeit Fahrt auf; diesen Schwung nutzten die Brics jetzt für sich, um das Thema auf die globale Agenda zu setzen.
Dass sie um sechs große Staaten wächst, wird der Brics zweifellos noch mehr Gewicht verleihen. „Einerseits wird die Gruppe in Zukunft mehr internationale Sichtbarkeit erhalten, was besonders China gefallen wird. Andererseits wird sie auch als wirtschaftlicher Block stärker“, sagt Eva Seiwert, China-Expertin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, zu IPPEN.MEDIA.
Entscheidend bei der Auswahl der sechs neuen Mitglieder sei „insbesondere die wirtschaftliche und politische Macht der einzelnen Staaten in ihren jeweiligen Regionen sowie international“ gewesen, sagt Seiwert. „Außerdem konnten nur Staaten eingeladen werden, die von allen fünf bestehenden Brics-Ländern akzeptiert wurden. Hier gab es sicherlich einen Aushandlungsprozess.“
Brics und neue Mitglieder: Künftiger Kurs ist völlig offen
Weit weniger klar ist, ob sich die „Brics Plus“ – oder wie auch immer die Gruppe sich künftig nennen wird – auf konkrete Ideen zur Ausgestaltung der von ihr angepeilten neuen Weltordnung einigen kann. Es ist stets einfacher, gegen etwas zu sein, als für eine neue Sache einzustehen. Schon die bisherigen Brics-Staaten sind so unterschiedlich, dass sie abseits von ihrem Wunsch nach mehr Mitsprache für den Globalen Süden sehr unterschiedliche Interessen haben.
Und nun wird die Gruppe durch die sechs neuen Mitglieder noch heterogener. „Allein die Aufnahme von Iran und Saudi-Arabien, die untereinander um die regionale Vorherrschaft kämpfen und gerade erst wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen haben, zeigt die Problematik dieses Erweiterungsprozesses“, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. “Die Bemühungen Chinas und Russlands, aus Brics ein schlagkräftiges anti-westliches Bündnis zu schmieden, dürften durch die Erweiterung nicht unbedingt gestärkt worden sein.”
Ähnlich sieht es Expertin Seiwert: Die neuen Mitglieder ergäben ebenso wie die bisherigen fünf Brics-Staaten einen Mix aus Ländern, die den westlichen Demokratien eher kritisch gegenüberstehen – vor allem Iran – und anderen, die auch mit den USA eng zusammenarbeiten, sagt sie. „So bleibt der Charakter der Brics erhalten als Format, das zwar ausschließlich Staaten des Globalen Südens zusammen bringt – jedoch nicht als generell ‚anti-westlich‘ verstanden werden kann.“
Expertin: Neue Brics-Mitglieder genauso vielfältig wie die bisherige Gruppe
Mit Äthiopien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Iran liegen fünf der sechs neuen Mitglieder zwischen Nordostafrika und Indien. Vor allem Afrika ist in anderen internationalen Foren unterrepräsentiert. Mit der Aufnahme dieser Länder bekommen die Brics somit auch geografisch einen neuen Schwerpunkt. Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed nannte die Aufnahme seines Landes auf X einen „großartigen Moment.“ Äthiopien stehe bereit, „mit allen für eine integrative und prosperierende globale Ordnung zusammenzuarbeiten“.
Schmid hält den Wunsch des Globalen Südens und de Brics nach gerechten Wirtschaftsbeziehungen für durchaus unterstützenswert. „Die Entscheidung zur Erweiterung ist auch ein Signal, dass Länder aus Südamerika, Afrika und Asien mehr Mitgestaltung wünschen“, meint er. „Damit einher geht jedoch auch eine wachsende Verantwortung für die UN und die Durchsetzung des Völkerrechts.“ Damit dürfte er einen der Knackpunkte der Gruppe getroffen haben.
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