Wackelndes Gesundheitssystem
Kliniken vor dem Aus – und die Krankenkassen wollen Pflegegehälter nicht mehr zahlen
- VonOlivia Kowalakschließen
Krankenkassen weigern sich im Zuge von Insolvenzverfahren Pflegegehälter in Millionenhöhe zu zahlen. Für Kliniken könnte dies den Todesstoß bedeuten, warnen Experten.
Das Gesundheitssystem sieht sich einschneidenden Strukturänderungen gegenübergestellt. Kliniken befinden sich seit langem in Finanzierungsnot. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rechnet im laufenden Jahr mit einem Rekordwert von 80 Insolvenzen. Wie das Handelsblatt berichtet, sollen sich jetzt auch im Zuge von Insolvenzverfahren in Rheinland-Pfalz Krankenkassen bei der Auszahlung von Pflegegehältern quer stellen.
Insolvenzverhandlungen: Streitgegenstand zwischen Kassen und Kliniken
Dem Bericht zufolge gehe aus den aktuellen Insolvenzverhandlungen hervor, dass Krankenkassen Beträge in Millionenhöhe zurückhalten wollten. Grund dafür sei, dass bereits durch die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld an Beschäftigte gezahlt würde. Somit trugen die Kliniken geringere Personalkosten, wie es seitens der Kassen hieß.
Die Forderung stößt bei Krankenhäusern auf Unverständnis. Schließlich werde das Insolvenzgeld durch monatliche Einzahlungen aller Arbeitgeber finanziert, hieß es weiter. Zu diesen Einzahlungen sind alle Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitnehmende hierzulande beschäftigen. Das soll dazu dienen, die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer im Falle von Pleiten zu decken. Im Jahr 2023 wurde dieser Betrag im Vorjahresvergleich von 0,09 Prozent auf 0,06 Prozent gesenkt. Bei einer monatlichen Summe des rentenversicherungspflichtigen Arbeitsentgelts von beispielsweise 25.000 Euro ergibt sich daraus eine Insolvenzgeldumlage von 15 Euro (Quelle: Haufe). Die Krankenhäuser fordern aus diesem Grund die Krankenkassen auf, die Löhne für das Pflegepersonal trotzdem zu zahlen.
Krankenhäuser in Schieflage: Inflation, Bürokratie und Lohndruck hemmen Wirtschaftlichkeit
Die Forderung der Kliniken nach Auszahlung der Gelder sei für das weitere Bestehen unverzichtbar. Die Kosten-Erlös-Schere der Krankenhäuser läuft in den meisten Fällen immer weiter auseinander. Kliniken sind besonders wegen der Inflation infolge der Energiekrise, zu hohem bürokratischen Aufwand, Tariferhöhungen und dem erheblichen Pflegekräftemangel zunehmend in roten Zahlen gelandet.
Deswegen arbeitet die Regierung auch gerade an einer großen Krankenhausreform, um die Lage der Kliniken zu verbessern. Bereits 2003 wollte der Gesetzgeber das Thema angehen und führte die Fallpauschale ein, um die Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern zu erhöhen. Für jede Diagnose und entsprechende Therapie wird seitdem eine Pauschalzahlung zur Verfügung gestellt. Weiterhin wollte man damit Krankenhausaufenthalte verkürzen. Seit 1991 hat sich die Zahl der Krankenhausbetten stetig verringert, wobei die Fallzahl der Patienten gleichzeitig gewachsen ist.
Die Krankenkassen sehen darin ein Problem und äußern gegenüber Kliniken den Vorwurf, zu viele unnötige Operationen anzusetzen, damit sie auf ihre Kosten kommen. Mit der aktuell anstehenden Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wolle man nun die „Entökonomisierung“ einleiten, um den Druck, mehr Patienten zu behandeln, von Kliniken zu lösen.
Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht zahlreiche Standortschließungen kommen
DKG-Chef Gerald Gaß warnt vor diesem Hintergrund vor der Masche der Krankenkassen und den daraus resultierenden Konsequenzen für Kliniken. „Die Kliniken benötigen das Insolvenzgeld in voller Höhe, um eine wirtschaftliche Perspektive zu schaffen und weiterexistieren zu können“, sagt er. Als „schlicht perfide“ bezeichnet Gaß das Vorgehen der Krankenkassen. „Sie verpassen den betroffenen Krankenhäusern damit einen Todesstoß“. In mehreren Bundesländern habe man bereits seitens der Krankenkassen Anspruch erhoben: „Wir müssen befürchten, dass die Masche der Krankenkassen Schule machen wird“, zeigte sich Gaß besorgt.
Einen weiteren Grund für den Streit zwischen Krankenkassen und Kliniken sehen Experten im seit 2020 anfallenden Pflegebudget. Kassen müssten demnach Pflegepersonalkosten nicht mehr über eine Pauschale zahlen, sondern gesondert. Dabei sind Kliniken mit rund 100 Milliarden Euro sowieso schon der größte Ausgabeposten der gesetzlichen Krankenkassen.
Lauterbachs Krankenhausreform: Kommen jetzt noch höhere Beiträge auf Beitragszahler zu?
Das Finanzproblem der Kliniken soll mit der anstehenden Krankenhausreform von Gesundheitsminister Lauterbach angegangen werden. Ein Referentenentwurf diesbezüglich wurde am Wochenende vorgestellt – und stößt auf viel Kritik. Denn um die Reform zu finanzieren, werden Beitragszahler zur Kasse gebeten.
„Wenn Minister Lauterbach von der Finanzierung durch den Bund spricht, so meint er die Finanzierung aus Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber zur GKV“, so Frank Firsching, Vorsitzender des AOK-Bayern-Verwaltungsbeirats für die Versichertenseite. „Die Beitragsmittel der GKV sind dafür da, die Behandlungskosten der Versicherten zu finanzieren und eben nicht für Krankenhausinvestitionen“, erklärte Firsching. Die Finanzierung aus dem Gesundheitsfonds führe unweigerlich zu Beitragssteigerungen, ohne Ausbau der Leistungen.
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