Veronika Grimm
Wirtschaftsweise rechnet nach EU-Wahl mit Grünen und Habeck-Gesetz ab: „Viel Vertrauen zerstört“
VonLisa Mayerhoferschließen
Bei der Europawahl haben die Grünen stark verloren. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm führt das unter anderem auf deren Klimaschutzpolitik zurück. Sie warnt vor falschen Weichenstellungen.
Berlin – Nach der Europawahl und dem Rechtsruck fürchten die Unternehmensverbände in Deutschland um die Wettbewerbsfähigkeit und fordern eine „nationale Wirtschaftswende“. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnt zudem vor falschen Weichenstellungen in Europa beim Klimaschutz und kritisiert die Grünen.
Wirtschaftsweise über die Europawahl: „Das Heizungsgesetz hat viel Vertrauen beim Wähler zerstört“
Viele Unternehmen hätten ihre Geschäftsmodelle auf die Klimaschutzziele ausgerichtet, sagte die Top-Ökonomin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Es wird nun darauf ankommen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärker zu fokussieren, ohne durch Kehrtwenden beim Klimaschutz für Verunsicherung zu sorgen.“
Zudem führt sie das schwache Abschneiden der Grünen bei der Europawahl vor allem auf die Klimaschutzpolitik zurück. „Die Grünen haben massiv verloren. Das dürfte nicht zuletzt an dem Agieren in der Bundesregierung liegen. Das Heizungsgesetz etwa hat viel Vertrauen beim Wähler zerstört“, sagte die Ökonomin den Zeitungen der Funke Mediengruppe weiter.
Sie verwies auch auf das relativ schlechte Abschneiden der Grünen bei Menschen zwischen 16 und 24 Jahren. „Hier scheint sich der Fokus zu verschieben. Mit Blick auf den Klimaschutz ist das bedenklich“, sagte sie. „Ein großes Problem erscheint mir, dass Klimaschutz nicht besonders überzeugend umgesetzt wird.“ Statt sich mit der FDP auf einen marktorientierten Ansatz mit starkem Emissionshandel zu einigen, hätten sich die Grünen „dazu verstiegen, in großem Umfang mit Förderung und Subventionen zu arbeiten“. Dafür fehle aber das Geld, erklärte die Wirtschaftsweise.
Grimm erwartet außerdem, dass die kommenden Jahre für die EU-Wirtschaft „extrem anspruchsvoll“ werden. „Wenn wir uns in Europa nicht marginalisieren wollen, dann muss es gelingen, die Union wirtschaftlich stärker zu integrieren, nach innen – etwa über eine echte Kapitalmarktunion – und nach außen über Handelsabkommen.“
Wirtschaftsverbände nach Europawahl: „Schluss mit der ewigen Regulierung“
Auch der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, forderte weitere Integrationsschritte; auch er nannte die Vollendung der Kapitalmarkt- und Bankenunion sowie mutige Schritte hin zum Aufbau einer europäischen Verteidigung. Die ökonomische und militärische Sicherheit Europas und die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sollten im Zentrum der Arbeit der neuen Kommission stehen.
Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) kritisierte zudem, in den vergangenen Jahren hätten auf EU-Ebene „Bürokratie und Regelungswut, moralische Überheblichkeit und politische Erziehung die Oberhand gewonnen“. Heute werde Europa von anderen Wirtschaftsräumen abgehängt – „und das selbstverschuldet“, wie BGA-Präsident Dirk Jandura kritisierte. Der Wählerauftrag nun laute: „Schluss mit der ewigen Regulierung, ja zu mehr Freiheit und Wettbewerb.“
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnte, Europas industrielle Wettbewerbsfähigkeit müsse in der kommenden Legislaturperiode „Top-Priorität sein“. Das neue EU-Parlament müsse „Ökologie und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen besser ausbalancieren“, verlangte Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Wichtige wirtschaftspolitische Themen müssten eine viel größere Rolle spielen: die Vollendung des europäischen Binnenmarktes, der Abschluss von Freihandelsabkommen und der Bürokratieabbau.
Verbände und Wirtschaftswissenschaftler äußerten sich zudem besorgt über das starke Abschneiden populistischer und europaskeptischer Parteien bei der Wahl. „Europafeindliche Parteien gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und unseren Wohlstand“, erklärte etwa BDI-Hauptgeschäftsführerin Gönner.
IfW-Präsident: „Die pro-europäischen Kräfte müssen jetzt umso mehr zusammenstehen“
IfW-Präsident Schularick appellierte: „Die pro-europäischen Kräfte müssen jetzt umso mehr zusammenstehen und dürfen nicht den populistischen Sirenengesängen nachgeben.“ Die Forschung des IfW zeige, dass Populismus ökonomisch extrem teuer sei und sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirke. „Das sind Kosten, die wir uns nicht leisten können.“
Bei der Europawahl haben in vielen Ländern rechtspopulistische Parteien gewonnen, etwa in Frankreich, Österreich und Italien. In Deutschland landete die AfD auf dem zweiten Platz nach der Union. Das Rechtsaußen-Lager im Europaparlament wird damit stärker. Größte Formation bleibt die konservative EVP. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, europäische Spitzenkandidatin für die Konservativen, sagte am Montagabend in Brüssel, die EVP werde „ein Bollwerk gegen Links- und Rechtsextreme errichten“. Mit Material der dpa und AFP