„Parteien haben keine Idee“

Eine Reform der Rente ist in Deutschland notwendig: Experten sehen diese Länder als Vorbild

  • Amy Walker
    VonAmy Walker
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Die Altersvorsorge ist ein Hauptthema im Wahlkampf. Allerdings sehen Experten in den Vorschlägen der Parteien keine praktikable Lösung für das Finanzierungsproblem. Sie haben andere Ideen.

München – Forscher und Forscherinnen des renommierten ifo-Instituts haben sich gut fünf Wochen vor der Bundestagswahl die Wahlprogramme der Parteien zum Thema Rente angeschaut. Und sie kommen zu einem vernichtenden Urteil: „Parteien haben keine Idee zur Finanzierung der Rente“, titeln die Ökonomen ihre Mitteilung zur Analyse. Untersucht wurden die Programme von SPD, Union, Grüne und der AfD.

Parteien wollen bei der Rente vor allem eins: Die Rentner als Wähler gewinnen

„Alle größeren Parteien sind offensichtlich darum bemüht, mögliche Belastungen für die Rentnerinnen und Rentner zu vermeiden und stattdessen die Last auf die aktuellen und kommenden Beitragszahler zu verlegen“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo in Dresden. Der Grund für diese Verschiebung liegt auf der Hand: Die gut 22 Millionen Rentner und Rentnerinnen im Land machen einen mächtigen Wählerblock aus, den man nicht vergraulen möchte.

Alle Parteien sprechen sich gegen eine Erhöhung der Regelaltersgrenze aus, CDU und CSU wollen an der sogenannten Rente mit 63 festhalten, obwohl in ihrem Grundsatzprogramm noch etwas anderes steht. Die Union hofft, das Rentenniveau und gleichzeitig die Beiträge stabil zu halten, indem es mehr Wirtschaftswachstum gibt. Marcel Thum, Leiter der ifo Niederlassung Dresden, sagt dazu: „Durch allgemeine Produktivitäts- und Lohnsteigerungen steigen zwar die Beiträge, aber letztlich auch der Rentenwert und damit die Ausgaben. Aus dem Finanzierungsproblem der deutschen Rentenversicherung kann man daher nicht einfach herauswachsen“.

SPD und Grüne: Hohe Beiträge zur Rente oder hohe Kosten für die Staatskasse

Auch den Plan der SPD, das Rentenniveau auf 48 Prozent des Durchschnittseinkommens zu stabilisieren, hält Thum für problematisch. Dadurch wäre die jüngere Generation im Nachteil, weil sie deutlich höhere Rentenbeiträge zahlen müsste. Bis 2045 würde der Beitragssatz auf 22,7 Prozent steigen, so das ifo.

Die Grünen schlagen vor, Beamte in die Rentenkasse zu holen, um so mehr Einnahmen zu generieren. Das würde aber die öffentlichen Haushalte - vor allem die der Kommunen - extrem belasten, sagt Joachim Radnitz. „Insbesondere eine Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf Beamte würde kurzfristig zu einer Doppelbelastung der öffentlichen Haushalte führen, die dann sowohl die laufenden Pensionszahlungen als auch die Beiträge für das aktive Personal zu schultern hätten“.

Die Rente sollte nach Ansicht von Experten an die Lebenserwartung gekoppelt werden (Symbolbild).

Aus diesem Grund hatte der Rentenexperte und „Wirtschaftsweise“ Martin Werding vor kurzem eine Beamtenreform gefordert, die Beamten langfristig kleinere Pensionen gewähren würde, damit die Haushalte nicht überfordert werden.

Ökonomen fordern: Rentenalter an die Lebenserwartung und Rentenerhöhung an die Inflation koppeln

Die AfD schlägt eine Erhöhung des Rentenniveaus auf 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens, das soll durch Steuern finanziert werden. Die ifo-Ökonomen urteilen hier, dass dieser Weg die Situation der Rentenversicherung noch mehr verschärfen würde, als ohnehin der Fall.

Was schlagen also die Ökonomen selbst vor? Aus Sicht von Thum und Ragnitz müsste das Rentenalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden, um das Verhältnis zwischen Beitragszahlenden und Rentnern zumindest halbwegs stabil zu halten. Weiter schlagen sie vor, die Rentenerhöhung nicht mehr an die Löhne zu orientieren, sondern an die Inflation.

„Sowohl die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung als auch die Inflationsindexierung der Renten sind Regelungen, die in anderen europäischen Ländern bereits erfolgreich eingeführt wurden. In Deutschland traut sich aktuell keine der großen Parteien an eine solche Reform heran“, sagt Thum. 

Reformen der Rente in anderen Ländern: Diese Ländern koppeln die Rentenerhöhung an die Inflation

Es gibt neben Deutschland nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) nur ein anderes Land, das die Rentenanpassung an die Lohnentwicklung ausrichtet: Schweden. Der am häufigste gewählte Mechanismus richtet sich nach der Inflation oder nach einer Kombination von Inflation und Löhnen. In diesen Ländern ist das der Fall:

  • Kanada
  • USA
  • Frankreich
  • Italien
  • Österreich
  • Schweiz
  • Slowakei
  • Slowenien
  • Tschechien
  • Polen
  • Spanien
  • Benelux-Länder
  • Baltische Staaten
  • Finnland
  • Island
  • Irland
  • Türkei
  • Bulgarien
  • Chile
  • Neuseeland
  • Australien
  • Südkorea
  • Japan

Eine Anpassung der Renten an die Inflation bedeutet auch, dass die Rentenerhöhung in der Regel kleiner ausfällt, als das aktuell der Fall ist. Das hat in den vergangenen paar Jahren aber auch zu deutlich größeren Rentensprüngen geführt. In Österreich gab es zu Jahresbeginn 2025 eine Rentenerhöhung von 4,6 Prozent, im Jahr davor gab es sogar 9,7 Prozent mehr.

Rubriklistenbild: © Stefan Trappe/Imago

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