Mehr Härte

Bürgergeld-Reform: „Nicht immer auf Totalsanktionen schielen“

  • VonMax Schäfer
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Die Regierungsparteien legen erste Punkte einer Bürgergeld-Umgestaltung dar. Bei der neuen Grundsicherung sind „Totalsanktionen“ wesentlich. Ein Kenner hält diese jedoch für entbehrlich.

Berlin – Das Bürgergeld soll nun der neuen Grundsicherung weichen. Darauf haben sich Union und SPD in den Sondierungen geeinigt. Das Papier sieht dabei vor allem schärfere Mitwirkungspflichten und Sanktionen der Erwerbslosen vor. Das Prinzip des „Förderns und Forderns“ soll unter einer möglichen neuen Großen Koalition verschärft werden. Zentrale Neuerung ist ein vollständiger Leistungsentzug für Menschen, die „wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“.

Bürgergeld-Reform von Union und SPD sieht vollständige Streichung der Grundsicherung vor

„Bei einem schwarz-roten Kompromiss kann tatsächlich gerade das herauskommen, was in der Sache vernünftig ist“, erklärte nun Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. „Es ist von allem etwas dabei, höhere Verbindlichkeit, Qualifizierung, Mittel für die Betreuung, finanzielle Anreize“, lautete sein Urteil zum vorläufigen Bürgergeld-Kompromiss von Union und SPD.

Union und SPD unter Führung der Parteichefs Friedrich Merz und Lars Klingbeil haben sich auf Komplettstreichungen beim Bürgergeld geeinigt. (Montage)

Die mögliche Streichung des Bürgergelds bei wiederholt abgelehnten Stellenangeboten, sieht der Ökonom vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jedoch kritisch. Konkret erklären Union und SPD im Sondierungspapier: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.“ Damit geht es über die mögliche Streichung des Regelsatzes über einen Zeitraum von zwei Monaten bei zwei abgelehnten Angeboten innerhalb eines Jahres hinaus, die es seit Ende März 2024 gibt. Denn dabei wurden noch Miete und Heizkosten übernommen.

Sanktionen in der Grundsicherung sind wichtig – doch es kommt „auf das richtige Maß“ an

„Die Politik sollte nicht immer gleich auf Totalsanktionen schielen“, sagte Weber dem Tagesspiegel. Es gebe viel Spielraum, Sanktionen zu verschärfen, ohne gleich ins andere Extrem zu verfallen. „Es kommt nicht auf maximalen Druck an, sondern auf das richtige Maß.“

Denn grundsätzlich befürwortet der Arbeitsmarktforscher mehr Druck, er hatte in einer Studie etwa kritisiert, dass das Bürgergeld zu wenig Anreiz zum Arbeiten biete. Die Sanktionsmöglichkeiten seien zu schwach. Bei zehn Prozent im Monat lohne sich schon der Aufwand für die Jobcenter häufig kaum. Es sei etwa sinnvoll, Sanktionen für längere Zeiträume als derzeit üblich auszusprechen.

Bundesverfassungsgericht setzt enge Grenzen für Bürgergeld-Streichungen

Bei den Sanktionsmöglichkeiten in der Grundsicherung gibt es bereits rechtliche Hürden, die auf das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zurückgehen. So hatte das Bundesverfassungsgericht im November 2019 – zur Zeit der deutlich härteren Sanktionen im Hartz IV-System – Kürzungen über 30 Prozent als unvereinbar mit diesem Grundrecht eingeordnet. Damit ist die Frage auch bei der konkreten Ausgestaltung der Groko-Pläne entscheidend. Im Sondierungspapier heißt es deshalb auch: „Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten.“

„Das ist einer der Gründe, warum die Zwei-Monats-Sanktion schon jetzt in der Praxis keine Rolle spielt“, sagte auch Weber. Sowohl Bundesagentur für Arbeit als auch Bundesarbeitsministerium hatten sich bei Zahlen zur Anwendung der Totalsanktionen bedeckt gehalten. Laut einer Welt-Anfrage an 60 Jobcenter seien die Bürgergeld-Streichungen nicht eingesetzt worden.

Doch Weber sieht auch praktische Probleme bei solchen Sanktionen. Sie seien daran geknüpft, dass ein konkretes Jobangebot vorliege. „In der Praxis wird kein Arbeitgeber über Monate gegenüber einer arbeitsunwilligen Person ein Angebot aufrechterhalten – wodurch die Voraussetzung für die Sanktion schnell nicht mehr gegeben ist.“

Arbeitsmarktforscher sieht Rückkehr des Vermittlungsvorrangs bei der Grundsicherung kritisch

Eine weitere große Änderung planen Union und SPD bei der Vermittlung in Arbeit. Mit der Grundsicherung soll der Vermittlungsvorrang wieder eingeführt werden. Dieser besagt, dass nicht mehr eine möglichst langfristige nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt das Ziel, womit häufig Weiterbildungen verbunden waren, sondern die schnelle Rückkehr in Arbeit.

Das ist ein weiterer Kritikpunkt Webers an den Groko-Plänen zur Grundsicherung. Der Arbeitsmarktforscher halte es für sinnvoller, wenn Jobcenter-Beschäftigte mit den Betroffenen mehr Entscheidungsspielraum hätten, ob es direkt in die Arbeit gehe oder in eine Qualifizierung. „Ich sehe nicht, warum der Gesetzgeber diese Entscheidung übernehmen sollte, wo er doch nicht in die Einzelfälle hineinschauen kann, die so verschieden sind.“

Rubriklistenbild: © Dts Nachrichtenagentur/Rolf Poss/Imago

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