„Nur noch halb so groß“

BMW-Chef skizziert düstere Zukunft für deutsche Industrie – Seitenhieb gegen VW

  • Patrick Freiwah
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Oliver Zipse erwartet Konsequenzen hinsichtlich des Verbrenner-Aus 2035 und adressiert indirekt Volkswagen. Die Strategie von BMW: Technologie-Offenheit der Antriebssysteme.

München – BMW-Chef Oliver Zipse hat offenbar Bedenken zur Zukunft der europäischen Automobilindustrie und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Seine scharfe Kritik richtet sich gegen das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus ab Januar 2035. Am Rande des „Automobilwoche Kongress“ in Berlin machte Zipse klar, dass er die Festlegung auf dieses Datum für einen Fehler hält.

BMW-Chef Zipse über 2035: „Industrie danach nur noch halb so groß“

Dem BMW-Chef zufolge sei es fahrlässig, die Märkte an einem Stichtag komplett umzustellen. Diese Festlegung sei ohne Rücksicht auf Marktbedingungen und den technologischen Fortschritt, daraus ergeben sich nach Ansicht von Zipse unkalkulierbare Risiken für die Industrie: „Dann darf sich niemand beschweren, wenn die Industrie danach nur noch halb so groß ist“, zitiert die Automobilwoche den Vorstandschef.

Zipse betont, dass ein sanfter Übergang der Automobilbranche zu emissionsarmen Technologien sinnvoller sei als ein „harte Landung“ durch ein plötzliches Verbot. „Wenn man alles auf ein Datum setzt, macht man die Industrie erpressbar“, warnt er zudem und spielt auf mögliche Abhängigkeiten von Rohstoffen an.

Das Herzstück von Europas Autoindustrie steht vor dem Scheideweg. BMW-Chef Oliver Zipse bewertet das Verbrenner-Aus 2035 kritisch.

Verbrenner-Aus: Zu schnelle Senkung der CO₂-Emissionen?

Der BMW-Chef glaubt, dass eine schrittweise Verschärfung der CO₂-Emissionsziele über die Jahre hinweg besser für die Branche wäre. Die derzeitigen EU-Vorgaben sehen vor, dass die Industrie bis 2025 ihre CO₂-Emissionen um 15 Prozent im Vergleich zu 2021 senken muss. Bis 2030 soll eine Reduzierung um 55 Prozent erreicht werden, ehe 2035 ein Verbrenner-Verbot für Neuwagen ansteht.

Für Zipse ist dieser Ansatz problematisch, da die Umstellungen auf die Ziele sehr große und teure Schritte darstellen, die kaum Raum für Flexibilität lassen. Ein langsameres Tempo bei der CO₂-Reduktion wäre sinnvoller, so der BMW-Chef, da dies die Innovation fördern und den Automobilherstellern die nötige Zeit geben würde.

BMW, Volkswagen und die strengeren CO₂-Vorgaben 2025

Einen indirekten Seitenhieb erteilte Zipse offenbar dem Rivalen Volkswagen, im Hinblick auf 2025: Wer jetzt sage, er sei noch nicht so weit, gebe zu, dass seine Autos technologisch hinterherhinken – „die Grenzwerte sind seit fünf Jahren bekannt“. Autohersteller hätten demnach ausreichend Zeit gehabt, um sich auf die neuen EU-Regularien vorzubereiten.

VW kämpft mit der Umsetzung der Emissionsziele und hat laut einer Analyse der Großbank UBS Schwierigkeiten, den nötigen Anteil an Elektroautos zu erreichen. Demnach kam Europas größter Autokonzern 2023 bei den Neuzulassungen auf einen Elektroauto-Anteil (BEV) von rund 13 Prozent. Laut Zipse fehlt es an Glaubwürdigkeit, wenn Unternehmen die eigenen Versäumnisse dann durch Forderungen ausgleichen wollen.

BMW übertrumpft beim Elektroauto-Wachstum die Konkurrenz

Im Gegensatz zu VW scheint BMW trotz der Marktverzögerungen bei der Elektromobilität auf Kurs zu sein: Die reinen E-Auto-Verkäufe der Konzernmodelle stiegen im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 10,1 Prozent. Fast jedes fünfte der insgesamt über eine halbe Million ausgelieferten Fahrzeuge war rein elektrisch.

Zipse ist überzeugt davon, dass der weltweit positive Trend bei der Elektromobilität anhält, und erwartet mit der innovativen Elektro-Plattform „Neue Klasse“ einen weiteren Schub für den Premiumhersteller. „Die Elektromobilität wächst weltweit, Deutschland ist hier ein Sonderfall“, so der 60-Jährige.

Antriebsvielfalt für BMW der Schlüssel zum globalen Erfolg

Abseits der Debatte um Emissionsgrenzen unterstrich Oliver Zipse bei einer Preisverleihung die Bedeutung der Technologievielfalt bei BMW. Die Münchener setzen weiterhin auf eine breite Auswahl an Antrieben, die über reine Elektroautos hinausgeht. „Vielfalt ist unser Erfolgsrezept. Deswegen bleibt unser Angebot so vielfältig, wie unsere Kunden es sind“, zitiert Bild den CEO.

Zipse stellt klar, dass BMW auch künftig auf fünf Antriebsarten setzen wird: Neben E-Autos werden das Benziner, Diesel, Plug-In-Hybride und sogar Wasserstoffautos sein. „Bei uns gibt es keinen Unterschied zwischen angeblich alter und vermeintlich neuer Welt: Jeder Kunde bekommt den neuesten Stand der Technik ins Auto, unabhängig von der Antriebsart.“

Dieselmotor aus dem Hause BMW: Vorstandschef Zipse vertritt die Meinung, dass auch moderne, sparsame Selbstzünder zukunftsfähig sind.

BMW und China: Zipse kritisiert „absurde“ EU-Strafzölle

Ein weiteres Thema, das Zipse auf der Preisverleihung ansprach, waren die von der EU-Kommission angekündigten Strafzölle auf chinesische Elektroautos. Der BMW-Chef hält diese Entscheidung für kontraproduktiv und „absurd“.

„Die Politik fordert von den Herstellern vergleichsweise günstige E-Autos, damit der Umstieg der Kunden beschleunigt wird. Und dann beschließt die EU-Kommission Zölle, die genau diese Fahrzeuge künstlich teurer machen“, führt der Manager aus. Ein Handelskonflikt würde aus seiner Sicht „nur Verlierer“ erzeugen. (PF)

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