Dysfunktionale UNO
Warum Afrika auf Reformen des UN-Sicherheitsrates drängt — und China bremst
VonChristiane Kühlschließen
Der UN-Sicherheitsrat verliert an Legitimität. Das Gremium muss dringend reformiert werden, um die Entwicklungsländer angemessene zu repräsentieren. Doch die Reform kommt nur schwer voran.
Wolodymyr Selenskyj nahm bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Mittwoch kein Blatt for den Mund. Das Gremium dürfe nicht länger eine Welt repräsentieren, die es nicht mehr gebe, sagte der als Gast geladene ukrainische Präsident. Vor allem das Vetorecht für die fünf Ständigen Mitglieder hat er im Blick, denn zu ihnen gehört Russland. „Die Veto-Macht in Händen des Aggressors hat die UNO in die Sackgasse geführt“, wetterte Selenskyj. Man solle Russland das Veto-Recht entziehen. Und die 193 Mitgliedsstaaten sollten das Veto eines Mitglieds im Sicherheitsrat mit Zweidrittelmehrheit „suspendieren“ können, schlug er vor. Auch solle der Rat sich vergrößern und Deutschland einen ständigen Sitz geben.
Zwar äußerte sich Außenministerin Annalena Baerbock anschließend zurückhaltend zu Selenskyjs Ideen und lehnte den Entzug des russischen Vetos ab. Doch klar ist auch ihr: Der UN-Sicherheitsrat braucht dringend eine Reform, nicht nur wegen der Rolle Russlands. Schon seit langem drängen Entwicklungsländer und auch nichtständige Mitglieder wie Deutschland oder Japan auf mehr Repräsentation. Besonders laut schallt der Ruf nach Reform aus Afrika.
Die Staaten des Kontinents empören sich seit Jahren darüber, dass der globale Norden über Konfliktlösungen auf ihrem Kontinent entscheidet. Trotz des Ukraine-Kriegs seien nach wie vor die Konflikte in Afrika wichtigstes Thema im UN-Sicherheitsrat, schreibt Richard Gowan, Direktor des UN-Büros der Denkfabrik Crisis Group. 86 von 208 Sitzungen behandelten 2022 afrikanische Themen. Die Mehrheit der UN-Blauhelm-Missionen sind in Afrika, einem Kontinent mit 1,5 Milliarden Menschen. Doch im Rat sitzen stets nur drei afrikanische Staaten ohne Veto-Recht, die sogenannten A3. Derzeit sind das Mosambik, Ghana und Gabun. „Generationen afrikanischer Ratsmitglieder beschwerten sich darüber, dass die ehemaligen europäischen Kolonialmächte diese Diskussionen dominieren“, schreibt Gowan.
Afrika im UN-Sicherheitsrat unterrepräsentiert
Afrikanische Staaten seien im UN-Sicherheitsrat unterrepräsentiert, sagt auch der frühere deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen. „Es ist höchste Zeit, dass das verändert wird“, so Heusgen kürzlich zur Deutschen Presse-Agentur (dpa). Eine solche Reform ist so wichtig, weil der UN-Sicherheitsrat das globale Zentrum der Entscheidungsfindung über internationalen Frieden und Sicherheit ist. Und er ist nach wie vor das einzige UN-Gremium mit der Befugnis, rechtsverbindliche Resolutionen zu verabschieden und Zwangsmaßnahmen anzuordnen, die für alle 193 Mitgliedsstaaten bindend sind.
Dabei ist seine Zusammensetzung wie letztlich die gesamte UNO ein Relikt der Nachkriegsordnung, das die heutige Realität nicht mehr abbildet und weitgehend dysfunktional geworden ist. Die fünf Veto-Staaten im Sicherheitsrat sind die Siegermächte eines vor knapp 80 Jahren zu Ende gegangenen Krieges: die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Letztere waren bei Gründung der Vereinten Nationen 1945 noch Kolonialmächte gewesen. Hinzu kommen zehn weitere Staaten auf rotierender Basis. Auch Deutschland zog bereits mehrfach in das Gremium ein.
Widerstand gegen Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats
Seit 15 Jahren gibt es eine UN-Arbeitsgruppe, die eine ausgewogene Vertretung der Staaten im Rat ausloten soll, bisher ist sie erfolglos. Es werden verschiedene Szenarios für eine Erweiterung diskutiert.. Indien, Japan und Brasilien fordern einen ständigen Sitz; Deutschland hat diese Forderung inzwischen aufgegeben. Die USA befürworteten die Idee, Russland würde nur Indien und Brasilien einen ständigen Sitz geben wollen. Und eine Gruppe Mittelmächte – darunter Italien, Mexiko, die Türkei und Südkorea – wollen zehn zusätzliche nichtständige Sitze, aber keine zusätzlichen ständigen Sitze. Keine der fünf Vetomächte ist bereit, ihr Veto-Recht aufzugeben – und ebenso will keine will weitere Veto-Mächte hinzufügen. Bei alldem schimmern die eigenen nationalen Interessen dann doch recht deutlich durch.
DIe 54 Mitglieder der Afrikanischen Union (AU) verlangen seit 2005, dass ihr Kontinent zwei ständige Sitze mit Veto-Recht erhält sowie drei nichtständige Sitze. „Alle sind sich einig, dass Afrika eine stärkere Stimme im Rat erhalten sollte“, schreibt Experte Gowan. „Aber was das genau bedeutet, bleibt unklar, auch weil die afrikanische Gruppe zwar zwei ständige Sitze fordert – aber nicht sagt, welche Länder diese besetzen sollen.“ Für alle Reformen zur Mitgliederstruktur müsste allerdings ohnehin die UN-Charta geändert werden. Dafür sind zwei Drittel der Stimmen in der UN-Generalversammlung und das Ja aller Veto-Mächte notwendig.
Sicherheitsrat-Reform: Die Rolle Chinas
Auffällig ist bei all dem, dass die Vetomacht China sich zwar stets als Fürsprecher des Globalen Südens und vor allem Afrikas positioniert – allerdings ohne dabei je konkret zu werden „China spricht eher vage von einer besseren Vertretung der Entwicklungsländer“, meint Gowan. „China unterstützt Sonderregelungen für die Reform des UN-Sicherheitsrats, die Afrikas Bestrebungen als Priorität einräumen“, formulierte es Staatschef Xi Jinping kürzlich beim China-Afrika-Forum am Rande des Brics-Gipfels in Johannesburg. „China wird auch die multilateralen Finanzinstitutionen auffordern, die Mitsprache der afrikanischen Länder zu stärken.“
Christoph Heusgen nannte es in dem dpa-Gespräch erstaunlich, wie oft er als UN-Botschafter erlebt habe, dass „gerade China, das sich immer als Fürsprecher der sogenannten Entwicklungsländer aufspielt, dasjenige Land ist, was am stärksten eine Reform des Sicherheitsrates blockiert“. Er hat auch eine Vermutung, warum das so sei: „China will letztlich verhindern, dass seine privilegierte Stellung im Sicherheitsrat durch zusätzliche ständige Mitglieder relativ geschwächt wird.“
Das Problem: China will zwar die Macht der USA brechen, aber nicht auf Kosten der eigenen Macht im Sicherheitsrat. Und eine Alternative gibt es nicht wirklich.
UNO-Reform: Mögliche Lösungen
Wenigstens eine positive Folge hat die Blockade im Sicherheitsrat: Sie hat der UN-Generalversammlung neuen Schwung verliehen. „Eine auffällige Auswirkung des Krieges in der Ukraine ist die wiedererwachte Entschlossenheit der Generalversammlung, ihre eigene Rolle in der internationalen Sicherheit zu erweitern“, schreibt Stewart Patrick von der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. Zum Beispiel macht sie Druck auf die Vetomächte: Sie verabschiedete im April 2022 eine Resolution, die, so Patrick, „eine Sonderdebatte der Versammlung innerhalb von zehn Tagen nach der Anwendung des Vetos vorschreibt.“ Das ist noch nicht ganz das, was Selenskyj vorschwebt. Aber es setzt einen ersten Anreiz gegen das Veto.
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