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Will Putin in der Ostsee mit rostigen Öltankern angreifen? „Wir wissen nicht, was an Bord ist“
VonPeter Sieben
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Christiane Kühl
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Schwedens Armeechef warnt vor einer Attacke Putins auf die Ostseeinsel Gotland. Tatsächlich steige die strategische Bedeutung der betroffenen Inseln, sagen Experten.
Wie zwischen den Welten liegt die Insel Gotland in der Ostsee. Rund 200 Kilometer westlich beginnt das schwedische Festland, und 330 Kilometer im Südosten, zwischen Polen und Litauen, schmiegt sich die russische Exklave Kaliningrad ans Meer. Für Militärstrategen eine potenziell überaus günstige Lage. Womöglich auch für Russlands Präsident Wladimir Putin, wie jetzt Schwedens Armeechef Micael Bydén klarmachte: Er warnte vor einem Angriff Russlands auf die schwedische Insel.
„Putins Ziel ist es, die Kontrolle über die Ostsee zu erlangen“, sagte Bydén dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wer Gotland kontrolliert, der kontrolliert die Ostsee.“ Und Putin habe beide Augen auf Gotland sowie die demilitarisierte Åland-Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden geworfen.
Gotland wäre für Putin mit russischen Raketen erreichbar
Gotland wäre aus Kaliningrad mit russischen Raketen erreichbar. Das russische Fernsehen zeigte die Insel mehrfach als mögliches Ziel für den Fall, dass Moskau die drei baltischen Staaten angreifen wolle. Putin verschärft seit Monaten die Rhetorik gegen Estland, Lettland und Litauen. Umgekehrt ist das Baltikum von Gotland aus besser zu verteidigen als vom Festland.
Aber würde Putin wirklich ein Nato-Land angreifen? „Die größte Bedrohung zurzeit wäre wohl eine Niederlage der Ukraine“, erklärt Robin Allers. Er ist Professor an der norwegischen Hochschule für Verteidigung (FHS) in Oslo. „Zum einen würde eine solche Niederlage den Westen womöglich zu Handlungen zwingen, die man bisher vermeiden hat, zum Beispiel zur direkten Konfliktpartei zu werden“, erklärt Allers IPPEN.MEDIA. „Zum anderen könnte ein Sieg in der Ukraine das Putin-Regime ermutigen, auch anderswo offensiver aufzutreten.“ Dass das ein Angriff auf ein Nato-Land wäre, wage er zu bezweifeln, sagt Allers. „Wobei wir natürlich vom Februar 2022 gelernt haben, nichts auszuschließen.“
Ostsee für die Nato von wachsender Bedeutung: Russland könnte „Versorgungslinien bedrohen“
Für die Nato hat die Ostsee unterdessen deutlich an Bedeutung gewonnen, wie Julian Pawlak, Politologe und Experte für maritime Sicherheit an der Universität der Bundeswehr in Hamburg erklärt. „Tatsächlich ist es so, dass die Ostsee wieder einen besonderen Stellenwert in den Verteidigungsplanungen der Nato hat“, sagt Pawlak unserer Redaktion. Insbesondere zum Schutze der drei baltischen Staaten sei der See- und Luftweg über die Ostsee neben der schmalen direkten Landverbindung zwischen Polen und Litauen von Bedeutung. „Im Konfliktfall könnten diese Versorgungslinien durch Russland bedroht werden.“
Inseln wie Gotland, aber auch das dänische Bornholm, spielten in der Tat eine entscheidende Rolle, so der Experte: „Von ihnen kann unmittelbar auf Ziele in der Luft oder in der Ostsee gewirkt werden.“ Aber: Zum jetzigen Zeitpunkt seien die maritimen Fähigkeiten Russlands in der Ostsee noch begrenzt. Pawlaks Einschätzung: „Eine Warnung wie jene des schwedischen Oberbefehlshabers zielt darauf ab, über die strategische Bedeutung – und entsprechende Gefahren – in der Ostsee, vor unserer Haustür, aufzuklären.“ Das gelte vor allem angesichts der sich konsolidierenden Fähigkeiten der russischen Streitkräfte. Tatsächlich gehen Experten davon aus, dass Russland seine Verluste aktuell schneller ausgleichen kann als zunächst angenommen.
Warnung vor rostigen Öltankern als Waffe Putins in der Ostsee
Schwedens Armeechef Bydén warnte zudem vor der sogenannten Schattenflotte: Weit über 1000 marode Tanker sind im Meer unterwegs, die russisches Erdöl an den Sanktionen des Westens vorbei etwa nach Indien und China verschiffen. Schweden und Finnland warnen immer lauter vor den Gefahren für Sicherheit und Umwelt durch die Flotte. „Diese schrottreifen Tanker treiben sich zunehmend in schwedischen Gewässern herum. So laden viele vor Gotland das Erdöl von einem Tanker zum nächsten, um die Herkunft des Erdöls zu verschleiern. Ihre Anwesenheit ist mit Sicherheit provokativ gemeint“, glaubt Elisabeth Braw, Expertin für Grauzonentaktiken beim Atlantic Council. Greenpeace berichtet zudem von einem Tankschiff namens „Zircone“, das vor Gotland die Schattentanker auffülle.
Die schwedische Marine beobachtete Schattentanker in der schwedischen 200-Seemeilen-Wirtschaftszone, die mit Kommunikationsgeräten ausgestattet sind, die von normalen Handelsschiffen in keiner Weise benötigt werden. „Die russische Schattenflotte scheint gleichzeitig eine Spionageflotte zu sein“, schreibt Braw. Und Experte Pawlak sagt: „Es ergeben sich sicherheits- und verteidigungsrelevante Risiken, da wir nicht wissen, was geladen ist: nur Schmuggelware oder aber Waffen oder technisches Material, etwa zur Spionage.“ Putin könnte die rostigen Öltanker als Waffe missbrauchen, befürchtet Bydén.
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Strategische Lage von Schweden für die NATO von hoher Bedeutung
Durch seine geografische Lage in der zwischen dem hohen Norden und dem Baltikum sind Schweden und eben auch die Insel Gotland ideal positioniert, das gesamte Gewässer zu kontrollieren, und auch um Nato-Truppen und Nachschub in die Region zu bringen. Der Beitritt Schwedens zur Nato hat daher auch Einfluss auf die Verteidigungsstrategie der Allianz.
Die Verteidigung Gotlands hatte Schweden nach dem Ende des Kalten Krieges allerdings vernachlässigt. Früher waren 25.000 Soldaten auf der Insel stationiert; heute ist es ein einziges Regiment mit knapp 400 Soldaten. Premierminister Ulf Kristersson räumte nach dem Nato-Beitritt im Frühjahr ein, dass die Allianz im Ostseeraum aufgrund der zu geringen Militärpräsenz auf der Insel verletzlich sei und zeigte sich offen für eine erneute Aufrüstung.