Verteidigungspolitik
Norwegischer General: „Nato-Beitritt von Schweden ändert Verteidigungssituation dramatisch“
VonPeter Siebenschließen
Die Türkei steht einem Beitritt Schwedens zur Nato nicht mehr im Weg. Die Karten an der Nordflanke der Nato werden damit völlig neu gemischt – das hat Folgen auch für Deutschland.
Oslo – Die Überraschung ist noch immer groß hinter den gut gesicherten Mauern an der Myntgata 1 in Oslo. Hier ist der Sitz des norwegischen Verteidigungsministeriums – und dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach monatelangem Tauziehen nun dem Beitritt Schwedens zur Nato zustimmt, damit hätte hier wohl keiner so richtig gerechnet.
Möglicher Nato-Beitritt Schwedens: „Das verändert alles“
„Das verändert alles, und zwar dramatisch“, sagt Brigadegeneral Eystein Kvarving im Gespräch mit Ippen.Media. Sein kleines Büro ist voll mit Orden und Medaillen, neben dem Schreibtisch hängt ein altes Bajonett – „Erinnerungen an frühere Einsätze“, sagt Kvarving. An einer weißen Tafel umreißt er mit Filzstift grob die Umrisse Skandinaviens und umkreist einen Zipfel, der die Nordspitze von Norwegen sein soll. „Ganz hier oben, das war lange Zeit die Nordgrenze der Nato zu Russland“, sagt der Kommunikationschef der norwegischen Streitkräfte, die eben dieses Gebiet seit Jahren beobachten und sichern: Norwegen hat eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung der Nato-Nordflanke.
Norwegisches Militär verstärkt Aktivitäten an der Grenze zu Russland
Rund 200 Kilometer lang ist die gemeinsame Grenze von Russland und Norwegen hoch im Norden, nahe der Arktis. Dazu kommt ein riesiges Gebiet auf dem Nordatlantik: Seit Monaten hat das norwegische Militär mit Unterstützung der Verbündeten aus Großbritannien, USA, aber auch aus Deutschland hier seine Aktivitäten verstärkt. Es fahren mehr Schiffe, Beobachtungsflugzeuge halten Ausschau nach russischen U-Booten. Tatsächlich gebe es hier seit einiger Zeit immer wieder russische Bewegungen. Auch potenzielle Spionage-Drohnen werden gesichtet. Zuletzt gab es gar einen Aufruf an die norwegische Bevölkerung, vor allem im Norden des Landes: Wer auffällige Drohnen sieht, soll sie sofort melden.
Mit dem Beitritt Finnlands zur Nato im April 2023 verlängert sich die Nato-Landgrenze um mehr als Tausend Kilometer. Nachdem die türkische Regierung ihre Blockadehaltung aufgegeben hat, ist nun auch für Schweden der Weg in das Verteidigungsbündnis offenbar frei. „Ich gehe davon aus, dass Schweden sehr bald der Nato beitreten wird. Damit ist die Nato-Nordflanke sicherer als je zuvor.“ Mit Finnland, Schweden und Norwegen hat die Nato ein riesiges Stück Hinterland gewonnen. „Norwegens Bedeutung in der Sicherung der Nordflanke wird sich stark ändern und künftig noch größer sein. Denn norwegisches Gebiet wird zum potenziellen Transitraum alliierter Truppen in Richtung Norden und in Richtung der baltischen See.“
Norwegens Verhältnis zu Russland
Traditionell hat sich Norwegen lange Zeit um gute diplomatische Kontakte zu Russland bemüht. Nicht zuletzt die Befreiung von Ost-Finnmark im Zweiten Weltkrieg von den Nazitruppen durch Russland hat die Beziehungen gestärkt.
Spätestens mit der Okkupation der ukrainischen Halbinsel Krim durch russische Truppen im Jahr 2014 kühlt sich das Verhältnis aber zusehends und immer deutlicher ab.
Zuletzt hatte es gar Ausweisungen russischer Diplomaten gegeben und Russland hat Norwegen als „unfreundlichen Staat“ eingestuft.
Die Zusammenarbeit mit Deutschland werde sich künftig wohl noch intensivieren, sagen Beobachter aus Wirtschaft und Politik in Norwegen. Erst Mitte September hatten die Verteidigungsminister Deutschlands und Norwegens, Boris Pistorius und Bjørn Arild Gram, in Kiel den Startschuss für den Bau eines neuen U-Bootes gegeben: Gemeinsam bauen die Länder hochmoderne U-Boote der Klasse 212CD, ein deutliches Symbol für die enge Partnerschaft der beiden Länder auch in Rüstungsfragen.
Auch nach Schweden-Beitritt: Keine festen Nato-Stützpunkte in Norwegen
Feste Nato-Stützpunkte in Norwegen wird es aber wohl auch künftig nicht geben, so Brigadier Kvarving. Denn nach wie vor bemühe man sich darum, nicht als Aggressor gegenüber Russland aufzutreten. „Selbstauferlegte Restriktionen“ nennen die Norweger das – die sich jederzeit ändern können. Tatsächlich bemüht sich das skandinavische Land seit jeher um gute diplomatische Beziehungen zum riesigen Nachbarn. In manchen Bereichen wird es vorerst wohl auch weiterhin eine Zusammenarbeit geben, etwa beim Fischfang im Nordatlantik oder bei der Seerettung. Doch die Beziehungen seien ansonsnten deutlich abgekühlt, so Kvarving.
„Wir lernen von den ukrainischen Truppen“
Unterdessen werde auch die Unterstützung ukrainischer Truppen durch Norwegen weitergehen. „Wir bilden ukrainische Soldaten aus, lernen aber auch von ihnen. Denn sie haben ja schon gegen russisches Militär gekämpft und wissen, wie das funktioniert.“ Zwar rechne niemand mit einem Angriff aus dem Osten. Aber strategisches Hintergrundwissen schade nicht: „Es ist für Streitkräfte immer gut, sich weiterzuentwickeln.“ (pen)
Transparenzhinweis: Ippen.Media wurde von der norwegischen Botschaft in Berlin nach Oslo eingeladen.