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„Kim Jong-un weiß, dass ein Krieg für ihn viel zu riskant ist“
VonSven Hauberg
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Nordkoreas Diktator Kim Jong-un verschärft die Drohungen gegen den Westen und vertieft die Zusammenarbeit mit Russland. Droht ein Krieg? Eine Expertin klärt auf.
Es ist eine gefährliche Allianz: Mit Beginn des Ukraine-Kriegs sind Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und Russlands Präsident Wladimir Putin noch enger zusammengerückt. Gleichzeitig treibt das Regime in Pjöngjang sein Nuklearprogramm voran und testet immer wieder ballistische Raketen. Was hat Kim vor? „Ich denke nicht, dass Nordkorea wirklich einen Krieg führen will“, sagt die Expertin Betty Suh. Eine andere Entwicklung habe sie aber „erschreckt“, so die Nordkorea-Forscherin.
Frau Suh, Mitte des Monats hat Nordkorea erstmals Fotos einer mutmaßlichen Urananreicherungsanlage veröffentlicht. Auf den Bildern sieht man Kim Jong-un inmitten Dutzender Zentrifugen. Welche Botschaft will das Regime damit aussenden?
Nordkorea hat bislang solche Anlagen zur Urananreicherung nur in informellen Kontexten gezeigt. Dass das Regime eine solche Anlage jetzt so offiziell zeigt, passt zu dem, was Kim Jong-un seit Jahren verspricht und Anfang des Jahres wiederholt hat: dass man die Produktion von spaltbarem Material und damit die Produktion von nuklearen Sprengköpfen ankurbeln will. Und dass man neuere, modernere Zentrifugen für Urananreicherung hat. Das hochangereicherte Uran ist auch für taktische Nuklearwaffen wichtig. Also für Nuklearwaffen mit kürzerer Reichweite und kleinerer Sprengkraft, die besonders für Südkorea und die dortigen Militärbasen der USA eine Bedrohung darstellen.
Besteht die Gefahr, dass Kim diese Waffen gegen den Süden auch einsetzt?
Ich denke nicht, dass Nordkorea wirklich einen Krieg gegen den Süden führen will. Denn trotz seiner Atomwaffen, seines Raketenarsenals und einer durch und durch militarisierten Gesellschaft ist der Norden dem Süden militärisch unterlegen. Wenn dann noch die USA aufseiten des Südens eingreifen würden, dann hätte Kim kaum eine Chance, einen Krieg zu gewinnen.
„Kim Jong-un weiß, dass ein Krieg für ihn viel zu riskant ist“
Zur Person
Betty Suh ist Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die koreanische Halbinsel und der indopazifische Raum.
Also nur Säbelrasseln?
Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass Kim rational agiert. Er weiß, dass ein Krieg für ihn viel zu riskant ist. Sollte es zu einer Eskalation kommen, dann könnte am Ende ein Atomkrieg stehen. Kim Jong-un sagt das immer wieder, eben weil er den Süden, aber auch die USA oder Japan davon abhalten will, sein Regime anzugreifen und zu stürzen. Damit diese Abschreckung wirkt, verschärft er seine Kriegsrhetorik immer wieder.
Das hat mich wirklich erschreckt. Denn bislang war die Wiedervereinigung mit dem Süden für das Regime nicht nur ein moralisches, sondern auch ein politisches Ziel. Man wollte den Wiedervereinigungskrieg, den Kim Il-sung, der Großvater von Kim Jong-un, 1950 vom Zaun gebrochen hat, zu Ende führen. Ich halte es für möglich, dass Kim Jong-un mit dem Erbe seines Großvaters brechen möchte, um eine andere Art von Regime aufzubauen, das sich nicht mehr über das Ziel einer Wiedervereinigung definiert, sondern über die eigenen Atomwaffen.
Das wäre zumindest der nächste logische Schritt: Erst präsentiert das Regime Zentrifugen zur Urananreicherung, anschließend testet es eine taktische Atomwaffe. Einige Experten glauben, dass noch im Oktober ein solcher Test stattfinden könnte, als gezielte Provokation vor den US-Wahlen. Andererseits wird schon seit zwei Jahren über einen erneuten Atomtest spekuliert, ohne dass etwas passiert wäre.
„Nordkorea hat seine selbst gesteckten Ziele erreicht“
Zuletzt hat Nordkorea wiederholt auch ballistische Raketen getestet. Welche militärischen Fähigkeiten hat das Regime noch nicht, die es gerne hätte?
Was ballistische Raketen angeht, hat Nordkorea seine selbst gesteckten Ziele im Grunde erreicht. Das Land verfügt über verschiedene Systeme. Also über Lang-, Mittel- und Kurzstreckenraketen, über Raketen, die von Fahrzeugen abgeschossen werden können, und über Raketen mit Feststoffantrieb, die relativ schnell eingesetzt werden können. Und das Regime lernt aus dem Einsatz seiner ballistischen Kurzstreckenraketen im Ukraine-Krieg, wie sich solche taktischen Systeme im kriegerischen Alltag bewähren.
Unklar war bislang, ob Nordkorea mit seinen Interkontinentalraketen tatsächlich die USA erreichen könnte: ob die Raketen weit genug fliegen können, ob sie den Wiedereintritt in die Atmosphäre überstehen würden und ob das Regime funktionierende nukleare Sprengköpfe konstruieren kann, die klein genug sind, um auf solche Raketen montiert zu werden.
Genau, und das ist heute noch genauso unklar wie vor ein paar Jahren. Nordkorea hat zwar 2016 und 2017 Fotos von kleinen Sprengköpfen präsentiert, um dem Westen zu signalisieren: Wir wissen, dass ihr bezweifelt, dass wir das können. Aber seht her: Wir können es tatsächlich. Ein Test, der das wirklich testet – also ein Test solcher mit Sprengköpfen ausgestatteter Interkontinentalraketen auf normaler, nicht verkürzter Flugbahn – wäre super riskant und ist bislang ausgeblieben.
„Peking betrachtet die Annäherung zwischen Nordkorea und Russland skeptisch“
Wie wichtig ist für Nordkorea die Zusammenarbeit mit Russland, wenn es um die Entwicklung von Waffensystemen geht?
Die Allianz mit Russland hat zwei Dimensionen. Erstens hat Pjöngjang nun einen starken, verlässlichen, großen Partner an seiner Seite. Das Regime kann also behaupten, alles andere als international isoliert zu sein und so jetzt zusammen mit Russland einen gewichtigen Gegenblock gegen den Westen zu bilden.
Und zweitens?
Der Partnerschaftsvertrag, den Kim und Wladimir Putin im Juni geschlossen haben, beinhaltet auch eine Beistandsklausel. Welchen militärischen Wert diese hat, muss sich noch zeigen. Klar ist aber schon jetzt, dass Nordkorea die Partnerschaft mit Russland nutzen wird, um Sanktionen zu umgehen. Auch ist Russland ein wichtiger Partner, wenn es darum geht, Komponenten und Wissen für das nordkoreanische Nuklearwaffen- und Weltraumprogramm zu schmuggeln und es finanziell zu unterstützen. Umgekehrt sehen wir, wie nordkoreanische Waffen in der Ukraine zum Einsatz kommen. Beide Länder halten sich gegenseitig militärisch, politisch, finanziell und wirtschaftlich am Leben.
Peking betrachtet die Annäherung zwischen Nordkorea und Russland skeptisch. China ist zwar der wichtigste Handelspartner für Nordkorea und wird das auch bleiben; ob das aber bedeutet, dass China direkt Einfluss nehmen kann auf die Regierung in Pjöngjang, bezweifle ich. Nordkorea hat nicht zuletzt durch seine Atomwaffen einen relativ großen Handlungsspielraum geschaffen und abgesichert. Gleichzeitig betrachtet Peking das nordkoreanische Nuklearprogramm zwar mit Argwohn, will aber auch einen Zusammenbruch des Kim-Regimes vermeiden.