Wendepunkt in der Gegenoffensive?

Russland gibt „taktischen“ Rückzug aus Robotyne bekannt – Ukraine auf dem Vormarsch

  • Nail Akkoyun
    VonNail Akkoyun
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Russland gibt strategisch wichtige Stellungen auf, doch der Kampf geht weiter. Die nächste Herausforderung der Ukraine: Tokmak und Melitopol.

Robotyne – Zwei Wochen ist es her, als die 47. mechanisierte Brigade am 23. August die ukrainische Flagge über einer zerstörten Schule in Robotyne hisste und das Dorf für befreit erklärte. Die letzten Zivilistinnen und Zivilisten wurden daraufhin evakuiert, inzwischen gilt die Siedlung als gänzlich verlassen. Doch die Gefechte rund um Robotyne bleiben – wenn auch nicht um das Dorf selbst.

Im russischen Staatsfernsehen erklärte Jewgeni Balizki, ein von Moskau eingesetzter Beamter in der teilweise besetzten Region Saporischschja, dass man das Dorf aufgegeben habe. Aus taktischen Gründen habe man sich zurückgezogen, erklärte Balizki dem russischen Moderator Wladimir Solowjow, aufgrund seiner Propagandasendungen auch „Putins Stimme“ genannt.

„Die russische Armee hat diese Siedlung aufgegeben – taktisch aufgegeben –, weil es im Allgemeinen keinen Sinn ergibt, auf einer kahlen Fläche zu bleiben, wenn es keine Möglichkeit gibt, sich vollständig einzugraben“, wird Balizki von der russischen Nachrichtenagentur RBC zitiert. Die Armee habe sich nun „in die Berge zurückgezogen“ – mit Hinblick auf die Tatsache, dass die Region nicht sonderlich hügelig ist, scheint diese Aussage aber recht kurios.

Soldaten einer separaten Brigade der Territorialen Verteidigung aus Dnipro bereiten in der Region Saporischschja im Südosten der Ukraine Raketen für einen mobilen Partizan-Raketenwerfer vor. (Archivfoto)

Gegenoffensive der Ukraine: Keine nennenswerten Rückeroberungen – bis jetzt?

Auch wenn sich die ukrainische Gegenoffensive inzwischen in einem fortgeschrittenem Stadium befindet, konnte bislang noch keine große Rückeroberung verzeichnet werden. Entlang der Frontlinien in den Oblasten Donezk und Saporischschja kommt es jedoch immer häufiger zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen und russischen Streitkräften. Offenbar bleibt das Etappenziel der Ukraine, zur Küste vorzudringen und so einen Keil zwischen die russischen Truppen zu treiben und ihre Versorgung zu unterbrechen.

Geolokalisierte Aufnahmen vom Dienstag (5. September) zeigen, dass die ukrainische Armee südlich von Robotyne und entlang der russischen Verteidigungslinien vorgerückt ist. Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) prognostizierte bereits Ende August, dass die Ukraine als Nächstes die Siedlung Werbowe ins Visier nehmen wird, um sich von dort aus weiter Richtung Melitopol und Tokmak durchzukämpfen. Und tatsächlich: in den vergangenen Tagen wurden Kämpfe aus Werbowe gemeldet.

Begehrtes Etappenziel der Ukraine: Melitopol liegt nur 20 Kilometer von der Küste entfernt

Die Einnahme der nächsten zwei Städte, Tokmak und Melitopol, dürfte sich jedoch als äußerst schwierig für die Ukraine gestalten. Während, Tokmak rund 40 Kilometer entfernt von Wobowe liegt und Russland andere Abwehrtaktik ermöglicht, liegt Melitopol in gänzlich weiter Ferne. Doch die südliche Großstadt stellt ein wichtiges Industriezentrum dar und liegt nur etwa 20 Kilometer von einer Schwarzmeer-Bucht entfernt.

Doch so schwer das bloße Erreichen von Melitopol für die ukrainischen Truppen auch bleiben mag, es bleibt das erklärte Ziel im Ukraine-Krieg. Dies bestätigte am vergangenen Samstag (2. September) Brigadegeneral Oleksandr Tarnawskyj im Gespräch mit der britischen Zeitung The Observer. Man befinde sich nun „zwischen der ersten und zweiten Verteidigungslinie“ im Süden der Oblast Saporischschja. Jetzt hoffe man, die russischen Streitkräfte in Richtung des besetzten Melitopol zurückschlagen zu können. Möglicherweise dient der russische Rückzug aus Robotyne dafür als Initialzündung. (nak)

Rubriklistenbild: © Ukrinform/dpa

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