Abstimmung im Januar

Präsidentschaftswahl in Taiwan: China-Kritiker geht als Favorit ins Rennen – und erzürnt Peking

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Taiwans Opposition kann sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für die kommende Präsidentschaftswahl einigen. Der Gewinner der Abstimmung könnte deswegen schon jetzt feststehen.

Taiwans Opposition hat dramatische Tage hinter sich – und steht nun vor einem Scherbenhaufen. Statt sich auf eine gemeinsame Kandidatur zu einigen, gehen Hou Yu-ih von der Kuomintang und Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei jetzt doch getrennt ins Rennen ums höchste politische Amt des Inselstaats: Am Freitag registrierten beide unabhängig voneinander ihre Kandidatur bei der zuständigen Wahlbehörde.

Es ist eine Entscheidung mit potenziell großer Tragweite, weit über Taiwan hinaus. Denn aktuellen Umfragen zufolge dürften weder Hou noch Ko das Rennen machen, wenn die Taiwaner am 13. Januar aufgerufen sind, über einen Nachfolger von Noch-Präsidentin Tsai Ing-wen abzustimmen, die nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf. Favorit ist vielmehr Tsais Vize Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei – und damit ein Kandidat, der sich für eine größere Unabhängigkeit Taiwans von China ausspricht. Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, die notfalls mit Gewalt an die Volksrepublik angegliedert werden soll, und droht mit Krieg, sollte sich Taiwan formell für unabhängig erklären.

Taiwans Opposition: zerstritten statt einig

Die beiden Oppositionskandidaten Hou und Ko hatten sich Mitte vergangener Woche eigentlich darauf verständigt, gemeinsam bei der Präsidentschaftswahl antreten zu wollen. Statt Einigkeit zu demonstrierten, verzettelten sie sich in den Tagen danach allerdings in Grabenkämpfen. Im Vordergrund stand die Frage, welcher der beiden Politiker für das Präsidentenamt kandidieren soll und wer als sein Vize antritt. Klarheit sollte durch die Auswertung von aktuellen Umfragen geschaffen werden – wer führt, wird Präsidentschaftskandidat, so die Idee. Allerdings konnten sich die Teams von Ko und Hou nicht darauf einigen, welche Umfragen ausgewertet werden sollen und welche nicht.

Für Klärung sollte am Donnerstag ein Treffen sorgen, zu dem Terry Gou die beiden Streithähne in ein Luxushotel in der Hauptstadt Taipeh gerufen hatte. Gou ist der milliardenschwere Gründer des Apple-Zulieferers Foxconn; er war zeitweilig selbst als vierter möglicher Präsidentschaftskandidat im Rennen (am Freitag zog er seine Kandidatur zurück und ließ zunächst offen, ob er Hou oder Ko unterstützen werde). Vor laufenden Fernsehkameras kam es bei dem Treffen vom Donnerstag zum Eklat. Hou und Ko gaben sich gegenseitig die Schuld daran, dass man sich nicht auf eine gemeinsame Kandidatur einigen konnte. Als Hou dann auch noch eine private Textnachricht seines Rivalen Ko vorlas, war das Tischtuch endgültig zerschnitten.

Laut Umfragen: Taiwans Vizepräsident Lai könnte ins Präsidentenamt aufsteigen

Hou und Ko könnten unterschiedlicher kaum sein. Hou, 66 Jahre alt, ist der Kandidat der traditionsreichen Kuomintang, die vor mehr als 100 Jahren nach dem Ende des chinesischen Kaiserreichs gegründet worden war. Von 1949 bis 2000 regierte sie Taiwan, die meiste Zeit davon als Ein-Parteien-Diktatur, und noch einmal von 2008 bis 2016. Der 64-jährige Ko Wen-je hingegen tritt für die vor gerade einmal vier Jahren gegründete Taiwanische Volkspartei an. Der ehemalige Bürgermeister von Taipeh kann vor allem junge Wähler für sich begeistern, wenn auch mit einem bisweilen populistischen Programm. Was beide aber eint, ist ihr Ansatz zum Umgang mit China: Dialog statt Konfrontation, Annäherung statt Distanz. Das unterscheidet die beiden von Lai Ching-te, dem Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei.

Fast alle Umfragen der letzten Monate sehen Lai vorne. Auch wenn er aktuell auf nur auf 30 bis 40 Prozent der Stimmen kommt, könnte Lai Präsident werden – in Taiwan gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen, eine Stichwahl gibt es nicht. So scheint schon jetzt, rund anderthalb Monate vor den Wahlen, bereits festzustehen, wer nächster Präsident Taiwans wird.

Peking lehnt „Unabhängigkeits-Doppelpack“ für Taiwans Präsidentschaft ab

Die Abstimmung vom kommenden Januar gilt als wichtigste Wahl in Taiwan seit vielen Jahren. Seit Tsai Ing-wen 2016 in den Präsidentschaftspalast in Taipeh eingezogen ist, hat sich das Verhältnis zu China deutlich verschlechtert. Peking sieht in Präsidentin Tsai und ihrem Vize Lai Separatisten, die vorhätten, Taiwan formell für unabhängig von China zu erklären. Lai hingegen betonte zuletzt immer wieder, Taiwan müsse sich nicht für unabhängig erklären, weil es das sowieso schon sei. Früher allerdings hatte er sich gerne lautstark als „pragmatischen Arbeiter für Taiwans Unabhängigkeit“ positioniert. Solche Wortklaubereien sorgen in Peking regelmäßig für Tobsuchtsanfälle.

Für Spannungen mit China sorgt zudem, dass Lai die bisherige taiwanische Repräsentantin in den USA – „Botschafterin“ darf sich Hsiao Bi-khim nicht nennen, da Washington Taiwan nicht offiziell anerkennt – zu seiner Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin gemacht hat. Hsiao hat in den vergangenen Jahren maßgeblich dafür gesorgt, dass die Unterstützung der USA für Taiwan zuletzt immer stärker wurde.

Für Peking ist das Duo Lai-Hsiao ein „Unabhängigkeits-Doppelpack“. Den Taiwanern müsse klar sein, was passieren werde, sollten die beiden ins Amt gewählt werden, tönte es unlängst aus China. Es ist eine unverhohlene Drohung an die knapp 24 Millionen Einwohner des Inselstaates. Möglicherweise aber ist es genau diese Rhetorik aus Peking, die noch mehr Wähler zu Lai und Hsiao treibt. Zwar wollen die meisten Taiwaner keine Unabhängigkeit, sondern vielmehr den Status quo beibehalten. Sich von Peking diktieren lassen, wen man zu wählen hat, das kommt für die Taiwaner aber auch nicht infrage.

Rubriklistenbild: © Sam Yeh/AFP