Werben um Indien und China
Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz: Warum Selenskyj auf den globalen Süden setzt
VonChristiane Kühlschließen
Wolodymyr Selenskyj wirbt um die Teilnahme wichtiger Staaten des globalen Südens an der Ukraine-Friedenskonferenz. Sie sind dringend nötig für einen Erfolg. Selbst um China wirbt man weiter.
Wenige Tage vor Beginn der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz geht das Ringen um die Anwesenheit einer möglichst großen Anzahl von Staaten auf die Zielgerade. Politiker der Ukraine und ihrer Verbündeten arbeiten mit Hochdruck daran, schwankende Staaten des globalen Südens an den Tisch zu holen: Länder wie Indien, Brasilien, die Türkei, Saudi-Arabien, Indonesien, Kenia, Äthiopien oder vielleicht sogar China, aller „pro-russischen Neutralität“ zum Trotz. China hat eigentlich abgesagt, doch gerade erst trafen sich die Vizeaußenminister beider Länder in Peking. Der ukrainische Vizeaußenminister Andrii Sybiha drängte bei seinem Amtskollegen Sun Weidong noch einmal auf Teilnahme Chinas.
Der Sicherheitsexperte und ehemalige Nato-Botschafter der USA Kurt Volker hält es für durchaus möglich, dass China zumindest jemanden von niedrigerem Rang – aus der sogenannten Arbeitsebene – in die Schweiz schicken werde. „Das wäre immerhin ein kleiner Erfolg für die Ukraine.“ Ein großer Erfolg wäre die Anwesenheit eines hochrangigen Politikers aus Peking, sagte Volker zu IPPEN.MEDIA. Es gehe nicht darum, China im Gegenzug etwas zu bieten, so Volker. Der Westen müsse Peking vielmehr davon überzeugen, dass es in seinem eigenen Interesse sei, konstruktiv zu agieren. Da gebe es Ansätze. So wolle China am Wiederaufbau der Ukraine beteiligt sein. „Und China schaut letztlich nur auf chinesische Interessen.“
Gut 160 Länder sind zur Ukraine-Konferenz eingeladen: Wer kommt aus dem globalen Süden?
Die Schweiz will die Teilnehmerliste erst direkt vor der Konferenz bekannt geben. Mehr als 160 Länder hat sie zu der Konferenz eingeladen, die am 15. und 16. Juni auf einem Bergkamm hoch über dem Vierwaldstättersee stattfindet. Dort sollen Teile des 10-Punkte-Friedensplans des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besprochen werden. Einzelne Staats- und Regierungschefs haben öffentlich zugesagt, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, Polens Präsident Andrzej Duda und der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau. Aus der Schweiz verlautet, dass unter anderem Italien, Spanien, Finnland, Schweden, Tschechien sowie die EU ihre Teilnahme bestätigt haben.
Aus den USA werden Vizepräsidentin Kamala Harris und der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan anreisen. Präsident Joe Biden wird kurz vor der Konferenz separat mit Selenskyj zusammenkommen. Russland ist nicht eingeladen. Insgesamt sollen bisher etwa 80 Länder zugesagt haben, darunter die Hälfte von außerhalb Europas. Selenskyj sprach auf dem Shangri-La-Sicherheitsforum in Singapur vor wenigen Tagen sogar von 106 Zusagen, darunter wohl auch mündlich gegebene. Von seiner Reise brachte er unter anderem Zusagen von Singapur und den Philippinen mit.
Ukraine-Gipfeln in der Schweiz: Indien wird dabei sein – nur mit wem?
Das Werben um Teilnehmer erfolgt gegen heftigen Widerstand Moskaus, das seit Wochen versucht, die Konferenz bei den Entwicklungsländern zu diskreditieren. Auf seiner Pressekonferenz beim Shangri-La-Dialog griff Selenskyj in diesem Zusammenhang unerwartet scharf auch China an. „Russland nutzt den chinesischen Einfluss in der Region und nutzt auch chinesische Diplomaten und tut alles, um den Friedensgipfel zu stören.“ Es sei bedauerlich, dass „solch ein großes unabhängiges Land wie China ein Instrument in den Händen von Putin ist“.
Dass das bislang stets betont neutrale Indien zugesagt hat, ist daher ein Erfolg für die Ukraine – auch wenn noch nicht klar ist, wer genau aus Neu-Delhi anreisen wird. Der frisch wiedergewählte Premierminister Narendra Modi persönlich hatte am 20. Mai in einem Interview die Teilnahme seines Landes zugesagt. Modi habe betont, dass Indien auf dem bevorstehenden Gipfel „die Stimme des globalen Südens erklingen lassen“ und den globalen Diskurs mitgestalten werde, zitierte die ukrainische Nachrichtenplattform Kyiv Independent aus einem Interview mit Modi. Eine Abwesenheit des Erzrivalen China würde Modi dabei in die Hände spielen.
Globaler Süden: Brasilien macht lieber eigenen Friedensplan
Aus Brasilien heißt es derweil, dass man nicht teilnehme. Präsident Lula zeigte bislang wenig Sympathien für das Schicksal der Ukraine. Stattdessen setzte Brasilien Ende Mai mit China eine gemeinsame Erklärung für Friedensverhandlungen auf, die beide Seiten zur Deeskalation aufruft und den Einsatz von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen ablehnt, ebenso wie Angriffe auf Atomkraftwerke. Immerhin. Doch wie schon in Chinas eigenem Friedensplan ist darin keine Rede davon, dass Russland sich aus den besetzten ukrainischen Gebieten zurückziehen müsse. Auch Saudi-Arabien und Pakistan sollen abgesagt haben. Südafrika hatte schon früh mitgeteilt, dass der Zeitpunkt der Konferenz wegen der Parlamentswahl vom ersten Juniwochenende nicht passe.
Die Agenda der Konferenz wird vor diesem Hintergrund bewusst eng gehalten, damit sie auch für Länder akzeptabel ist, die sich bislang von dem Konflikt abseits halten. Man werde „noch nicht um alle Fragen und noch nicht um den ganz großen Frieden“ sprechen, sagte Kanzler Scholz kürzlich. Stattdessen wird es etwa um die Rückholung entführter ukrainischer Kinder aus Russland gehen, um den Austausch von Gefangenen sowie um die nukleare Sicherheit. Eine gemeinsame Erklärung soll sich auf die Charta der Vereinten Nationen beziehen. Viele Unterschriften aus dem globalen Süden wären ein starkes Zeichen der Geschlossenheit an Russland. Es wäre ein erster Schritt in einem langen Prozess in Richtung Frieden.