Spannungen im Ostseeraum
Rache für den Nato-Beitritt: Putin bedroht Finnland mit neuen Truppen und Waffensystemen an der Grenze
VonChristiane Kühlschließen
Putin eskaliert seit dem Nato-Beitritt Finnlands die Spannungen an der gemeinsamen Grenze. Nun will er dort Truppen und Waffen stationieren. Auch Neu-Mitglied Schweden spürt den härteren Ton aus Moskau.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Finnland gewarnt: Der Nato-Beitritt des jahrzehntelang neutralen Landes werde Folgen haben. Und er macht Ernst. Seit Finnland im April 2023 Mitglied der Allianz geworden ist, steigen die Spannungen an der gut 1300 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Ländern. Am Dienstag kündigte Putin in einem Interview mit Staatsmedien an, als Reaktion auf die Nato-Mitgliedschaft Finnlands Soldaten und militärisches Gerät an der Grenze zu stationieren – und spickte diese Ankündigung mit direkten Drohungen. „Wir hatten dort keine Truppen, jetzt werden sie dort sein“, sagte Putin der Nachrichtenagentur RIA und dem Staatssender Rossija-1. „Es gab dort keine Zerstörungssysteme, jetzt werden sie dorthin verlegt.“
Putin hatte Finnlands Beitritt zu dem Militärbündnis seinerzeit als „Angriff auf die Sicherheit“ Russlands verurteilt. Für Finnland sei der Nato-Beitritt „ein bedeutungsloser Schritt“ mit Blick auf „die Wahrung seiner nationalen Interessen“, drohte Putin nun – ebenso wie für Schweden. Damit suggeriert er, dass die Mitgliedschaft Russland im Zweifelsfall nicht von einem Angriff abhalten werde. In dem Interview brachte er zudem den Einsatz von Atomwaffen gegen den Westen ins Spiel.
Putin droht Finnland und Schweden
Schon im Dezember hatte Putin ein Interview mit Rossija-1 genutzt, um ominös „Probleme“ für Finnland anzukündigen. Der Westen habe Finnland „in die Nato gezerrt“, wetterte er damals. „Warum, hatten wir irgendwelche Streitigkeiten mit Finnland? Alle Streitigkeiten, auch die territorialen, die es Mitte des 20. Jahrhunderts gab, sind längst beigelegt.“ Die Sowjetunion hatte Finnland während des Zweiten Weltkriegs angegriffen; Finnland verhinderte im sogenannten Winterkrieg damals zwar eine Eroberung des ganzen Landes, musste aber rund zehn Prozent seines Gebietes abtreten, darunter seine zweitgrößte Stadt Wiborg, die heute zu Russland gehört. Im Kalten Krieg musste Finnland neutral bleiben, um seine Existenz abzusichern.
Durch die russische Invasion der Ukraine änderte sich das Kalkül für Finnland. Die Nato-Mitgliedschaft schien nun sicherer als die Neutralität. Auch Schweden hätte den Beitritt ohne den Ukraine-Krieg nicht beantragt. Putin hat durch die Invasion der Ukraine daher letztlich das Gegenteil von dem erreicht, was er will, nämlich ein Ende der Nato-Expansion. Durch den finnischen Beitritt ist die Allianz ein gutes Stück dichter an Russlands Machtzentren St. Petersburg und Moskau herangerückt.
Auch ist die Ostsee praktisch zum Nato-Meer geworden. Außer Russland selbst liegen jetzt ausschließlich Nato-Mitglieder an ihren Ufern, die nun militärisch und logistisch deutlich besser zusammenarbeiten können als zuvor. Schweden und Finnland nehmen bereits gemeinsam an Nato-Manövern in der Region teil. Schweden war erst Anfang März nach zähem Ringen um die Zustimmung der Türkei und Ungarns offiziell Mitglied geworden.
Russische Grauzonen-Taktik
Putins Antwort darauf sind Drohungen, vor allem gegen Finnland und gegen die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die ebenfalls direkt an Russland grenzen. Der estnische Auslandsgeheimdienst geht in seinem aktuellen Jahresbericht davon aus, dass Russland in den nächsten Jahren die Truppenstärke entlang der Nato-Ostgrenze erheblich aufstocken wird.
Es sind die berüchtigten russischen „Grauzonen-Taktiken“, mit denen Putin den Druck schrittweise hochtreiben will. So ließ er zunächst öffentlichkeitswirksam im Herbst 2023 einen neuen „Militärbezirk Leningrad“ im Grenzgebiet zu Finnland gründen. Zeitgleich begann Putin nach Angaben aus Helsinki, Tausende Geflüchtete an die Grenze zu bringen, um die Regierung dort nervös zu machen. Finnland machte daraufhin im November die Grenze zu Russland dicht. Im Januar hob Russland ein gemeinsames Grenzabkommen aus dem Jahr 2012 auf.
Finnlands konservative Regierung trotzt der hybriden Bedrohung. Die Grenze bleibt geschlossen. Auch rüstet das Land massiv auf, und integriert sich schrittweise in die Nato-Systeme. Zudem arbeitet Helsinki an einer Verschärfung des Asylrechts. Man will Geflüchtete auch dann nach Russland zurückschicken können, wenn sie um Asyl bitten. Dies ist in der EU durchaus umstritten. Der Vorwurf lautet, Finnland verstoße damit gegen geltendes EU-Asylrecht.
Finnland warnt Schweden vor Drohungen Putins
Der finnische Geheimdienst warnte Schweden vor einer Zunahme verbaler Drohungen aus Moskau als Rache für den Beitritt. Das findet bereits statt. Als nach der Zustimmung des ungarischen Parlaments klar war, dass Schweden der Nato beitreten würde, drohte Putin, Russland werde militärisch-technische und andere Gegenmaßnahmen ergreifen. Details nannte er nicht. „Der Beitritt Schwedens zur Nato geht einher mit dem ständigen Schüren antirussischer Hysterie im Land“, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa laut Reuters. Die Hauptquelle für diese Stimmung liege im Ausland „Es sind nicht die Schweden selbst, die diese Entscheidung treffen; diese Entscheidung ist für die Schweden getroffen worden“, so Sacharowa über den Beitritt. Es ist dasselbe Narrativ wie bei Finnland, das angeblich in die Nato gezerrt worden war.
Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson zeigte sich unbeeindruckt: Die Beitritte Schwedens und Finnlands machten deutlich, dass Putin sein Ziel verfehlt habe, die Entscheidungen anderer Länder zu bestimmen. Direkt nach dem Nato-Beitritt betonte er in Washington: „Schweden ist heute ein sichereres Land als gestern.“ Die Finnen dürften es ähnlich sehen.
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