Interview

„Putin will Grenzen verschieben“ – Strack-Zimmermann warnt vor neuen Angriffen in Europa

  • Andreas Schmid
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Marie-Agnes Strack-Zimmermann warnt vor Putins Expansionsplänen. Fällt die Ukraine, sind in Zukunft andere Länder von Putin bedroht, so die FDP-Frau.

Die Meldungen rund um den Ukraine-Krieg überschlagen sich. Waffenruhe? Verhandlungen? Nach Jahren ein Ende des Krieges? Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat keine allzu großen Erwartungen an die jüngsten Ankündigungen aus Moskau über konkrete Friedensverhandlungen mit der Ukraine. „Ich bezweifle, dass Putin ernsthaft an einer Waffenruhe, geschweige denn an einem Frieden interessiert ist“, sagt die FDP-Politikerin im Interview mit der Frankfurter Rundschau. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament warnt davor, Putin zu unterschätzen – und zeichnet im Falle eines russischen Sieges ein düsteres Bild: „Dann ist der nächste Angriff nur eine Frage der Zeit.“

„Frieden in der Ukraine ist sofort möglich“

Frau Strack-Zimmermann, Sie kommen gerade aus der Ukraine, waren in Odessa. Was haben Sie dort erlebt?
Odessa ist eine beeindruckende Stadt, die seit Monaten fortwährend angegriffen wird. Neben dem andauernden Raketenbeschuss – insbesondere auf den Hafen von Odessa – sind die Menschen tagtäglich perfiden Drohnenangriffen ausgesetzt. So will Wladimir Putin die Bevölkerung zermürben und aus dem Land vertreiben. Ein entvölkertes Land kann sich schlechter zur Wehr setzen.
Wann hat das ein Ende? Wie kann Frieden in der Ukraine geschaffen werden?
Frieden ist sofort möglich – wenn Putin seine Angriffe beendet und seine Truppen abzieht. Doch bislang hält er sich nicht einmal an seine eigene, öffentlich angekündigte Waffenruhe. Die Ukraine verteidigt weiterhin ihr Land, aber natürlich sehnen sich alle nach Frieden. Dafür sind zwei Dinge entscheidend.
Welche?
Erstens: Die Ukraine braucht konsequent und dauerhaft die Unterstützung der westlichen Länder – wirtschaftlich, humanitär und militärisch. Konkret von den USA und Europa. Zweitens: Sie benötigt einen nachhaltigen und gerechten Frieden sowie entsprechende Sicherheitsgarantien, damit ein erneuter russischer Angriff auf ukrainisches Territorium in Zukunft verhindert werden kann. Sicherheit entsteht auch durch eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine und perspektivisch – vor allem – durch die Nato-Mitgliedschaft. Letzteres wird derzeit allerdings von der US-Regierung nicht unterstützt.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann am Rande des Ludwig-Erhard-Gipfels am Tegernsee im Interview mit Politikreporter Andreas Schmid.

Verhandlungen im Ukraine-Krieg? Putin nicht an Frieden interessiert

Die US-Regierung, allen voran Donald Trump, verhandelt aktuell über einen Frieden. Wie sehen Sie das?
Sich darum zu bemühen, den Frieden wiederherzustellen, ist aller Mühe wert. Die Frage ist nur: wie? Die Annahme, die russische Führung lasse sich einfach von den USA überzeugen, ist naiv und realitätsfern. US-Unterhändler Steve Witkoff tauscht sich mit einer russischen Delegation unter Leitung von Außenminister Sergei Lawrow aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass der US-Delegation gezinkte Karten vorgelegt werden, ist hoch. Letztlich will Putin nur eines: sein russisches Territorium ausweiten. Dabei versucht er mit allen Mitteln, sogenannte Friedensgespräche hinauszuzögern. Seinen Ankündigungen, die Waffen ruhen zu lassen, folgten bislang stets heftigere Angriffe. Das ist keine Basis für Gespräche.
Trump verhandelt ja wenigstens. Warum tritt Deutschland nicht in die Rolle des Vermittlers?
Putin wird alles tun, um nicht mit den Europäern an einem Tisch zu sitzen. Er will ausschließlich auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten wahrgenommen werden. Zudem verbreitet er ernsthaft das Narrativ, Deutschland wolle 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneut einen vaterländischen Krieg gegen Russland führen. Diese Erzählung verfängt in Russland – sie steht sogar in Schulbüchern und wird dort an junge Menschen vermittelt. Deutschland greift niemanden an. Wir unterstützen die Ukraine, die völkerrechtswidrig angegriffen wurde, in ihrer Selbstverteidigung.
Jetzt soll es laut Putin direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland geben.
Ich bezweifle, dass Putin ernsthaft an einer Waffenruhe, geschweige denn an einem Frieden interessiert ist. Es sei denn, er erhält sämtliche ukrainischen Gebiete, die seine Truppen derzeit völkerrechtswidrig besetzt halten. Dann hätte er vorerst sein Ziel erreicht. Derzeit bleibt ihm nur, auf den Druck aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen und vor allem den USA zu reagieren.

Bilder des Ukraine-Kriegs: Großes Grauen und kleine Momente des Glücks

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Der Krieg begann Ende Februar mit Angriffen Russlands auf zahlreiche Städte der Ukraine. Die Truppen aus Moskau nahmen frühzeitig auch Kiew, die Haupstadt des Landes, unter Raketenbeschuss. Eine der russischen Raketen wurde als Teil einer Ausstellung vor dem Nationalmuseum für Militärgeschichte platziert. Kurator Pavlo Netesov wollte nach eigener Aussage mit der Ausstellung der zerstörten Ausrüstung die Bewohnerinnen und Bewohner Kiews an die Straßenkämpfe erinnern, die in anderen Städte der Ukraine tobten, von denen die Hauptstadt aber verschont blieb. © Sergei Supinsky/afp
Wolodymyr Selenskyi in Donezk
Eine dieser Städte war Donezk. Im Mai 2022 besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die einstige Millionenmetropole und hörte sich dort den Bericht von Frontsoldaten an. In Donezk tobt der Krieg zwischen Russland und der Ukraine bereits seit 2014. Seitdem herrscht dort ein von Moskau installiertes Regime, das sich selbst Volksrepublik Donezk nennt. Nach einigen vorübergehenden Waffenstillstandsabkommen ist die Stadt im Südosten nun wieder Ort erbitterterte Kämpfe. © Uncredited/dpa
Menschen suchen Deckung in Lyssytschansk
Es ist vor allem die Zivilbevölkerung, wie diese beiden Kinder und Seniorinnen in Lyssytschansk, die unter dem Ukraine-Krieg leiden. Die Großstadt liegt mitten im Donbass, die seit Kriegsausbruch am schwersten umkämpfte Region in der Ukraine. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht fliehen oder konnten, müssen nun regelmäßig Schutz vor Artilleriebeschuss suchen. © Aris Messinis/afp
Tschassiw Jar, Kleinstadt der Ukraine in der Nähe Lyssytschansk
Unweit von Lyssytschansk liegt die Kleinstadt Tschassiw Jar. Dort räumen Arbeiter die Trümmer eines Hauses von der Straße, das von einer russischen „Hurrikan“-Rakete getroffen wurde. Im Juli 2022 feierte Russland vor allem in der Donbass-Region militärische Erfolge. Zahlreiche Städte und Gemeinden wurden erobert. Die Truppen Wladimir Putins schienen die Ukraine im Sturm zu erobern. © Anatolii Stepanov/afp
brennendes Weizenfeld in der Region Saporischschja
Dieser Mann in Militäruniform ist in einem brennenden Weizenfeld in der Region Saporischschja, während russische Truppen Felder beschießen, um die örtlichen Landwirte an der Getreideernte zu hindern. Die Ukraine auszuhungern und die Ernte zu stehlen, war von Anfang an Teil der russischen Strategie © Uncredited/dpa
Das sechsmonatige Jubiläum im August war ein trauriger Abschnitt im russischen Angriffs-Krieg
Das sechsmonatige Jubiläum des UKraine-Kriegs im August war ein trauriger Abschnitt der russischen Invasion. Doch die ukrainischen Streitkräfte leisteten mit Herz und allen Mitteln weiter Widerstand und feierten ihre Nation, wie hier mit Drohne und ukrainischer Flagge über dem „Monument des Mutterlands“ in Kiew. © Dimitar Dilkoff/afp
Hier wurde im September in der Stadt Kupiansk in der Kharkiv Region eine Brücke bombadiert
Im September begannen die Truppen Wladimir Putins, die Infrastruktur der ukrainischen Städte unter Beschuss zu nehmen. In der Stadt Kupiansk in der Region Kharkiw bombardierte Moskau eine Brücke. An vielen anderen Städten versuchten die russischen Streitkräfte, die Energieversorgung zu stören. © Yasuyoshi Chiba/afp
Statt eines kurzen Angriffskriegs, den der russische Präsident Wladimir Putin geplant hatte, dauert der Krieg immer noch an.
Weil die Erfolge in der Ukraine ausblieben, benötigten die russischen Truppen immer mehr Rekruten für die Front. Präsident Wladimir Putin verkündete deshalb eine Teilmobilisierung im eigenen Land. Tausende junger Männer mussten sich wie dieser Mann in der Stadt Kineschma von ihren Müttern verabschieden und in den Ukraine-Krieg ziehen. © Vladimir Smirnov/imago
Hier sieht man Putin bei einer Ansprache auf einem großen Screen auf dem Roten Platz anlässlich der Annexion von vier Regionen der Ukraine, die von russischen Truppen im September besetzt waren
Im Osten der Ukraine schuf Wladimir Putin Ende September Tatsachen. Vier Regionen des Landes, die zuvor ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, wurden annektiert. Anlässlich der Gebietsgewinne richtete sich Putin in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung Russlands. Zumindest auf dem Roten Platz in Moskau wurde Putins Rede frenetisch bejubelt. © Alexander Nemenov/afp
Nach der Explosion eines Lastwagens in der Nähe von Kertsch am 8. Oktober 2022 steigt schwarzer Rauch aus einem Feuer auf der Brücke von Kertsch auf
Nach der Explosion eines Lastwagens in der Nähe von Kertsch am 8. Oktober 2022 steigt schwarzer Rauch aus einem Feuer auf der Brücke von Kertsch auf. Sie ist die einzige Landverbindung zwischen Russland und der annektierten Krim-Halbinsel. Russland versprach, die Täter zu finden, ohne die Ukraine sofort zu beschuldigen. © Uncredited/afp
Ukrainische Artilleristen feuern eine 152-mm-Schleppgeschütz-Haubitze (D20) auf eine Stellung an der Frontlinie in der Nähe der Stadt Bakhmut in der ostukrainischen Region Donezk Ende Oktober während des russischen Einmarsches in die Ukraine
Ebenfalls im Oktober gelingt es der Ukraine, an vielen Frontabschnitten vorzurücken. Das gelingt den Streitkräften vor allem dank der Unterstützung aus dem Westen, die immer mehr schweres Gerät in den Konflikt liefert. Hier feuern ukrainische Artilleristen eine 152-mm-Schleppgeschütz-Haubitze (D20) auf eine Stellung an der Frontlinie in der Nähe der Stadt Bakhmut in der ostukrainischen Region Donezk ab. © Dimitar Dilkoff/afp
Ein Einwohner von Cherson hebt seinen Daumen zur Unterstützung der Ukraine auf dem Hauptplatz der Stadt nach der Befreiung von den russischen Besatzern
Mitte November gelingt den ukrainischen Truppen ein großer Erfolg. Sie können die Hafenstadt Cherson im Südosten des Landes zurückerobern. Die Millionenmetropole besitzt neben hohem strategischem auch symbolischen Wert im Kampf gegen Russland. Ein Bewohner feiert die Befreieung mit erhobenem Daumen im Zentrum der Stadt. © Celestino Arce Lavin/dpa
An diesem Tag hielt die Welt den Atem an: Eine Luftaufnahme zeigt den Ort, an dem am 15. November 2022 zwei Männer im ostpolnischen Dorf Przewodow, nahe der Grenze zur kriegszerstörten Ukraine, durch einen Raketeneinschlag getötet wurden
An diesem Tag hielt die Welt den Atem an: Eine Luftaufnahme zeigt den Ort, an dem am 15. November 2022 zwei Männer im ostpolnischen Dorf Przewodow, nahe der Grenze zur kriegszerstörten Ukraine, durch einen Raketeneinschlag getötet wurden. Russland attackierte die Ukraine mit einem massiven Angriff auf die zivile Infrastruktur, wodurch Millionen von Haushalten ohne Strom blieben. Unmittelbar nach dem Vorfall gab es Befürchtungen, dass es sich um eine neue Eskalation des Konflikts handeln könnte, doch am 16. November 2022 gab Polen bekannt, dass das Geschoss wahrscheinlich von der ukrainischen Luftabwehr stammte. Diese Theorie wurde dann auch von Washington bestätigt. © Wojtek Radwanski/Damien Simonart/afp
ein Werk des britischen Straßenkünstlers Banksy auf einer mit Schnee bedeckten Panzerabwehrkonstruktion
Auch Banksy besuchte die Ukraine inmitten des Krieges. Ein am 17. November 2022 aufgenommenes Foto zeigt ein Werk des britischen Straßenkünstlers auf einer mit Schnee bedeckten Panzerabwehrkonstruktion auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die Ukraine sich auf einen Winter des Krieges einstellen wird müssen. © Sergei Supinsky/afp
Dmitri Schewtschenko, Mitarbeiter von Rosenergoatom, inspiziert einen Tank mit destilliertem Wasser, um den Betrieb des vierten Blocks des Kernkraftwerks Saporischschja zu gewährleisten
Weitere harte Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur. Sogar Kernkraftwerke werden zum Ziel russischer Raketen. Dmitri Schewtschenko, Mitarbeiter von Rosenergoatom, inspiziert einen Tank mit destilliertem Wasser, um den Betrieb des vierten Blocks des Kernkraftwerks Saporischschja zu gewährleisten, der durch Beschuss im Zuge der russischen Militäroperation in der Ukraine in Enerhodar beschädigt wurde. © Alexey Kudenko/imago
Eine Frau spielt Gitarre in einer Kneipe während eines Stromausfalls in Lemberg am 2. Dezember 2022
Kleine Momente des Glücks im Wahnsinn des Krieges: Eine Frau spielt Gitarre in einer Kneipe während eines Stromausfalls in Lemberg am 2. Dezember 2022, als die Stadt nach den jüngsten massiven russischen Luftangriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur von einem geplanten Stromausfall betroffen ist. © Yuriy Dyachyshyn/afp
Hier trifft sie auf den Heiligen Mykola (Heiliger Nikolaus) am 19. Dezember 2022 in Cherson, inmitten der russischen Invasion in der Ukraine
Für einen Augenblick darf dieses Mädchen einfach Kind sein. Hier trifft sie auf den Heiligen Mykola (Heiliger Nikolaus) am 19. Dezember 2022 in Cherson, inmitten der russischen Invasion in der Ukraine © Dimitar Dilkoff/afp
Ukraine-Krieg - Jahrestag Kriegsbeginn- Kiew
Ukrainische Soldaten erinnern am 24. Februar 2023 an der Sophienkathedrale in Kiew an den Beginn des Ukraine-Kriegs ein Jahr zuvor. © Kay Nietfeld/dpa
Ukraine-Krieg - Orthodoxe Ostern in Saporischschja
Die kirchlichen Rituale werden in der Ukraine auch im April 2023 befolgt: Orthodoxe christliche Priester und Gläubige bei der Segnung der traditionellen Osterkörbe am Ostersonntag in der St. Nikolaus-Kirche in Saporischschja. © Andriy Andriyenko/dpa
Ukraine-Krieg - Ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes
Ukrainische Soldaten gestikulieren im September 2023 auf ihrem Bradley Fighting Vehicle (BFV) in der Frontstadt Orichiw. Aus ihrem amerikanischen Schützenpanzer berichten sie von schweren Gefechten. Seit Kriegsbeginn stand Orichiw unter ständigem Beschuss der russischen Armee. © Oliver Weiken/dpa
Ukraine-Krieg - Kupjansk
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Mitte) wird am 30. November 2023 während eines Besuchs in einem Gefechtsstand an der Front in Kupjansk über die Kriegssituation informiert. © dpa
Lwiw
Auch im Dezember 2023 feiern die Menschen in der Ukraine Weihnachten. In Lwiw besuchen sie den Gottesdienst an Heiligabend und bereiten sich darauf vor, den ersten Weihnachtsfeiertag am 25. Dezember zu feiern.  © Yuriy Dyachyshyn/AFP
Ukraine-Krieg - Charkiw
Ein großer Haufen Trümmer mit Resten von russischen Raketen liegt in der Stadt Charkiw. In den frühen Morgenstunden des 15. Februar 2024 schlug eine russische Rakete in einem Wohngebiet von Chugugyv ein und tötete eine 67-jährige Frau. © Ximena Borrazas/dpa
Charkiw
Trotz Gesprächen über eine Waffenruhe dauert der Ukraine-Blick auch im Jahr 2025 weiter an. Charkiw steht mehrmals schwer unter russischem Beschuss. Das Kunstwerk „Kreuz des Friedens“ mit einem Kruzifix aus 20.000 Fragmenten russischer Artilleriegeschosse wurde vom amerikanisch-ukrainischen Künstler Sergey Melnikoff (besser bekannt als MFF) und dem ukrainischen Künstler Viktor Belchik geschaffen. © Sergey Bobok/AFP
Ukraine-Krieg - Sumy
Bei einem schweren russischen Luftschlag mit ballistischen Raketen gegen die Stadt Sumy kommen am Palmsonntag 2025 mehr als 30 Menschen ums Leben. Mehr als 100 Zivilpersonen werden verletzt. Unter den Toten sind auch Kinder. © Evgeniy Maloletka/dpa
Ist ein Frieden ohne territoriale Zugeständnisse der Ukraine realistisch, oder ist das eine Illusion?
Es kann keinen nachhaltigen Frieden geben, wenn die Ukraine gezwungen wird, ein Viertel ihres Landes abzugeben. Die Ukraine weiß genau, dass Putins Machthunger damit nicht gestillt wäre – nach einer militärischen Verschnaufpause würde er erneut angreifen.
Das heißt?
Putin will das großrussische Reich wiederherstellen. Schon vor 20 Jahren bezeichnete er den Untergang der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe“. Für ihn gehören zur russischen Sphäre auch das „kleine Russland“ – die Ukraine – und Weißrussland, also Belarus. Wir müssen uns klarmachen: Wenn es Putin gelingt, Grenzen nach seinem Willen mitten in Europa zu verschieben, ist der nächste Angriff nur eine Frage der Zeit. Dann wird er auch nach Moldau und Georgien greifen – und letztlich versuchen, das Baltikum anzugreifen.
„Putin will das großrussische Reich wiederherstellen“, sagt FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Interview.

Taurus-Lieferung in die Ukraine? „Hätten längst liefern müssen“

Sie haben sich als eine der ersten deutschen Politikerinnen für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ausgesprochen. Sehen Sie das nach wie vor so?
Ja. Der Einsatz des Taurus würde die russische Luftwaffe, die täglich die Ukraine mit Marschflugkörpern, Drohnen und Raketen angreift, auf Abstand halten. Abgesehen davon, dass wir den Taurus längst hätten liefern müssen, um russische Nachschublinien zu stören, ist die öffentliche Diskussion darüber absurd. Wir berauben damit die Ukraine der Möglichkeit, sich aus dem Moment der Überraschung heraus zu verteidigen. In diesem Kontext empfehle ich dringend, nicht darüber zu reden – sondern es einfach zu tun.
Ja, aber es interessiert ja die Menschen im Land.
Natürlich interessiert das die Menschen. Aber es ist schlichtweg töricht, eine solche Entscheidung öffentlich zu debattieren. Wir sprechen hier nicht über ein Fußballspiel oder potenzielle Spielzüge. Es geht um die Sicherheit der Ukraine – und letztlich auch um die Sicherheit Europas. Putin versucht seit drei Jahren, diese Debatte zu beeinflussen. Wenn nicht laut darüber gesprochen, sondern schlicht gehandelt wird, wird es für ihn deutlich schwieriger – und für die Ukraine deutlich sicherer.
Aber einige Menschen haben doch die Sorge, in diesen Krieg hineingezogen zu werden. Für viele ist die Taurus-Lieferung der nächste Schritt in Richtung Eskalation.
Der Einsatz ist keine Eskalation, sondern eine notwendige Maßnahme zur Unterstützung der Ukraine. Der Taurus ist kein Gamechanger, aber im Zusammenspiel mit anderen Waffensystemen ein wirksames Mittel, um die Ukraine zu schützen. Die Debatte hat sich verselbstständigt – das hilft militärisch nicht weiter.

Neues Wehrpflichtmodell: „Wir müssen auf die Bedrohungslage reagieren“

Sie haben sich in der Vergangenheit gegen eine allgemeine Wehrpflicht ausgesprochen. Wie stehen Sie zum Wehrpflicht-Modell von Boris Pistorius nach schwedischem Vorbild?
Die Wehrpflicht, wie wir sie vor 2011 kannten, lässt sich in dieser Form nicht einfach reaktivieren. Uns fehlen Kasernen, Ausbilder und Material, um jährlich 500.000 junge Männer auszubilden. Dennoch müssen wir auf die Bedrohungslage reagieren. Das sogenannte „schwedische Modell“ sieht vor, alle 18-Jährigen zu erfassen und ihre Tauglichkeit zu prüfen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Viele junge Menschen wissen nicht, dass man bei der Bundeswehr auch studieren oder eine Ausbildung absolvieren kann. Herr Pistorius setzt auf Freiwilligkeit nach der Musterung. Ob das funktioniert, wird sich zeigen, wenn das Modell startet.
Und wenn es nicht freiwillig funktioniert?
Dann werden wir nicht umhinkommen, die Diskussion erneut zu führen. Angesichts der Bedrohungslage können wir uns nicht mehr davor drücken, darüber zu sprechen, was jede und jeder Einzelne dazu beitragen kann, unsere Freiheit in Frieden zu schützen – und gegebenenfalls zu verteidigen.

Rubriklistenbild: © IMAGO / Russian Look/Sven Simon (Montage)