Kabel in der Ostsee zerstört
Putin hat es auf deutsche Infrastruktur abgesehen – um NATO-Strategie zu verhindern
VonPeter Siebenschließen
NATO-Staaten rücken den Zivilschutz in den Fokus. Sicherheitsexperten warnen: Russland versuche, die deutsche Abschreckungsstrategie zu stören.
Berlin – Viele Menschen in Schweden finden in diesen Tagen kleine, gelbe Broschüren in ihren Briefkästen. Die Aufschrift: „Wenn Krieg oder Krisen kommen“. Darin: Ratgeber für Verhaltensweisen, etwa im Fall eines Atomschlags. Die schwedische Regierung will die Bevölkerung vorbereiten. „Die Sicherheitslage hat sich geändert“, sagte erst vor wenigen Tagen der schwedische Minister für Zivilschutz, Carl-Oskar Bohlin, auf einem Kongress in Berlin.
„Sicherheitspolitik neu denken“ lautete der Titel des Treffens, zu dem die Unions-Fraktion im Bundestag geladen hatte. Nach dem Ende des Kalten Kriegs haben die meisten Staaten ihre Verteidigungsausgaben zurückgefahren, Bunker abgerissen. Jetzt rücken NATO-Staaten wie Schweden, Norwegen oder Polen den Zivilschutz in den Fokus. Als ein Vorbild gilt Finnland, das selbst nach dem Kalten Krieg seine Verteidigungsbereitschaft kaum zurückgefahren hat. Auch in Deutschland will man besser vorbereitet sein – auf Naturkatastrophen, aber auch auf einen möglichen Kriegsfall.
NATO-Länder rücken Zivilschutz in den Fokus: „Befinden uns nicht mehr im Frieden“
„Tatsächlich sind Bedrohungen allgegenwärtig“, sagte Generalleutnant André Bodemann auf dem Berliner Kongress. Bodemann ist Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr und damit für die operative Führung im Heimat- und Katastrophenschutz zuständig. „Wir befinden uns zwar nicht im Krieg, aber schon lange nicht mehr im Frieden“, so Bodemann.
Russland unter Wladimir Putin agiere schon lange gegen Deutschland, Stichwort hybride Kriegsführung: „Das sind Desinformationen, Fake News, Cyberattacken, Ausspionieren unserer kritischen Infrastrukturen bis hin zur Sabotage.“
Russland attackiert mit Sabotage und Spionage
Das deckt sich mit Erkenntnissen der deutschen Geheimdienste, die vor zunehmenden russischen Aktivitäten in Deutschland warnen. „Wir beobachten ein aggressives Agieren der russischen Nachrichtendienste“, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, im Oktober. Insbesondere russische Spionage und Sabotage nähmen hierzulande „sowohl qualitativ als auch quantitativ“ zu.
Erst im Juli waren Brandsätze in Paketen in einem DHL-Luftfrachtzentrum aufgetaucht. Ein Paket war in Brand geraten. In Sicherheitskreisen geht man davon aus, dass der Vorfall im Zusammenhang mit russischer Sabotage steht. Deutschland sei dabei nur knapp an einem Flugzeugabsturz vorbeigeschrammt, sagte Haldenwang.
Und zuletzt waren in der Ostsee Schäden an Kommunikationskabeln zwischen den Nato-Mitgliedern Finnland und Schweden sowie ihren Bündnispartnern Deutschland und Litauen gemeldet worden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geht von einem Sabotageakt aus: „Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind“, sagte er am Rande eines Treffens der EU-Verteidigungsminister in Brüssel. Und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Wir nehmen diese hohe Bedrohungslage sehr, sehr ernst.“
Total Defence
NATO-Länder wie Finnland, Schweden und Norwegen, aber auch Polen, haben unter dem Stichwort „Total Defence“ Verteidigungsstrategien entwickelt, die auch den Zivilschutz betreffen. Der Gedanke dahinter: Verteidigung und Zivilschutz sollen ganzheitlich gedacht werden und Aspekte wie Bevorratung oder das Gesundheitssystem mit einbeziehen.
Ähnlich konzeptioniert ist der Operationsplan Deutschland, bei dem es um die Aufrechterhaltung der zur Verteidigungsfähigkeit benötigten Infrastruktur Deutschlands geht. Mitentwickelt hat ihn das 2022 aufgestellte Territoriale Führungskommando der Bundeswehr.
Unklar ist, wer hinter der vermuteten Sabotage stecken könnte. Grundsätzlich aber hat Russland es nach Expertenansicht auf die deutsche Infrastruktur abgesehen – um ein Instrument empfindlich zu stören, das Krieg verhindern soll: Abschreckung. „2029, vielleicht auch schon früher, könnte Russland in der Lage sein, das NATO-Bündnisgebiet zu bedrohen“, sagt etwa Generalleutnant Bodemann.
Im Bedrohungsfall würden NATO-Truppen durch Deutschland marschieren
Die NATO werde dann mit ihren Verteidigungsplänen entsprechend reagieren und Kräfte an der NATO-Ostflanke aufmarschieren lassen. „Deutschland liegt im Herzen Europas, was bedeutet, dass sich die alliierten Kräfte über unser Gebiet in Richtung Osten bewegen müssten“, erklärte Bodemann. Dafür brauche es funktionierende Flughäfen, Autobahnen, Schienen, Binnenschiffswege. „Und jetzt schon bereitet Russland sich darauf vor, zu verhindern, dass uns das gelingt. Und damit ein mögliches Kriegsszenario zu erreichen.“
Um gegenzusteuern, helfe auch der sogenannte Operationsplan Deutschland, sagte Bodemann. Das Strategiepapier ist gut 1000 Seiten stark. Darin geht es um ein Konzept, die Infrastruktur und die ganzheitliche Verteidigungsfähigkeit Deutschlands im Kriegsfall aufrechtzuerhalten. Die Details sind geheim. Bekannt ist aber, dass die Bundeswehr auf Grundlage des Plans Unternehmen schulen will, besser auf den Ukraine-Krieg und etwa Lieferengpässe eingestellt zu sein und sich auf theoretische Kriegsszenarien vorzubereiten.
In Polen, das eine direkte Grenze zur Ukraine hat, ist man schon weiter, was den Zivilschutz betrifft. Ab 2026 müssen Neubauten in dem Land Schutzräume haben, erklärte Wiesław Leśniakiewicz, Staatsuntersekretär im polnischen Innenministerium: „Wir müssen resilient sein.“
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